Video und Gender

Renée Winter

Video – seit den 1950er Jahren vor allem für den professionellen Bereich entwickelt – verbreitete sich in den 1980er Jahren rasant als private und nichtprofessionelle mediale Praxis. Zum einen mit dem Einzug der Videorekorder in die Wohnzimmer, die mit der Aufzeichnung von Fernsehprogrammen eine stärkere Unabhängigkeit und Flexibilität gegenüber den durch das Fernsehen vorgegebenen Zeitstrukturen erlaubten. Zum anderen mit den Videokameras, nunmehr erschwinglich geworden, die das audiovisuelle Dokumentieren privaten Lebens enorm popularisierten.

Frauen hinter der Kamera

Das im Vergleich zum (Schmal-)Film günstige Material und die Möglichkeit des Überspielens hatte auch in Familien eine tendenzielle Aufweichung der Positionen Filmende–Gefilmte und eine vermehrte Kameranutzung von Frauen beziehungsweise auch von Kindern und Jugendlichen zur Folge.
Stefanie Zingl hat die in der Amateurfilm-Sammelaktion „Niederösterreich privat! Ihre Filme machen Geschichte“ des Filmarchivs Austria gesammelten Konvolute mit (Schmal-)Filmen der 1920er bis 1990er Jahre in Hinblick auf das Geschlecht der filmenden Personen untersucht. Sie kommt zu dem Schluss, dass „die Auffassung, der Amateurfilm sei eine Männerdomäne“ sich durchaus bewahrheitet. So wurden von insgesamt 2735 übergebenen Filmkonvoluten 74 % von Männern aufgenommen, 7 % von Frauen, 5 % von nicht feststellbaren Urheber_innen, 13 % von Kollektiven und 0,3 % von Vereinen. (Zingl 2015: 44) Demgegenüber stellt sich die Geschlechterverteilung bei den der Österreichischen Mediathek übergebenen Videobeständen folgendermaßen dar: Von den übergebenen Konvoluten können lediglich 52 % eindeutig männlichen Urhebern zugeordnet werden. 23 % der Bestände wurden eindeutig von Frauen gedreht und die restlichen 25 % wurden entweder von gemischten Gruppen aufgenommen oder ihre Urheberschaft ist nicht eindeutig geklärt.

Video als emanzipatorisches Medium?

Video war eine willkommene Projektionsfläche für progressiven Mediengebrauch. Bereits 1978 fanden sich in Wien Videogruppen im Verein Medienwerkstatt zusammen. Video versprach für alternative und linke Medienarbeit auch Chancen der Demokratisierung, der selbstbestimmten Berichterstattung und der Schaffung von „Gegenöffentlichkeiten“. Eine Basis für die Aufladung von Video mit der Vorstellung eines emanzipatorischen Mediengestaltens stellte seine Neuheit und die daraus folgende Unbesetztheit der Aufnahmetechnologie dar. So meint die Videoaktivistin der Medienwerkstatt, Gerda Lampalzer, 1984 im Interview in der Stimme der Frau: 

„Es ist eigentlich so, daß viele Frauen mit Video arbeiten. Und auch in den Workshops sind fast immer mehr Frauen als Männer. Der Frauenworkshop war überhaupt überlaufen. Warum? Ja, das frag’ ich mich auch. Das kann ich nicht sagen. Vielleicht hängt das damit zusammen, weil das eine Technik ist, die klein ist, aber eben doch Technik. Vielleicht kommt auch dazu, daß es ein neues Medium ist. Und vielleicht ist das eine Chance, daß wir wenigstens gleichzeitig, wenn nicht früher, einsteigen. Alle anderen Medien sind ja schon okkupiert von den Männern. Also ich merk’ das bei mir auf jeden Fall, daß ich hier so ziemlich mit allen Männern zugleich angefangen hab.“
(Karin Berger: Unbeschreiblich weiblich (Interview mit Gerda Lampalzer und Ilse Gassinger), in: Stimme der Frau, Nr. 2/1984, 7.)

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die bestehenden Amateurfilmvereine, wie zum Beispiel der 1927 gegründete Klub der Kinoamateure Österreichs die Videotechnik nicht nur weiterhin männlich codiert inszenierten, es zeigte sich in den 1980er und 1990er Jahren auch eine von großen Teilen der Mitglieder geteilte Skepsis gegenüber der neuen Technologie. (siehe Winter 2016) Auch für feministische Künstlerinnen wie Valie Export, Pipilotti Rist, O.Funmilayo Makarah, Lynn Hershman, Mariko Mori, Ulrike Rosenbach, Sadie Benning, Michal Rovner und Cheryl Dunye war Video ein oft genutztes Medium.

Werbekataloge

Auch die Elektroniksparte erkannte Frauen als potenzielle Kund_innen. Bestimmte Modelle von Videokameras werden für Frauen beworben. Diese Produktwerbungen befördern jedoch weiter Geschlechterstereotype. So werden für Frauen „kleine, leichte“ Geräte vorgesehen, ihnen werden Kameras mit „einfacher Bedienung“ vorgeschlagen, sowie solche mit weitgehend automatischen Belichtungs-, Entfernungs- und Schärfeeinstellungen. Demgegenüber sind die Kameras, die durch Männer präsentiert werden, größer und werden im beschreibenden Text lediglich mit technischen Daten versehen.

Kopie aus dem Produktkatalog. Sony Sound and vision 1990, Seite 21, zeigt männlichen Filmer
Produktkatalog: Sony Sound and Vision 1990. Seite 21
Kopie aus dem Produktkatalog. Sony Sound and vision 1990, Seite 29, zeigt weibliche Filmerin
Produktkatalog: Sony Sound and Vision 1990. Seite 29

Handbücher

In frühen Videohandbüchern dominiert noch das Bild des männlichen Familienoberhaupts, der die Familie bei ihren Beschäftigungen filmt. Frauen sind bei diesen Darstellungen gefilmtes Objekt des Videos, oder – wenn sie selbst mit Videotechnik in Verbindung gebracht werden – bei helfenden und assistierenden Tätigkeiten. Diese Darstellung in den Videoratgebern verändert sich mit der weiteren Verbreitung und Verbilligung der Videotechnik. Im Ratgeber „Videofilmen wie ein Profi“ von 1992 werden neben Männern auch etliche Frauen beim Filmen mit der Videokamera abgebildet – das vorrangig für sie vorgesehene Betätigungsfeld scheint jedoch das Aufnehmen von Kindern und Familienaktivitäten zu sein.

Abbildung zu Walter Schild, Tobias Pehle: Videofilmen wie ein Profi. Technik, Motive, Filmaufbau, Nachbearbeitung, Stuttgart 1992
Walter Schild, Tobias Pehle: Videofilmen wie ein Profi. Technik, Motive, Filmaufbau, Nachbearbeitung, Stuttgart 1992
Kopie von Knaurs Video Ratgeber, München 1983. S. 188
Heinz von Lichem: Knaurs Video Ratgeber, München 1983. S. 188

Mediale Repräsentationen von Familie

Die Home Videos und die in und mit ihnen produzierten Vorstellungen von Alltagsleben entstehen in Wechselwirkung zu Darstellungen von privatem Leben in anderen Medien. Die Medienwissenschafterin Patricia R. Zimmermann betont in ihrer Sozialgeschichte des Home Movies „reel families“, dass in den Diskursen der Technikpopularisierung, in Produktwerbungen und Verkaufsstrategien Konzepte von Privatheit, Familie und Häuslichkeit erst hergestellt bzw. reaktualisiert werden. (Zimmermann 1995)

Ideen und Vorstellungen davon, wie Familie auszusehen hat, wie Privatleben funktionieren sollte und was ein erfülltes Leben ausmacht zirkulieren in vielen Medien, so zum Beispiel auch in der Familienserie im Fernsehen oder in Werbungen. In einem Spot für ein Betamax-System Ende der 1970er Jahre werden mögliche Verbindungen zwischen Home Video und Fernseh-Darstellungen deutlich. Einerseits wird in diesem Werbespot eine Ausrichtung der Familiendarstellung an Konventionen des Fernsehens (wie an der Sitcom oder der TV-Revue) vorgeschlagen. Andererseits wird gewissermaßen das Versprechen gegeben, durch die Kamera auch „Star“ sein zu können – der Sprecher betont: „if you think network television is a little boring, start your own network.“ (In etwa: „Wenn Sie finden, Fernsehen ist langweilig, machen Sie ihr eigenes Programm.“) Auch werden einige der zu filmenden Anlässe, bei denen die Kamera dabei sein soll angeführt: Hochzeiten, Geburtstage und die sportlichen Aktivitäten der Kinder. Die in Werbung und Ratgeberliteratur vorgeschlagene Auswahl der bewahrenswerten Ereignisse hat Auswirkungen auf die mediale Praxis im privaten Kontext.

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Vor der Kindergeburtstagsparty

Vor der Kindergeburtstagsparty zum 5. Geburtstag werden die geschmückte Wohnung und alle Vorbereitungen dokumentiert.

Familien-Vorstellungen

Die Idee davon, wie sogenanntes privates Leben organisiert und strukturiert ist und sein soll, prägt die Vorstellungen von seinen Repräsentationen. Schmalfilm stellte ein relativ teures Material – gemessen an der aufgenommenen Zeitspanne – dar, und es benötigte eine längere Zeit zur Entwicklung. Dadurch wurde sehr genau ausgewählt, was gefilmt wurde und was nicht. Auf die Repräsentationen von Familien hatte das die Auswirkung, dass – dem Familienalbum gleich – die (scheinbar) glücklichen Momente, die repräsentativen Momente und diejenigen, die ein intaktes Familienleben zeigen sollen, aufgenommen wurden. Mit der extremen Verbilligung des Materials (vorerst noch nicht der Kameras) wurden die Kameras laufen gelassen auch wenn gerade nichts Besonderes oder Repräsentatives passierte. Für die Darstellungen des Familienlebens bedeutete dies auch, dass die Konflikte, die Streits, die Langeweile und der Alltag ins Bild kamen. Die Aufnahmen zeigen so die Familie nicht (nur) als einen „Orts des Glücks“ – eine Interpretation, die feministische Historiker_innen und Wissenschafter_innen schon vor langem als normative Setzung entlarvt haben. (siehe Bernold, Ellmeier, Gehmacher, Hornung, Ratzenböck, Wirthensohn 1990)

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Ausflug in den Tiergarten

Am Nachmittag des ersten Schultags ihres älteren Sohnes besucht eine Familie den Tiergarten Schönbrunn. Das Video zeigt Aufnahmen diverser Tiere.

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Kinder fahren Ski und Rodeln

Während eines Familienurlaubs am Bauernhof üben sich die beiden Kinder im Ski fahren und Rodeln am Hügel hinter dem Hof.

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Osterschmuck

Der Osterschmuck in der Wohnung wird dokumentiert.

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Kinderfest im Freibad

Das Video zeigt ein Kinderfest mit Animation und Stationen im Naturfreunde Bad an der Alten Donau.

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Abfahrt Westbahnhof

Der Besuch reist ab. Herr H. begleitet die Verwandten mit der Kamera zum Westbahnhof und dokumentiert dort Gebäude, Schilder, Gleise, Züge und die Abfahrt.

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Weihnachten

Weihnachten wird im Kreise der Familie gefeiert.

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Weihnachten

Weihnachten in einer Wohnung in Österreich. Der Weihnachtsbaum wird geschmückt. Im Hintergrund läuft der Fernseher, während alles hergerichtet und vorbereitet wird. Es werden kurze Anweisungen zum Filmen gegeben.

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Urlaub am Faaker See 1989: Surfversuche

Beim jährlichen Urlaub am Faaker See werden die ersten Versuche auf dem Surfbrett dokumentiert.

Private Bilder?

Mit der breiteren Verfügbarkeit von Video – bis zur heutigen Allgegenwart von Kameras in Smartphones – in Verbindung gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen des 20. Jahrhunderts ändern sich also die Bilder, die von dem als Privatleben angesehenen Bereich erzeugt und wahrgenommen werden. Es kann bei Home Videos nicht von Aufnahmen der weißen, heterosexuellen Kleinfamilie als Norm ausgegangen werden. Die bewegten Bilder nichtprofessionell Filmender umfassen und inszenieren viele verschiedene Zusammenlebensformen und Zugehörigkeiten von Menschen: Über ein oder mehrere (Bundes-)Länder verstreute Familien, Wohngemeinschaften, queere Wahlverwandtschaften, Vereinsleben, Freund_innen-Netzwerke, durch Arbeitsmigration Teilzeit-Zusammenlebende Gruppen, Patchwork-Familien, Arbeitszusammenhänge und Schulausflüge.

(Publiziert: 2017)

Literatur

Literatur:

Monika Bernold, Andrea Ellmeier, Johanna Gehmacher, Ela Hornung, Gertraud Ratzenböck, Beate Wirthensohn: Familie: Arbeitsplatz oder Ort des Glücks? Historische Schnitte ins Private, Wien 1990.

Renée Winter: Video-Aufnahme. Die Ankunft von Video im Klub der Kinoamateure Österreichs, in: dies.,/Waraschitz, Christina/Fröschl, Gabriele: Aufnahme läuft. Private Videobestände – Öffentliche Archive? Wien 2016, 85–96.

Patricia R. Zimmermann: Reel Families. A Social History of Amateur Film, Bloomington, Indianapolis 1995.

Stefanie Zingl: „9.000 Meter retrospektiv. Margret Veits Schmalfilmbiographie“, ungedr. Phil. Dipl., Wien 2015; Online: http://othes.univie.ac.at/35830/1/2015-01-30_0649526.pdf (Zugriff: 2. November 2016)