Der Musiker und Filmkünstler Hans Sindelar hat sowohl als origineller und unterhaltsamer Interviewpartner, als auch aufgrund seiner außergewöhnlichen Lebensgeschichte einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. In seinen 2011 aufgenommenen Erzählungen blickt der 90-Jährige nicht nur auf seine künstlerischen Erfolge und seine Arbeitsweise als Trickfilmmacher zurück, sondern auch auf ein Leben, das nicht zuletzt durch den Zweiten Weltkrieg von vielen widrigen Umständen geprägt war.
Hans Sindelar beschreibt seine Kindheit in Wien-Simmering und wie der Alkoholismus des Vaters, die Familie und ihn selbst ins Unglück gestürzt hat.
Hans Sindelar, 1921 geboren, ist in einer Arbeiterfamilie im Wien der Zwischenkriegszeit aufgewachsen. Aufgrund der schwierigen familiären und finanziellen Verhältnisse musste er bereits in jungen Jahren als Tabakverkäufer zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, konnte sich aber mit dem zusätzlich verdienten Trinkgeld auch selbst eine musikalische Ausbildung finanzieren.
Diese Ausstellung bietet ausgewählte biografische Portraits aus den rund 600 lebensgeschichtlichen Interviews, die im Rahmen des Oral History-Projekts MenschenLeben entstanden und in der digitalen Sammlung der Österreichischen Mediathek online und in voller Länge verfügbar sind. Hier kann man nicht nur in verschiedene lebensgeschichtliche Erzählungen - in Alltägliches wie Außergewöhnliches -, sondern auch in unterschiedliche Sprechweisen, Weltanschauungen und Emotionen eintauchen. Die biografischen Portraits werden durch private Fotografien ergänzt, die die Interviewpartner_innen in Kopie an die Sammlung MenschenLeben übergeben haben. Um den Kontext der gesamten Lebensgeschichte zu erhalten, verweisen die hier angeführten Hörproben auf einzelne markierte Stellen in den oft mehrstündigen Interviews - ein Weiterhören in den lebensgeschichtlichen Erzählungen ist also möglich und erwünscht.
Hans Sindelar, geboren 1921 in Wien
Interview: 2011
Interviewort: Unterolberndorf
Interviewer: Michael Maier
Interviewdauer: 4 Stunden 6 Min
Link zu allen 17 Interviewteilen
Im Zweiten Weltkrieg war er in der Deutschen Wehrmacht als Militärmusiker am Polenfeldzug beteiligt und später in Frankreich stationiert. Überfordert mit dem Soldatenleben, konnte er seine Entlassung aus dem Militärdienst erwirken und wurde stattdessen im Büro eines Rüstungsbetriebes dienstverpflichtet. Nachdem er offen Kritik am NS-Regime geübt hatte, erlebte er die letzten Kriegstage und den Einmarsch der Russen von einem Versteck aus.
Das gesamte Interview mit Hans Sindelar in 17 Teilen finden Sie hier.
Während des Krieges war Hans Sindelar auch Mitglied in einem KdF-Orchester, mit dem er bei Großveranstaltungen aufgetreten ist. Sänger dieses Orchesters war niemand geringerer als Johannes „Jopie“ Heesters, der regelrechte Begeisterungsstürme ausgelöst hat, die scheinbar – so schildert es Hans Sindelar – modernen Popkonzerten in nichts nachgestanden sind.
Hans Sindelar stieß als Soldat an seine körperlichen Grenzen. Mittels einer List gelang es ihm, aus der Deutschen Wehrmacht entlassen zu werden.
Nachdem seine Frau eine Bombardierung durch die Alliierten gegen Kriegsende nur knapp überlebt hatte, ließ Hans Sindelar seinem Zorn gegenüber dem NS-Regime freien Lauf. Nur mit Glück und einer List gelang es ihm, aus dem Rüstungsbetrieb, in dem er dienstverpflichtet war, zu flüchten.
Unmittelbar nach dem Krieg schlug sich Hans Sindelar zunächst als Musiker in Wiener Nachtklubs und als Teilhaber eines Varieté-Theaters durch. Anschließend arbeitete er unter anderem als Handelsvertreter und Immobilienhändler.
In der Not der ersten Nachkriegszeit konnte sich Hans Sindelar als Orchestermusiker über Wasser halten. Er kam als Saxofonist in einer Kapelle im Hotel Bristol unter, mit der er vor amerikanischen Besatzungssoldaten auftrat. Aus dieser Zeit ist ihm noch eine lustige Anekdote in Erinnerung, die auch viel über die Machtverhältnisse in der Besatzungszeit verrät.
Hans Sindelar erzählt von seiner großen Liebe zum Film, die ihn seit seiner Kindheit begleitet hat, und wie ihn unzuverlässige Schauspieler_innen zum Puppentrickfilm gebracht haben.
Im Gegensatz zu heute, wo kommerzielle Trick- bzw. Animationsfilme digital am Computer entstehen, sind die Puppen von Hans Sindelar mittels Einzelbildtechnik durch reine Handarbeit zum Leben erweckt worden. Ein äußerst arbeitsintensives und auch körperlich herausforderndes Verfahren, wie er erklärt.
Anfang der 1960er Jahre gelang es dem Filmliebhaber, sein Hobby zum Beruf zu machen und avancierte in Folge zu einem der bedeutendsten Trickfilmer Österreichs. In seinem eigenen Trickfilmstudio und mit seinen selbst entworfenen und gefertigten Figuren produzierte er für den ORF bis 1980 etwa 125 Betthupferln und Kinderfilme. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Sindy Show“ und die „Potatoes“. Wichtig war ihm, dass seine komplett in Eigenregie entstandenen Filme stets eine Aussage hatten, die auch Kinder verstehen konnten.
Nach seiner Pensionierung blieb der zweifache Vater künstlerisch aktiv und begann sich in seiner neuen Heimatgemeinde Kreuttal im Weinviertel zu engagieren. 2011 wurde Hans Sindelar anlässlich seines 90. Geburtstages mit einer Trickfilm-Retrospektive im Wiener Metro Kino geehrt.
Text und Auswahl: Michael Maier, 2023