The Archivist's Choice 2025

Monatliche Highlights der Mitarbeiter_innen­

 

In der Reihe The Archivist’s Choice erzählen Mitarbeiter_innen der Österreichischen Mediathek monatlich von ihren ganz persönlichen Archiv-Highlights, Aha-Momenten und Lieblingsaufnahmen, die ihnen bei ihrer Arbeit in einem der größten Medienarchive Österreichs begegnen.

Medienarchivar_innen evaluieren, sortieren, schlichten, digitalisieren, katalogisieren, beschreiben, speichern, präsentieren, skartieren – und haben dabei mit überraschenden, einzigarten, besonderen oder auch ganz alltäglichen Aufnahmen zu tun. The Archivist's Choice versammelt einige davon und präsentiert jeden Monat einen neuen und persönlichen Einblick in die Sammlungen der Österreichischen Mediathek.


Alltag heute – Geschichte morgen!

März 2025

"Bloß dreißig Jahre her!"

Vom 13er-Stockautobus, von alten Geschäften und einem Paternoster-Lift.
Rückschau auf verschwundenen Alltag in Wien

Rainer Hubert, der ehemalige Leiter der Mediathek, präsentiert einige Videoaufnahmen, die den rasanten Kulturwandel in unserer Zeit vor Augen führen

So rasch ändert sich das: der Alltag vor zwanzig, dreißig Jahren und unser tägliches Leben heute. Fast müßig, es näher auszuführen – ein Blick auf ein Foto mit einer Menschengruppe oder von Fahrgästen in der U-Bahn aus dem Jahr 2000 macht es sofort deutlich. Wo sind die Handys? 

Sollte ein so rascher Kulturwandel – rascher, als je zuvor! – nicht festgehalten, dokumentiert werden? - Gewiss, aber wie? – Wie schon der Verweis auf das Foto andeutet, sind es vor allem die audiovisuellen Medien, die dafür geeignet sind. Sie spiegeln unsere Welt der Gegenwart ab - Videoaufzeichnungen, Fotos, Tonaufnahmen – und können sie so in die Zukunft „transportieren“. – Geschieht dies auch? – Per Zufall ja, gezielt wohl kaum. Als Beispiel die Wiener Mariahilfer Straße: Kurz vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, in den späten achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, war diese und ihre Nebenstraßen übersät von sogenannten „Ungarnshops“, die sich in unverkennbarer Weise von anderen Wiener Geschäften abhoben. Billigläden für Touristen aus den östlichen Nachbarländern. Zu diesem interessanten – weil sehr zeittypischen – Aspekt der Wiener Lokalgeschichte sollte es doch zahlreiche Quellen geben? – Sollte wohl, aber de facto wäre eine Recherche nach Belegen schwierig. Vielleicht private Fotos, vielleicht ein Fernsehinterview mit der Straße im Hintergrund. Es wäre leicht gewesen, die damalige Mariahilfer Straße „abzuvideografieren“ oder eine umfassende Fotodokumentation herzustellen, aber es ist eben – zumindest meines Wissens nach – nicht geschehen. 

Dieses Gefühl eines Mangels hat die Österreichische Mediathek – damals noch Österreichische Phonothek – veranlasst, mit noch recht amateurhaften Mitteln erste tastende Versuche in die Richtung einer systematischen Alltagsdokumentation zu machen. 

So bestiegen wir am 23. November 1989 einen 13er-Autobus – einen der letzten Stockautobusse dieser Linie -, um die Fahrt durch Wien aus der Perspektive des 1. Stockes noch ein letztes Mal zu genießen und videografisch festzuhalten – vom damals noch bestehenden Südbahnhof bis zur anderen Endstelle im 8. Bezirk. 

In weiterer Folge gab es Videodokumentationen über alte Geschäfte: eine Drogerie und eine tief im 19. Jahrhundert eingerichtete Eisenhandlung, die beide längst nicht mehr bestehen, den Lift im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien, einen sogenannten „Paternoster“-Lift, und einiges mehr. 

Um die Jahrtausendwende ein neuer Ansatz, besser personell und technisch ausgestattet: Dokumentationen von Märkten, die Grafitti-Szene, Kohlenhandlungen, die rot gefärbte „Secession“.

Eine Rückschau mit Wehmut, denn nach einigen Jahren konnte diese Aufnahmetätigkeit nicht mehr aufrecht erhalten werden. Es ist bedauerlich …

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      Eisenhandlung

      Eisenhandlung Pelzlbauer in der Webgasse 41, 1994

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          01:24:54 video
          Fahrt durch Wien im Stockautobus

          Linie 13A, 1989

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              00:01:57 video
              Eine alte Drogerie

              Die Parfümerie der Poldi Tesar in der Schönbrunner Straße, 1995

              Kombination aus zwei Videostills zeigt den historischen Paternoster-Lift im NIG ©
              "Paternoster"-Lift im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien

              Hören Sie mehr zu diesem spannenden Thema in unserem Podcast “Resonanzraum”!


              „Und so hat sich das ganze Leben um das KZ gedreht“ – Kindheitserinnerungen einer Tochter von Holocaust-Überlebenden an die KZ-Gedenkstätte Mauthausen

              Februar 2025

              Im Archiv der Österreichischen Mediathek finden sich zahlreiche akustische und visuelle Lebenserinnerungen von Opfern des Nationalsozialismus. Mit dem Verschwinden der letzten Zeitzeug:innen fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlagert sich der Fokus der Oral History mehr und mehr auf deren Nachkommen. Dabei zeigt sich, wie sehr sich die traumatischen Erfahrungen der nationalsozialistischen Verfolgung auch in die Biografien der nachfolgenden Generationen eingeschrieben haben.

              Das spiegelt sich ebenfalls in der Lebensgeschichte von Vera Tal wider, die 2021 vom Historiker Albert Lichtblau für die Sammlung MenschenLeben in Israel interviewt wurde. 

              Michael Maier ist Interviewer und Teil des Projektteams der Sammlung MenschenLeben. Seit seiner früheren Tätigkeit beim „Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus“ der Republik Österreich, bei der er auch persönlich mit Betroffenen der NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik in Kontakt gekommen ist, liegt ihm die Dokumentation von deren Lebensgeschichten besonders am Herzen.

               

              Vera Tal ist die 1946 in Wien geborene Tochter der KZ-Überlebenden Herta und Ludwig Soswinski. Das Engagement ihres Vaters in verschiedenen NS-Opferverbänden – Ludwig Soswinski war unter anderem Obmann der Lagergemeinschaft Mauthausen und Mitbegründer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes – führte dazu, dass Vera Tal in einem Umfeld aufwuchs, in dem der Holocaust und das Gedenken an ihn ständig präsent waren.

              Eine besondere Rolle nimmt in ihren Kindheitserinnerungen die KZ-Gedenkstätte Mauthausen ein, die sie im Interview aufgrund der zahlreichen Aufenthalte dort, als das „Wochenendhäuschen“ der Familie beschreibt. Dabei zeichnet sie ein ungewöhnliches Bild des Gedenkortes, das mehr an einen fröhlichen Kinderspielplatz als an ein öffentliches Denkmal des Schreckens und der Vernichtung erinnert. Dieser Widerspruch scheint bezeichnend für das Aufwachsen von Vera Tal in einer vermeintlichen Normalität, die stets unter dem Eindruck des Holocaust und seiner Folgen stand und auch ihr späteres Leben geprägt hat.

              Interviews wie jenes mit Vera Tal machen deutlich, wie wichtig es ist, auch die Erfahrungen und Lebenserinnerungen der zweiten und dritten Generation von Nachkommen der NS-Opfer zu dokumentieren und sich mit transgenerationalen Traumatisierungen auseinanderzusetzen.

              Schwarzweißfoto von Familie Tal mit VW Käfer ©
              Familienfoto 1959
              Schwarzweißes Familienfoto zeigt Vera Tal als Kind zusammen mit ihrem Bruder am Schoß der Mutter ©
              Vera Tal als Kind mit Mutter und Bruder (1947)
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                  00:02:30 video
                  Ausschnitt aus dem lebensgeschichtlichen Interview mit Vera Tal über ihre Kindheitserinnerungen an die KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Video)

                  Der vorgestellte Interviewausschnitt mit Vera Tal wurde von der Österreichischen Mediathek als Exponat für das museale Projekt „Liberation, Objects!“ der KZ-Gedenkstätte Mauthausen ausgewählt. Dabei soll anlässlich des bevorstehenden 80-Jahre-Jubiläums der Befreiung sichtbar gemacht werden, wo Objekte und Erinnerungen mit Bezug zum KZ Mauthausen aufbewahrt werden.

                  Dem Video liegt ein besonderes Interviewsetting zu Grunde: Während Albert Lichtblau das Interview von Salzburg aus online per Zoom geführt hat, wurde Vera Tal zeitgleich vor Ort in ihrem Haus im Kibbuz Magen in Israel gefilmt. Als Kameramann und zweiter Interviewer fungierte dabei Arije-Aike de Haas (Koordinator der Austrian Heritage Collection am Leo Baeck Institute) mit Unterstützung von Otto Dorfer (Verein Österreichischer Gedenkdienst).

                  Das gesamte Interview mit Vera Tal kann über unseren Online-Katalog angehört werden: Portalsuche | Mediathek


                  Vom Vater der Wasserstoffbombe ...

                  Jänner 2025

                  Edward Teller – oft „Vater der Wasserstoffbombe“ genannt - war ein ebenso genialer Wissenschaftler wie eine kontroversiell beurteile Persönlichkeit. Strikter Befürworter der atomaren Aufrüstung im „Kalten Krieg“ mit der Sowjetunion, stellte er auch Überlegungen zur friedlichen Nutzung der Atomenergie an.

                  Anton Hubauer ist „Allrounder“ der Österreichischen Mediathek. Von Webausstellungen, Sammlungsevaluierung, Digitalisierung und Katalogisierung bis zum Publikumsbetrieb reicht sein Aufgabenbereich.

                  Der 1908 in Budapest geborene Physiker Edward Teller war, neben Robert Oppenheimer, einer der führenden Wissenschaftler des Manhattan-Projektes, dem wichtigsten US-Geheimprojekt im Zweiten Weltkrieg, dessen Ziel die Atombombe war. Nach Kriegsende folgte die Entwicklung von Fissionswaffen zu Fusionswaffen, von der Atombombe zur Wasserstoffbombe. Viele Wissenschaftler, darunter auch Robert Oppenheimer waren dagegen, aus Furcht vor der viel mächtigeren Waffe und den drohenden Konsequenzen. Edward Teller war der vehementeste Befürworter der Entwicklung der Wasserstoffbombe, selbst sah er sich aber nicht als ihr Vater. 

                  Hatte es, trotz massiver Spionage durch die UdSSR, noch von 1945 bis 1949 für die erste Atombombe der Sowjetunion gedauert, so folgte auf den Test der ersten amerikanischen H-Bombe am 1. November 1952, die sowjetische Antwort am 12. August 1953.

                  Die Reportage mit Interview aus dem Jahr 1960, Teil des „United States Information Service“-Bestandes im Archiv der Österreichischen Mediathek, ist ein Paradebeispiel für den damaligen Fortschrittsglauben. Konkret ging es um die mögliche Nutzung von Atom-Detonationen für gewaltige Bauprojekte. 

                  Der "Sedan-Krater" ©
                  Der "Sedan-Krater"

                  „Operation Plowshare“ und „Operation Chariot“ befassten sich mit dem möglichen Einsatz von Kernwaffen für riesige Bodenbewegungs-Arbeiten - „Sie brauchen ein enormes Loch in der Erde, warum nicht eine Atombombe?“. 

                  1962 wurden beim „Sedan“ Atomwaffen-Test, Teil von „Operation Plowshare“, 12 Millionen Tonnen Erde bewegt. Die Atomexplosion hinterließ in der Wüste von Nevada einen Krater von 400 Meter Breite und 100 Meter Tiefe, der noch heute zu besichtigen ist.  

                  „Operation Chariot“ sah gar die Errichtung eines Tiefwasserhafens an der Küste von Alaska durch eine Reihe von Atomexplosionen vor.

                  Zum Glück für Erde und Menschheit blieb es aber bei Überlegungen und Tests. Der massive hochradioaktive Fallout, durch den Detonationspunkt im Erdreich, erschienen selbst damals als eine untragbare Belastung für Menschen und Umwelt. Ähnliche Pläne der UdSSR wurden aus den gleichen Gründen verworfen. Bis zu dieser Erkenntnis gab es aber von beiden Staaten 151 Atomtests, um die Nutzbarkeit von Atomdetonationen für zivile Zwecke zu ergründen.

                  Edward Teller im Jahr 1958 ©
                  Edward Teller im Jahr 1958
                  00:14:23 audio
                  Interview mit Dr. Edward Teller, Professor für Kernphysik an der Universität von Californien
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