Soziale und politische Öffentlichkeit

Frauengeschichte oder eine Geschichte der Frauenbe­wegung kann – zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – mit historischen Tonquellen nicht erzählt werden; es können nicht einmal signifikante Ereignisse, wie die Einführung des Wahlrechts für Frauen in Österreich 1918 mit zeitgenössischen Kommentaren von Frauen belegt werden.

Frauenstimmen: zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist das im Fall des überlieferten gesprochenen Worts – etwas anders stellt sich die Situation im musikalischen Bereich dar – ein überwiegendes Schweigen. Die Gründe dafür sind vielfältig. 
Beginnend mit den Möglichkeiten der Tonaufzeichnung: 1878 wurde der Phonograph von Thomas Alva Edison patentiert und 1887 das Grammophon von Emil Berliner. Wiedergegeben wurden die Töne von Zylindern (Phonograph) oder Schellackplatten (Grammophon), letztere verhalfen dem Medium, vor allem mit Musikeinspielungen, zu einer gewissen Breiten­wirkung. Sprachaufnahmen standen – und stehen – zahlenmäßig weit hinter Musik­aufnahmen. Die heute noch überlieferten Sprachaufnahmen entstanden zu einem guten Teil in einem wissenschaftlichen Kontext. Als Beispiel sei hier vor allem das Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (gegründet 1899) erwähnt, das sich mit auditiver Feld­forschung (Sprachen und Dialekte) und Stimmporträts beschäftigte. Die frühen Stimmporträts des Phonogrammarchivs (über­wiegend in den Jahren 1906 und 1907 entstanden) gliedern sich grob in die Bereiche Mitglieder des Herrscher­hauses, Politiker und Beamte; Wissen­schaftler; Musiker; Schriftsteller; Bildende Künstler; Schauspieler – und, wenig überraschend (mit Ausnahme des Bereichs Schauspieler): Frauen finden sich nur unter den Musiker/innen, Schriftsteller/innen und Bildenden Künstler/innen. Das Fehlen von Frauenstimmen in den Bereichen Politik und Wissenschaft ist nicht nur ein Bild, das sich aus dieser Sammlung ergibt, sondern es entspricht der Überlieferung generell, sowie der gesellschaftlichen Realität am Beginn des 20. Jahrhunderts. Das aktive und passive Frauenwahlrecht, und damit die Möglichkeit einer Vertretung in einer politischen Körperschaft, wurde erst 1918 eingeführt. Die erste weibliche Universitätsprofessorin gab es in Österreich 1921 (die Sprachwissenschaftlerin Elise Richter). 
In der Öffentlichkeit waren Frauen zu einem großen Teil in sozialen Rollen präsent, unzählige Wohltätigkeitsvereine waren zur Jahrhundertwende eine Domäne weiblicher Betätigung – vor allem bürgerlicher Schichten.

Werbung für den Phonographen, USA 1913. Karikatur einer Frau, die den Phonographen bedient. ©
Sprachaufnahme mittels Phongraph
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Greetings to the dear old comrades of Balaclava
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Abbildung von Florence Nightingale (12. Mai 1820, Florenz – 13. August 1910, London), Begründerin der modernen Krankenpflege. ©
Florence Nightingale
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Gespräch von Tante Boulotte (Bertha von Suttner)
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Abbildung von Bertha von Suttner ( 9. Juni 1843 – 21. Juni 1914). Friedensnobelpreisträgerin. ©
Bertha von Suttner

LEBENS- UND ORGANISATIONSFORMEN VON FRAUEN ENDE DES 19. UND AM BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS

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Arbeiterinnenleben und Arbeiterinnenbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert - 1. Teil
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Arbeiterinnenleben und Arbeiterinnenbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert - 2. Teil
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Vortrag „Die soziale Lage der weiblichen An­ge­stellten Wiens um die Jahr­hundert­wende“
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Dienstmädchen in Wien um die Jahrhundertwende - 1. Teil
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Dienstmädchen in Wien um die Jahrhundertwende - 2. Teil
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Die Lage der Studentinnen in Österreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts
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Betrachtet man die Geschichte der Frauenbewegung, so steht die Habsburgermonarchie, was die Öffentlichkeit und die politische Agitation betrifft, hinter den angelsächsischen Ländern zurück – aus diesen sind auch politische Statements von Frauen überliefert, wie etwa von Christabel Pankhurst, einer britischen Suffragette. Dennoch: Frühe Tonaufzeichnungen wurden nicht als Medium politischer oder gesellschaftlicher Agitation eingesetzt – und die Quellenlage ist hier für Frauenstimmen und Männerstimmen ähnlich. Es ist ein medienspezifisches und ein gesellschaftliches Abbild, das hier durchschlägt. Es lohnt sich auch, die Art der Aufnahmen näher zu betrachten. In der Frühzeit steht oft das Faszinosum, mittels technischer Möglichkeit einen bislang nicht konservierbaren Teil der Persönlichkeit – die Stimme – festzuhalten und womöglich über den Tod hinaus zu konservieren im Vordergrund – und weniger das Gesagte. Und was für unsere Ohren heute diese Aufnahmen charakterisiert, das ist die oft sehr schlechte Tonqualität, die viele der Einspielungen nur mit Transkript verständlich macht – oder die unverständlich bleiben, wie im Fall der Aufnahme von Bertha von Suttner.

Aufnahme von Christabel Pankhurst aus dem Jahr 1905. ©
Christabel Pankhurst