Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb ist Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Nach seinem Studium war er wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Bruno Kreisky Archiv und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft. Er ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte und des Akademischen Senates der Universität Wien.
Als Zeithistoriker ist Oliver Rathkolb sein eigener Medienarchivar. Waren es zu Beginn vor allem Radiosendungen, die er auf Kompaktkassetten oder später DAT-Kassetten aufnahm, so kamen später Aufzeichnungen von Fernsehsendungen dazu. Besonders die großen zeithistorischen Debatten, die ihren Niederschlag auch in umfangreichen Fernsehdokumentationen und -diskussionen fanden, befinden sich in seinem Privatarchiv, aber auch unikates Material seiner eigenen Forschungstätigkeit.
Ton- und Videoaufnahmen haben für Oliver Rathkolb als Wissenschaftler im Vergleich zu Texten eine zusätzliche Bedeutungsebene. Die Akzentuierung, die Verzögerungen beim Sprechen, all das verdeutlicht den Denkprozess der Protagonist/innen und mit der zusätzlichen Ebene des Bildes bei Videoaufnahmen kommen auch noch Gestik und Mimik dazu. Diese emotionalen Facetten sind auch für die wissenschaftliche Forschung interessant, etwa im Bereich der Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Art, wie etwas gesagt wird, von welchem Tonfall, von welcher Gestik und Mimik das Gesagte begleitet wird, hilft dem Zeithistoriker bei der Beurteilung und Kontextualisierung der Inhalte der Quelle.
Oliver Rathkolb war auch Produzent: In den 1980er Jahren dokumentierte er als Videofilmer Familienereignisse und Urlaube, aber er produzierte auch zeithistorische Videos, wie etwa die filmische Dokumentation einer Reise nach Nordkorea in Begleitung von Bruno Kreisky – ein Beispiel dafür, dass Amateurvideos eine wichtige ergänzende Quelle sind, unterscheiden sich diese Videos doch deutlich von der veröffentlichten Version des zensurierten Staatsfernsehens.
Die Möglichkeit, Erinnerungen zusätzlich in Form von Ton und Bewegtbild zu bewahren, ist nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht, sondern auch bezüglich der Weitergabe familiärer Erinnerungen eine Form, die erst seit wenigen Generationen besteht. Theoretisch könnten wir heute alles aufnehmen und Lücken werden uns später manchmal schmerzlich bewusst. Die dauerhafte Bewahrung der unterschiedlichen Formate im privaten Bereich ist jedoch – im Unterschied zum Archiv – fraglich.
Dieser Bericht stammt aus dem Mittagsjournal des Radiosenders Ö1. Die Hörfunkjournale des ORF sind wichtige akustische Dokumente zur österreichischen Zeitgeschichte. Die Österreichische Mediathek hat unter www.journale.at die Sendungen von 1967 bis 1999 zugänglich gemacht.
1988
"Die Präsentation des Berichtes der Historikerkommission über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim 1988 war einerseits eine innenpolitische Bombe – Vizekanzler Alois Mock blockierte die deutschsprachige Publikation in Buchform –, aber symbolisiert den Beginn einer nüchternen und faktenorientierten Analyse des Wissensstandes von Kurt Waldheim über Kriegsverbrechen der Wehrmacht und SS u. a. am Balkan während des Zweiten Weltkrieges und war ein wichtiger Beitrag auf dem Wege zur Aufgabe der österreichischen Selbstsicht, bloß Opfer des deutschen Nationalsozialismus geworden zu sein."
Für viele Menschen sind bestimmte Radiosendungen ein fester Bestandteil ihrer Erinnerung. Die Möglichkeit, diese Erinnerungen wieder aufzufrischen, sind eingeschränkt, da lange Zeit in den Rundfunkanstalten nicht an eine Archivierung der Sendungen gedacht wurde. In der Frühzeit des Radios waren die technischen Möglichkeiten zur Archivierung limitiert. Mit dem Aufkommen des Tonbandes wurde das Speichern leichter, das Trägermaterial war jedoch teuer, die Tonbänder wurden mehrmals verwendet und die Sendungen somit überspielt. Aber auch in späterer Zeit ist die Überlieferung oft noch bruchstückhaft und manche Sendereihen sind nur zu geringen Teilen erhalten.
Die Österreichische Mediathek bewahrt auch Radio-Mitschnitte österreichischer Sender in ihrem Archiv, welche sie zum Teil selbst angefertigt hat und weiterhin anfertigt.
1993
"Axel Cortis Schalldämpfer war für mich in Litschau im tiefsten Waldviertel, wo ich aufgewachsen bin, eine ganz wichtige Sendung im Sinne der politischen und gesellschaftlichen Aufklärung. Ich habe keinen Beitrag von ihm ausgelassen, und Corti hat mich mit seinen klugen und sprachlich gekonnten Analysen im positiven Sinne des Wortes politisiert und mir demokratisch-republikanische Einstellungen vermittelt. Ich war ganz stolz, als sich Axel Corti als Hintergrundlektüre für seine Film-Trilogie „WOHIN UND ZURÜCK“ meine ungedruckte Dissertation zum Thema „Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945-50“ in meiner Studentenbude ausgeborgt hat."
Wiedereröffnung Wiener Staatsoper 1955
"In diesem großartigen Beitrag von Heinz Fischer-Karwin wird Bruno Walter, einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, der auch die Wiener Staatsoper und vor 1938, vor seinem erzwungenen Exil in den USA, die Salzburger Festspiele höchst positiv geprägt hat und leider fast total in Vergessenheit geraten ist, interviewt. Obwohl seine Tochter Lotte Walter-Lindt 1938 in Wien mehrere Wochen inhaftiert war, hat er gegenüber seinem geliebten Wien nie einen nachhaltigen Groll verspüren lassen. Selbst seinem Schüler Karl Böhm, der den nationalsozialistischen Opernbetrieb geprägt hatte, hatte er dessen politische Nähe mit dem NS-Regime letztlich nach einigen Jahren verziehen."
"Lange Zeit waren die Quellen dieses ersten österreichischen Oral-History-Projektes, das ein Team um Ludwig Jedlicka und dem Institut für Zeitgeschichte in dem Waldviertler Ort Ottenschlag zu den Erinnerung an das Kriegsende 1945 durchgeführt hatte, verschwunden. Erst die Mediathek hat diesen „Schatz“ gehoben und der Forschung zugänglich gemacht – obwohl natürlich die Interviews aus heutiger methodischer Sicht höchst fehlerhaft durchgeführt wurden. Dennoch war es eine wichtige Pionierarbeit."
Projektleiter dieses frühen österreichischen Oral-History-Projektes war Gerhard Jagschitz, der dann viele Jahre später an der Österreichischen Mediathek ein großes, noch laufendes Oral-History-Projekt umgesetzt hat: MenschenLeben.
In diesem Projekt haben bislang über 1.600 Menschen unterschiedlicher Generationen, sozialer und regionaler Herkunft in mehrstündigen Interviews ihr Leben reflektiert.
"In diesem Vortrag aus 1987 präsentiert der ehemalige Kurier-Chefredakteur und ORF-Reporter, erfolgreiche Autor und Dokumentarist Dr. Hugo Portisch seine Erinnerungen zu dem erfolgreichen Rundfunkvolksbegehren 1964, das er an führender Stelle mitorganisiert hat. Es ist der erste Versuch in der 2. Republik, gegen den Willen der beiden großen Parteien ÖVP und SPÖ, dem ORF durch ein Gesetz mehr Unabhängigkeit von der jeweiligen Regierung zu verschaffen. Ein Meilenstein der Demokratiebewegung, auch wenn er trotz des Erfolges gegen die Obstruktionspolitik der Großen Koalition später schnell wieder verwässert wurde."