Sammlung Arnold Schönberg

„Ganz gewiss ist das Radio – und nicht nur dieses, sondern auch Grammophon und Ton­film – ein Feind! Ein unerbittlicher Feind, der unaufhaltsam vorrückt, gegen den etwas zu tun aussichtslos ist. Die schlimmsten Schäden, die er bewirkt, bestehen [in] der Ge­wöhnung des Ohres an einen unsäglich rohen Ton und an die breiige unklare Zusammen­setzung des Klang­körpers, die jede feine Unterscheidung ausschließt.“

(Arnold Schönberg: Antwort auf eine Rundfrage, 1930)

Arnold Schönberg stand der Schallplatte kritisch gegen­über. Als das Medium in den 1890er Jahren seinen Sie­ges­zug antrat, war er durch Partiturstudium und Musi­zieren mit Freunden bereits zu breiten Re­pertoire­kennt­nissen gelangt. Ton­träger waren nicht nur uner­schwing­liches Luxusgut, sondern für den versierten Musiker angesichts er­heblicher technischer Einschränkungen wenig interessant. Schön­bergs Tochter Nuria erinnert sich, dass der Komponist auch später in den Vereinigten Staaten kaum das Grammophon verwendete.

„Meistens nutzten wir das Radio, wo jeden Abend von 20 bis 22 Uhr klassische Musik gesendet wurde. Zu meinen schön­sten Erinnerungen gehört es, Radio zu hören und meinem Vater über die Schulter zu schauen, während er die Musik in der Partitur verfolgte.“

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Verklärte Nacht op. 4 [Beginn]
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Die Nachteile der Schallplatte waren evident: Die frü­heste Auf­nahme eines Werkes des Komponisten, seine Tondichtung Verklärte Nacht op. 4 für Streich­sextett, erschien 1925 auf sieben Plattenseiten verteilt. Zu stän­digen Unter­brech­ungen des musikali­schen Flusses kam eine bescheidene Tonqualität, die gerade bei reicher besetzten Werken Kompromisse forderte.

Platte in einem handschriftlich beschrifteten Cover. Auf dem Label steht: „The Library of Congress. Division of Music. LA. Recording Laboratory. Arnold Schonberg. Budapest String Quartet. Transfigured Night.“ ©
Platte und Hülle „Verklärte Nacht – Op. 4“

„Gibt es denn niemanden in Schallplatten­industrie, der weiß, dass es für diese Industrie von einigem Wert sein könnte, wenigstens einige meiner Werke in einer authentischen Auf­nahme zu haben? Gibt es niemanden, der voraussieht, dass unsere Nachfolger fragen werden, wie es möglich war – in einer Zeit, in der die Technik so weit fortgeschritten war, das Schaffen der unbe­deutendsten Menschen für die Ewigkeit zu bewahren –, dass niemand erkannte, dass es einen Mann gibt, der in der Zukunft von einigem Interesse sein wird und dass dieser Mann im Dunkeln blieb?“

Arnold Schönberg an Columbia Phonograph Company (19. Dezember 1936)

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Pierrot lunaire op. 21, Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3
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Pierrot lunaire op. 21. Nr. 7 und Nr. 8
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Dennoch erkannte Schönberg bereits früh das Potenzial von Schall­platten. Bei der Planung pädagogischer Projekte empfahl der Kom­po­nist Tonträger als Studienbehelf, um beispielsweise Orchestration am Beispiel der klassischen Meister zu lernen. Nicht zuletzt hoffte er auf eine höhere Verbreitung seiner eigenen Werke. Für die beim re­nommierten Label Columbia erschienene Auf­nahme des Pierrot lunaire – der einzigen publizierten kommerziellen Produktion unter Schönbergs Beteiligung – regte er sogar die Beigabe einer Partitur­edition des Werkes an, um Hörer_innen eine inten­sive Auseinandersetzung zu ermög­lichen.

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Serenade op. 24. Menuett. Trio (Ausschnitt)
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<p>Auszug Partitur „Serenade op. 24. Menuett“</p> ©

Auszug Partitur „Serenade op. 24. Menuett“

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Kammersymphonie op. 9 (Auszug)
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Frühe Tonträger aus Schönbergs Sammlung entstanden oft als Ver­suchs­auf­nahmen im Kontext von Radio­über­tragungen und ent­halten lediglich Auszüge der gespiel­ten Kompositionen. In den USA wurden Übertragungen der Werke Schönbergs mitunter durch am Radio­apparat platzierte Mikrophone mitge­schnitten. Auch wenn die Qualität der Aufzeichnung nur selten dem technischen Standard entsprach, sind die Schallplatten wichtige Quellen zur Reproduk­tions­ästhetik – zumal dann, wenn sie unter Beteiligung von Inter­pret_innen aus dem direkten Umfeld des Komponisten entstanden.

Neben der bereits weithin bekannten Aufnahme sämt­licher Streich­quartette Arnold Schönbergs durch das Kolisch-Quartett zählt dazu auch eine frühe Radio­ein­spiel­ungen mit Ausschnitten der Kammer­symphonie op. 9 oder der Serenade op. 24 durch den Dirigenten Fritz Stiedry. Diese Produktionen geben eine Vorstellung von der Auf­führungslehre der Wiener Schule, nach der eine flexible Vortrags­weise der Verdeut­lichung komposi­tori­sche Strukturen und damit dem Verständnis eines Werkes dient.

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Streichquartett Nr. 1 d-Moll op. 7. Kommentare der Beteiligten
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Streichquartett Nr. 1 d-Moll op. 7. Schluss
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Streichquartett Nr. 2 op. 10. 4. Entrückung
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Platte in einem handschriftlich beschrifteten Cover. Auf dem Label steht: „Part 1. Quartet No. 3 Opus 30. Arnold Schonberg. Kolisch Quartet. Kolisch - Lehner - Khuner - Heifetz. Privatly recorded. Play inside out. 10329“ ©

Platte und Hülle „Streichquartett Nr. 3 op. 30“ (Kolisch-Quartett), Privataufnahme

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Streichquartett Nr. 3 op. 30. 1. Moderato (Auszug)
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Streichquartett Nr. 4 op. 37. 3. Largo (Auszug)
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Über die musikalische Bedeutung hinaus ist der Nachlass Zeugnis einer trans­atlantischen Biographie. Die frühes­ten Audio-Dokumente gehen auf Arnold Schönbergs Zeit in Berlin und sein zunehmendes Engagement für den Rundfunk zurück, dessen Potenzial zur Ver­breitung aktueller Musik er bereits früh erkannte.

„Das wirklich Gedachte, der musikalische Ge­danke, das Unveränderliche, ist in dem Verhält­nis der Tonhöhen zur Zeitteilung festgelegt. Alles andere hingegen: Dynamik, Tempo, Klang und was daraus entsteht: Charakter, Deutlich­keit, Wirkung etc. ist eigentlich nur Mittel des Vor­trages, dient dazu, die Gedanken verständlich zu machen, und läßt Veränderungen zu.“

(Arnold Schönberg: Mechanische Musik­instrumente, 1924)

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Concerto for Violin and Orchestra op. 36. 1. Poco allegro
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Trotz aller Kritik nutzte der technischen Neuerungen aufge­schlossene Komponist Medien zur Tonaufzeichnung auf vielfältige Weise. Im amerikanischen Exil ent­standen gemeinsam mit seiner Frau Gertrud und Tochter Nuria Sprachauf­nahmen, die mittels Selbstschnitt­platten als Gruß­botschaft an Henriette Kolisch, Schönbergs damals noch in Wien lebende Schwieger­mutter gesendet werden sollten. In seinen letzten Lebens­jahren nutzte Schönberg Drahtspulen, um Briefe und musiktheoretische Werke für die Ab­schrift durch seine Assistent_innen zu diktieren. Nach dem Krieg wurden Schall­platten wichtiges Kommu­nikations­mittel im Kontakt mit der Alten Welt. Aus Europa erhielt der Komponist mehr­fach Tondokumente zum wieder­auf­blühenden Konzert­wesen, die ihm Hoff­nung auf ein Weiterleben seines Schaffens unabhängig von seiner direkten Einfluss­nahme machten.

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„Ronny“ Album (Glückwünsche zum Geburtstag)
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<p>Handbeschriebenes Cover „Ronny“</p> ©

Handbeschriebenes Cover „Ronny“

Arnold Schönberg ©
Arnold Schönberg

Wien als Geburtsstadt Schönbergs, als Wiege und Namens­geberin der Wiener Schule wurde als neue Heim­stätte des Nachlasses aus­erkoren: Anfang 1997 wurde die Arnold Schönberg Center Privat­stiftung von der Gemein­de Wien und der Internationalen Schönberg Gesellschaft gegründet. Nach der Transferierung der Sammlung aus Los Angeles und seit der Eröffnung des Arnold Schön­berg Centers im März 1998 steht das Archiv für wissen­schaftliche Studien und For­schung durch Wissenschaftler, Kompo­nisten, Musiker und die Öffent­lichkeit zur Ver­fügung.

2011 wurde der Schönberg-Nachlass von der UNESCO in das Welt­dokumenten­erbe-Register (Memory of the World) aufge­nommen.

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Arnold Schön­berg Center übernahm die Österreichische Mediathek im April 2019 die Schall­plattensammlung des Kompo­nisten zur Digitalisierung und digitalen Langzeitarchivierung.

Arnold Schönbergs Nachlass wurde nach seinem Tod 1951 bis 1967 von seiner Witwe Gertrud Schoenberg verwaltet. In den 70er Jahren entschlossen sich seine Erben, die Sammlung dem 1973 gegründeten Arnold Schoenberg Institute an der University of Southern California in Los Angeles zur Verfügung zu stellen, wo neben einem Aufführungs- und Ausstellungsraum ein modernes Archiv er­richtet wurde, das bis 1997 öffentlich zugänglich war.

Als die Vorgabe der Schönberg-Erben, Institut und Archiv sollten sich in For­schung und Lehre auf die Person Arnold Schönbergs beziehen, in den letzten Jahren von der University of Southern California nicht mehr erfüllt werden konnte, kam es im Jahr 1996 zwischen ihr und den Erben zu einem Rechtsstreit. Um die – nun heimatlos gewordene – Sammlung bemühten sich in der Folge Städte, Universitäten und Private, darunter New York, Wien, Berlin, Den Haag, Basel, Yale, Stanford, Harvard, Arizona, sowie in Los Angeles selbst das Getty Center und die University of California at Los Angeles.

„Für einen, der öfters seine Heimat wechselt ist, ist  d a s  vielleicht seine Heimat. Er hat das alles mitgebracht.“

(Nuria Schoenberg Nono. Dokumentarfilm „Arnold Schönberg – Ein Wiener kehrt heim“, Wien 1998)

(Text: Arnold Schönberg Center)

Literatur

Dörte Schmidt: Schönberg und die Schallplatte oder: Über die technische Reproduzierbarkeit der Musik und das Exil, in: Ereignis und Exegese. Musikalische Interpretation - Interpretation der Musik. Festschrift Hermann Danuser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Camilla Borg et al. Schliengen 2011, 518–599.

Therese Muxeneder: Ethik des Bewahrens. Exil und Rückkehr des Schönberg-Nachlasses, in: Kulturelle Räume und ästhetische Universalität. Musik und Musiker im Exil. Herausgegeben von Claus-Dieter Krohn et al. München 2008, 44-66.

Markus Grassl, Reinhard Kapp (Hrsg.): Die Lehre von der musikalischen Aufführung in der Wiener Schule. Verhandlungen des Internationalen Collegiums Wien 1995. Wien, Köln, Weimar 2002 (Wiener Veröffentlichungen zu Musikgeschichte 3).