- Tonaufzeichnung vor und bis Edison
- Der Phonograph: Musik auf Tonzylindern
- Der Phonograph: Briefe und Diktate
- Das Grammophon: Unterhaltung als Massenprodukt
- Das Nachleben früher Tonaufnahmen
Mit der Möglichkeit der Aufzeichnung entstanden nicht nur neue Verdienstmöglichkeiten für Sänger_innen, sondern es wurden auch neue Räume für neues Publikum geöffnet.
„Die Sänger und Sängerinnen, die er hörte, er sah sie nicht, ihre Menschlichkeit weilte in Amerika, in Mailand, in Wien, in Sankt Petersburg, – sie mochte dort immerhin weilen, denn was er von ihnen hatte, war ihr Bestes, war ihre Stimme, und er schätzte diese Reinigung oder Abstraktion, die sinnlich genug blieb, um ihm, unter Ausschaltung aller Nachteile zu großer persönlicher Nähe, und namentlich soweit es sich um Landsleute, um Deutsche handelte, eine gute menschliche Kontrolle zu gestatten. Die Aussprache, der Dialekt, die engere Landsmannschaft der Künstler war zu unterscheiden, ihr Stimmcharakter sagte etwas aus über des Einzelnen seelischen Wuchs, und daran, wie sie geistige Wirkungsmöglichkeiten nutzten oder versäumten, erwies sich die Stufe ihrer Intelligenz. Hans Castorp ärgerte sich, wenn sie es fehlen ließen. Er litt auch und biß sich auf die Lippen vor Scham, wenn Unvollkommenheiten der technischen Wiedergabe mit unterliefen, saß wie auf Kohlen, wenn im Lauf einer oft zitierten Platte ein Gesangston scharf oder gröhlend verlautete, was namentlich bei den heiklen Frauenstimmen so leicht sich ereignete. Doch nahm er das in den Kauf, denn Liebe muß leiden.“
So manche Sänger_in ereilte bei der Plattenaufnahme die sogenannte „Trichterfurcht“ – die Furcht der professionellen Musiker_innen und Sänger_innen vor der Aufnahmesituation, die zur Zeit der frühen Tonaufnahmen tatsächlich schwierig war. Man musste Erfahrung bezüglich der passenden Lautstärke sowie des richtigen Abstands zum Aufnahmetrichter haben. Eine Nachbearbeitung der Aufnahmen, wie wir sie heute kennen, war nicht möglich. Irritierend für manche Sänger_innen, deren Ruhm in erster Linie ihren Bühnenauftritten zu verdanken war, war auch die Tatsache, dass sich die Bühneninterpretation, die auch von Mimik, Gestik und Präsenz bestimmt war, in ihrer gesamten Emotionalität nicht auf Platte pressen ließ. Manchen Sänger_innen bereitete auch der Gedanke, dass sie für ein zukünftiges Publikum sangen, das in seiner Gesamtheit viel größer war, als man durch eine Vorstellung in einem Opernhaus je erreichen konnte, Unbehagen.
Trotz dieser Einschränkungen waren Plattenaufnahmen bald für viele (Opern-)Sänger_innen Routine und ermöglichten ein nicht unwesentliches zusätzliches Einkommen. Die Möglichkeiten, Platten aufzunehmen und so zusätzliches Publikum gewinnen zu können, hatte weitreichende Auswirkungen. Zum einen kam eine Publikumsschicht mit den Interpretationen der bekanntesten Sänger_innen der Welt in Berührung, die nicht die Gelegenheit zu regelmäßigen Opernbesuchen in den Metropolen hatte. Die Plattenaufnahmen wirkten stilbildend, denn man konnte jetzt den Tenor im Provinztheater mit dem weltberühmten Caruso vergleichen und hatte einen gewissen Standard im Ohr. Dies wiederum wirkte sich auch auf die Interpretationen der Künstler_innen aus, die sich mit ihren Kolleg_innen vergleichen konnten: „Künstler geben offen zu, von der Sprechmaschine so manches gelernt zu haben. Schmedes eignete sich die Atemtechnik Carusos einzig durch wiederholtes Anhören bestimmter Carusoplatten an, was er der Direktion der Deutschen Grammophon-Aktiengesellschaft auch brieflich mitteilte.“ (Phonographische Zeitschrift, Nr. 46, 1910, S. 1026)
„[…] und gibt es auch hiefür viele Gutachten von verschiedenen bestrenommierten Künstlern, welche bestätigen, daß sie nur einen ganz geringen, wenn überhaupt einen Unterschied zwischen der Wiedergabe durch die Grammophonplatte und ihrer eigenen Stimme erkennen.“
La Forza del Destino
I Pagliacci
Tosca
„Und nun setzte plötzlich der weiche, prachtvolle Tenor Carusos ein … „La Donna e mobile …“ Es ist geradezu zauberhaft. Man braucht vor dem singenden Apparat nur die Augen zu schließen, und man meint, den fröhlichen Herzog von Mantua, wie ihn Caruso den Wienern gezeigt hat, erscheinen zu sehen. Die ganze Schönheit, Fülle und Kraft dieser wunderbaren Stimme umrauscht uns mit ihrem ganzen Glanz“
Rigoletto
„Jetzt freilich bleiben die Caruso-Platten und ihr schwermütig-dunkles Timbre. Es ist ein Geschenk, das uns Natur und Technik gemeinsam bereiteten, daß des Edlen Stimme im Grammophon so weich und klar wiederklingt. Man wird sie, ihren metallischen Anstieg und ihr bravouröses Schluchzando, wird ihre Cadenzen und den Strom ihrer dämmrig-milden Schönheit daher noch hören können.“
Für die Aufnahme musste man sich eine eigene, exaktere, Technik zurechtlegen, die wahrscheinlich auch eine Auswirkung auf die weiteren Bühnenauftritte hatte: „Im allgemeinen kann man mit Recht sagen: Die Künstler singen und spielen gewöhnlich in Wirklichkeit gar nie so rein und so gut, als wie vor dem Aufnahmeapparat. Kleine Fehler unterlaufen bald irgendwo, wenn man eine Piece nur einmal hört, wie im Theater oder im Konzertsaale. Auf der Platte aber wird bei öfterem Wiederholen selbst der unscheinbarste Fehler bemerkt und darum muß man sich mit jedem Künstler so lange bemühen, bis er wirklich etwas durch und durch Vollendetes bietet. Und hierin liegt die große erzieherische Rolle, welche die Sprechmaschine im Musikunterricht einnimmt.“ (Neues Wiener Journal, 28.11.1909, S. 29)
Flieh, o flieh
„Unter den Solisten stellt sich abermals Leo Slezak ein, der die Trauungsszene aus „Manon“ singt. Der Künstler hat seine Aufgabe hier ganz merkwürdig und wohl der Maschine entsprechend aufgefaßt. Denn wer ihn auf der Bühne gehört hat, würde ihn hier nicht wiedererkennen. Der Kraftmeier ist hier in einen zarten Tenor verwandelt“.
Sechse, sieben, acht!
Lohengrin
„Wer durch die Wunder der Technik noch nicht völlig abgestumpft und blasiert ist, wird nun doch wenigstens für einen kurzen Augenblick die wunderbare Romantik des Erlebnisses genießen, daß ihm aus der leblosen, unendlich prosaischen Hörmuschel etwa die Gralserzählung aus dem Lohengrin, gesungen von Slezaks strahlender Stimme, entgegentönt.“
Es gab Karrieren, die ihren Ruhm zu wesentlichen Teilen ihren Plattenaufnahmen und der dahinterstehenden Werbung der Industrie verdankten, wie etwa Aristodemo Giorgini. Schon in der Frühzeit der Schellackaufnahmen wird die Rolle der Plattenfirmen deutlich, die „Stars“ machen und ihr Produkt vermarkten. Unter dem Aspekt der Vermarktung ist auch jene Erzählung zu sehen, die sich immer wieder in der zeitgenössischen Presse findet: Dem Publikum – oder auch den Künstler_innen selbst – wird eine Aufnahme vorgespielt und sie alle können keinen klanglichen Unterschied zwischen Aufnahme und Live-Darbietung erkennen. Eine Behauptung, die uns heute schwer nachvollziehbar erscheint, die aber auch damals schon unter dem Gesichtspunkt der Werbung gesehen werden muss – bei aller Faszination für die neuen technischen Möglichkeiten, die immer wieder durchklingt.
La Boheme
„Giorgini ist unstreitbar ein Star und ein genialer Beherrscher des ‚bel canto‘. Sein Organ ist in allen Lagen und allen Stärkegraden äußerst sympathisch und besitzt eine Steigerungsfähigkeit, die in bewunderndes Staunen versetzt. Dabei immer bel canto und niemals ein schreien, die Stimme flexibl, schmiegsam und immer von glockenheller Reinheit. Die Intonation ist selbst in den höchsten Lagen absolut mühelos, Kantilene und Koloratur gleicherweise in höchster Vollendung, ln bezug auf die Trichterarbeit kann man nur sagen, daß hier mit raffiniertester Technik gearbeitet wurde. […] ‚Idealmusik im eigenen Heim.‘“
„Eine der besten Aquisitionen die Pathé gemacht hat, dürfte wohl das Engagement des gefeierten Tenors Aristodemo Giorgini sein. Giorgini ist ein aufgehender Stern, ein Künstler, der berufen ist, Carusos Ruhm mächtig zu überragen.“
Ihren Nachruhm verdanken auch die erfolgreichsten Bühnenkünstler_innen den Plattenaufnahmen: Mit diesen war und ist es erstmals möglich geworden, Interpretationen unmittelbar zu vergleichen – und das über Generationen hinweg.
Im Bereich der klassischen Musik waren es vor allem Sänger_innen, die für einen großen Teil des Umsatzes sorgten, aber auch Instrumentalmusik wurde aufgenommen, vor allem von Solist_innen, deren Interpretationen bis heute als stilbildend gelten, wie etwa jene des Pianisten Alfred Grünfeld.
„Auch von Winkelmann weiß man einiges recht Interessantes zu berichten, was sich bei Aufnahmen zugetragen hat. Er imponierte als Wagnersänger zwar allen seinen Anhängern, jedoch nur an Solo- oder Pianostellen. – Sobald jedoch das Orchester mit einem Fortissimo einsetzte, bemühte er sich nicht, dasselbe zu überschreien, sondern riss bloß den Mund weit auf und – schwieg! – Wozu sich denn anstrengen, wo man seine Kräfte schonen kann! Auf der Bühne gelang ihm dann auch dieser Trick durch Jahre, und nur wenige, ganz intime Anhänger wussten davon. Vor dem Aufnahmeapparate jedoch versagten diese Mätzchen gänzlich, und zwar zu niemanden anderes grösserer Verblüffung als der Winkelmanns selbst.
Das Resultat war derart, dass der Sänger bei sich Einkehr hielt und seither nicht nur seinen Vortrag gestalten, sondern auch mit seiner Stimme am richtigen Orte sparen lernte. Von der Schwäche, seine Pianos auf Kosten der anderen und seiner eigenen Mittel hinauszuschmettern, hat ihn die Sprechmaschine geheilt, und ihr verdankt er auch heute in seinen Vätertagen seine seltene Konservierung.“
Loblied der Venus
Le Nozze di Figaro
„Hedwig Francillo Kaufmann überrascht uns mit […] Sololeistungen von vollendetster Ausführung. […] die ‚Rosenarie‘ aus ‚Figaros Hochzeit‘ mit ihren sehr zarten, reinen und sicher getroffenen Melodienarabesken […]. Man muß sie gehört haben, um die reife Kunst und die hohe Vollendung der Aufnahme voll begreifen zu können.“
„So unwahrscheinlich es auch klingen mag, das Grammophon stellt höhere Ansprüche an den Künstler, als eine Aufführung an der Metropolitanoper. Denn jenes Publikum, dem die Platte gilt, ist noch viel zahlreicher als das der größten Oper der Welt und umfaßt in Raum und Zeit unabsehbar weite Kreise.“
Linda di Chamounix
Il Trovatore
Un Ballo in Maschera
Heimliche Aufforderung
„Das Spiel des Künstlers macht den Eindruck einer gewissen beabsichtigten Lässigkeit. Der alte Fehler aller Klavieraufnahmen, das Mitklirren gewisser Saiten, ist hier vollständig vermieden.“
Faust-Fantasie - 1. Teil
Serenade Napolitaine op. 47 Nr. 2