- Tonaufzeichnung vor und bis Edison
- Der Phonograph: Musik auf Tonzylindern
- Der Phonograph: Briefe und Diktate
- Das Grammophon: Unterhaltung als Massenprodukt
- Das Nachleben früher Tonaufnahmen
Die Technik, Schall auf einem Träger festzuhalten und diesen anschließend durch „Abspielen“ des Trägers wiederzugeben, wurde von Thomas A. Edison im Jahre 1877 entwickelt. Auch andere haben ähnliche Techniken ausgearbeitet, aber es war Edisons Erfindung, die historische Wirkung hatte und die weitere Entwicklung anstieß.
Wenn die Utopie in der Wirklichkeit ankommt, hat sie oft unvorhergesehene Wirkungen. Es ist spannend, dass Edison Musik-Tonaufnahmen offenbar nicht für besonders wichtig hielt. In seinen Verwendungsvorschlägen für seine Erfindung kommen sie erst an fünfter Stelle …
„Letter-writing.- [...]
Dictation.- [...]
Books.- [...]
Educational Purposes.- [...]
Music.- [...]
Family Record.- [...]
Phonographic Books.- [...]
Musical-Boxes, Toys, etc.- [...]
Toys.- [...]
Clocks.- [...]
Advertising, etc.- [...]
Speech and other Utterances.- [...]
Lastly […] the phonograph will perfect the telephone.“
In: The North American Review, May-June 1878, Vol. 126, No. 262, S. 527–536.
Einzig erhaltene Tonaufnahme der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin (fast nicht verständlich).
Stimmporträt Thomas Alva Edison aus dem Jahr 1908
aus dem Jahr 1905
Szenen aus dem Wurstlprater, 1903.
Aufziehen der Burgwache, Wien, Hofburg, ca. 1910.
Dorner-Marsch von C. M. Ziehrer.
Tatsächlich ist Edisons Walzentechnik noch für viele Jahrzehnte für Diktate im Büroalltag verwendet worden, weil sie – verhältnismäßig – leichtes Aufnehmen ermöglichte. Hiebei konnte sie auch nicht von dem neuen Medium der Schellack-Schallplatte verdrängt werden. Die von Emile Berliner 1887 entwickelte Schallplatte wurde industriell bespielt und diente nur zur Wiedergabe, und zwar fast ausschließlich von Musik.
Am letzten Montag stellte sich der „Phonograph“ des Amerikaners Edison den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften in Paris vor. Man hatte das Instrument … auf einen kleinen Tisch gesetzt, vor dem der Gehilfe des Herrn Edison Platz nahm und sehr deutlich die Worte sprach: „Der Phonograph fühlt sich ungemein geehrt, der Akademie der Wissenschaften vorgestellt zu werden.“ Dann steckte er eine Art Trichter in die Maschine und zog sie auf. Plötzlich hörte man sie ganz verständlich, aber in etwas näselndem Tone wiederholen: „Der Phonograph fühlt sich ungemein geehrt, der Akademie der Wissenschaften vorgestellt zu werden.“ Das ist nicht möglich! hieß es von mehreren Seiten und einer der Anwesenden sagte halblaut: „Die Maschine hat dabei nichts zu schaffen, es muß ein B a u c h r e d n e r in unserer Mitte sein.“
Radiofeature des Wissenschaftsjournalisten Reinhold Schlögl
Stimmporträt des großen Physikers Ludwig Boltzmann vom 30.10.1899.
Das im gleichen Jahr gegründete Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften begann – als erstes audiovisuelles Archiv der Welt – mit systematischer Tondokumentation.
Der enge mediale Zusammenhang von Telefon und Tonaufzeichnung wurde von Anfang an erfasst: bei dem einen die gleichzeitige Übermittlung von Sprache und Musik über den Raum, beim anderen die asynchrone Übertragung über die Zeit, also die Tonaufzeichnung.
„Worin besteht nun die wunderbare Leistung des fraglichen Apparates [Phonograph]? Nun, er vermag nicht weniger, als daß er die menschliche Stimme unsterblich macht! […]
Es ist dies in einem gewissen Sinne die Vernichtung der Zeit.“
Die Utopie nimmt runde Form an: Das sprechende und singende Buch der Utopisten wird zur Scheibe.
1887: Emile Berliner stellt die Schallplatte vor – die Tonrille nun spiralig auf einem flachen Träger. In dieser Form erobert die Musikkonserve rasch den öffentlichen und privaten Raum.
Max Kuttner, 1925.
Prometheus.
aus: Der Verschwender von Ferdinand Raimund.
Parallel zur Vorstellung vom eingefrorenen und wieder aufgetauten Ton entwickelte sich der Gedanke, diesen Ton auch an viele Menschen gleichzeitig zu verteilen, also die Vision vom Radio. Diese gewann besonders nach Edisons Erfindung an Aktualität.
Eine Mischung.
1935
The Romance of Marconiphone.
1934
Die große Zeit des Radios beginnt in Österreich im Jahr 1924. Machten zunächst noch „Radiobastler“, also Leute mit zum Teil selbstverfertigten Detektoren, einen großen Teil der Hörer_innen aus, wurde das Radio gegen Ende der Zwanziger Jahre und vor allem im Jahrzehnt danach zum kultur- und politikverändernden Massenmedium.
Als hochgeschätzter Feuilletonist und Schriftsteller bediente sich Eduard Pötzl in seinen Humoresken sehr oft des Wiener Dialekts und schuf Figuren wie die Wiener „Gigerl“ und den archetypische Kleinbürger „Nigerl“. Sein Ausflug in die Prophetie – sein „Aprilscherz“ 1889 – ließ ihn einen Treffer landen: Er sagte die täglichen Radio-Nachrichtensendungen voraus, die freilich bei ihm noch nicht über den Äther kommen.
Ein Vorläufer der Radio-Nachrichten.
„Aprilscherze. […]
Der Daily-Phonograph. […]
Man wußte praktisch mit dem Phonographen nicht viel anzufangen, [aber …] zur Zeit, da Sie diese Zeilen erhalten, erscheint […] in Newyork bereits eine Zeitung ohne Letterndruck und ohne Papier, der ‚Daily-Phonograph‘, ein Blatt, das, auf phonographischem Wege hergestellt, im eigentlichen Sinne des Wortes zu seinen Lesern spricht. […]
Anstatt bedruckten Löschpapiers erhält der Abonnent jeden Morgen durch den Austräger eine Anzahl von Staniolplatten zugestellt, die das Dienstmädchen bloß mit einem höchst einfachen Handgriffe über den Cylinder des Apparates zu legen braucht, worauf sie das Uhrwerk desselben aufzieht und den nun sprechfertigen Phonographen in das Schlafzimmer ihrer Herrschaft stellt. Erwacht diese und ist gelaunt, sich während des Ankleidens erzählen zu lassen, was tags vorher in der Welt vorgegangen, so genügt ein Druck auf die Feder, um den Phonographen zum Sprechen zu bringen.“
In: Eduard Pötzl, Die Leute von Wien. Leipzig, o. J. (1889), S. 50–56.
(Stimmporträt des Phonogrammarchivs, 22. 3. 1907)
Kurzporträt in der Sendereihe „Chronisten, Reporter, Aufklärer“, ORF, Ö1, 1. 9. 2002.
Der Gedanke, den Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten, zunächst stummen Film mit Ton zu ergänzen, lag nahe und kann nur sehr bedingt als utopisch gelten. Die technisch Umsetzung ließ freilich zu wünschen übrig, obwohl es nicht an Versuchen mangelte. Die Stummfilme wurden meist durch Live-Klavierspiel ergänzt, es gab „Tonbilder“, bei denen parallel abgespielte Schallplatten zum Einsatz kamen und Vorformen wie etwa das Edisonsche Kinetophon, aber der eigentliche Tonfilm wurde erst zu Ende der zwanziger Jahre vorgestellt.
Einspielung 2
Einspielung 1
„Se. Majestät der K a i s e r wohnte heute um 4 Uhr nachmittags einer Vorstellung im Kurtheater bei, wobei [...] Thomas E d i s o n s neuste Erfindung, das K i n e t o p h o n, zur Vorführung gelangte.
[...] Hierauf gelangten vier Bilder zur Vorführung, wodurch die Erfindung Edisons in eingehendster Weise demontriert erschien. Zuerst gelangte ein französischer T o n f i l m zur Vorführung, der erste, der am Kontinent demonstriert wird [...] Seine Majestät sprach [...] seine außerordentliche Befriedigung über das Gesehene aus und ließ [...] den Erfinder E d i s o n z u s e i n e r g r o ß a r t i g e n E r f i n d u n g b e g l ü c k w ü n s c h e n.“
Utopien beschleunigen in der Regel die Zeit und zielen auf die Zukunft. In einem umgekehrten „Verfahren“ lässt sich dies in Ausnahmefällen quasi umdrehen. Wie mit einer Zeitmaschine begibt man sich in die Entstehungzeit des Filmes und tut, was damals nicht möglich war: Man kombiniert Bild und Ton zum Tonfilm. Freilich geht das nur, wenn ein zugehöriger sinnvoller Ton vorliegt, was selten der Fall ist.
Ursprünglich wurden während der Vorführung des Stummfilmes Schallplatten mit einer eigens komponierten und auf den Flm abgestimmten Tonkulisse abgespielt. Dies wurde nun kombiniert und zu einem Tonfilm zusammengefasst.
Sergej Eisensteins berühmter Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ wurde Ende der 1920er Jahre mit einer Tonkulisse versehen. Der Komponist Edmund Meisel kombinierte seine Filmmusik mit Geräuschen und Dialog, die mittels des sogenannten Nadeltonverfahrens auf Schallplatte aufgenommen wurden. Diese Kombination von Filmvorführung und Plattenzuspielung war schon bald – mit Aufkommen des Tonfilms – obsolet.
Rund 70 Jahre später entdeckte Martin Reinhart die Schallplatten im Technischen Museum Wien. Damit konnte eine digitalen Tonfassung des Filmes hergestellt werden (von der Universität der Künste Berlin in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum und der Österreichischen Mediathek).
Nachträglich einen Stummfilm zu vertonen, ist wohl nur sinnvoll, wenn von vornherein ein zur Bildfolge vorgesehener Ton in Form von Schallplatten oder Phonogrammen vorliegt.