Briefe und Diktate

Bei den Anwendungsmöglichkeiten, die Thomas Alva Edison selbst für seinen neuen Phono­graphen mitsamt den Wachswalzen vorschlug, stand das Auf­nehmen von Briefen und Diktaten an erster Stelle. Erst danach dachte er an die Musikwiedergabe, auch wenn sich die Musik zum größten und lukrativsten Anwendungsgebiet entwickelte. Für den Bereich der privaten bzw. nicht industriellen Aufnahme hatte Edison zudem das Erstellen von akustischen Familienarchiven, die Archivierung von Sprachen, sowie das Speichern von Telefongesprächen im Sinn.

Briefe und Privataufnahmen

Edison selbst versandte sein erstes „Postphonogramm“ im Jahr 1888: Auf zwei Wachswalzen hatte er einen Brief an seine Vertreter und eine Werbe­botschaft für eine öffentliche Vorführung seiner Erfindung gesprochen. Das Abspielgerät, seinen verbesserten Phonographen, musste er mit den Walzen mitsenden. Das verweist bereits auf eine essentielle Komponente beim Audiobriefe-Schreiben: die Empfän­ger_innen benötigen ein passendes Abspielgerät, um die an sie gerichteten Botschaften auch hören zu können. Verfügten sie über ein solches nicht, fand man allerdings Abhilfe: Häufig gab es öffentliche Orte wie Restaurants, die über Geräte verfügten und in entsprechenden Zeitschriften für die Allgemeinheit verzeichnet waren.

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„This is Ralph’s birthday […] wish you a happy new year Grandpa“

Privater Brief vom 26. Dezember 1909 (Englisch)

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Seit der Erfindung des Phonographen wurde über Möglich­keiten nachge­dacht, die für den Postverkehr etwas un­hand­liche dreidimensionale Wachs­walze, preisgünstig zu versen­den und Postbestimmungen für den phono­graphischen Brief zu erlassen. 1901 stellte die Phonographische Zeitschrift die Erfindung eines Holzkästchen vor, das den Transport von kleineren, für den Postweg besser geeigneten Walzen möglich machte.

„Die Walze ist extra kurz, sodass sie in ein würfelförmiges Holzkästchen, dessen Dimensionen die für die Briefpost vorgeschriebenen Grösse nicht überschreiten, eingelegt werden kann. Eine solche kurze Walze enthält völlig genügenden Raum für eine phonographische Mitteilung, die als Brief mehrere Seiten füllen würde.“

Phonographische Zeitschrift 2/26, 15.12.1901, S. 316

Ein Postkästchen aus Holz ermöglichte den Versand per Post ©

Ein Postkästchen aus Holz ermöglichte den Versand per Post

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Ein Audiobrief an den Vater (Englisch)

Aus dem UCSB Cylinder Archive

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Die Möglichkeit der Tonaufnahme wurde auch dafür genutzt, Geräusche, Lieder und Eindrücke des alltäglichen Lebens einzufangen.

Eine besondere Sammlung akustischer Grüße, die in Österreich phonographiert und in die USA mitgenommen wurden, ist die Florian Fuchs Collection im USCB Cylinder Archive an der Universität von Kalifornien, Santa Barbara.
Florian Fuchs emigrierte 1887 als Teenager in die USA. Nach 25 Jahren kehrte er für einen Besuch nach Ullrichs, sein Heimatdorf in Nieder­öster­reich, zurück. Dort haben ihm Familie und Freunde Wachswalzen besprochen und besun­gen, um sie ihm als akustische Grüße aus der Heimat mit in die USA zu geben. Die Sammlung besteht aus über 30 Wachszylindern, die ihm seine Familie und Freunde besprochen, besun­gen und mit Geräuschen wie Kirchenglocken bespielt haben.

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Liedergruß an die Familie Fuchs in Amerika

Die Verwandten von Florian Fuchs singen eine akustische Erinnerung auf einen schwarzen Wachszylinder

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Zum Abschied

Gesungener Gruß von der Nacht der Abreise

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„Jahre sind verflossen, seit wir unsere Geschwisterstimmen nicht hören konnten …“

Josefa Bauer und Franz Zeuchmann grüßen Familie Fuchs

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„Wir möchten ihn am liebsten noch länger hier bei uns behalten …“

Anna Bachhammer grüßt Familie Fuchs in Amerika – 1912

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Erzählung über eine Audienz beim Papst – 1912

„Der heilige Vater, er war so liebens­würdig auch, und so freundlich und wirklich“

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Frau mit Phonographen, Wachszylindern und Koffergrammophon ©

Frau mit Phonographen, Wachszylindern und Koffergrammophon

Ein Geburtstagsgruß aus dem Jahr 1900

Ein Geburtstagsgruß zum 65. Geburts­tag des Vaters, aufgenommen auf Wachswalze vor über 120 Jahren ist eine der ältesten erhaltenen Privat­auf­nahmen und wird in der Öster­reichi­schen Mediathek – nur durch einen Zufall – als Kopie auf Tonband aufbewahrt.

Die Aufnahme eines historischen Hör­briefs vom 9. Jänner 1900 spielte der Phonographen-Sammler Bruno Fritscher in einer Radiosendung über „Phonographen, Parlographen und andere Sprechmaschinen“ im Jahr 1986 ab. Die Radio­sendung wurde von der Phonothek, der Vorläuferin der Öster­reichischen Mediathek, auf Tonband aufgenommen und archiviert. So ist dieser frühe Brief zumindest in kopierter Form erhalten.

00:40:28 (00:34:13 bis 00:35:38) audio
„Hoch soll er leben!“

Zum 65. Geburtstag des Vaters

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Elf Privataufnahmen auf braunen Wachswalzen aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts befinden sich in der Österreichischen Mediathek. Auf der Unterseite der Ver­packung befinden sich Beschriftungen wie „Von der Mutter gesungen […]“, „Taufe von Josef, 27/1 1901“ oder „Von der Groß­mutter. Komm in die Gondel“. Es sind seltene Unikate, die derzeit im Projekt SONIME untersucht und digitalisiert werden, um sie für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Braune Wachswalze „Von der Großmutter“ ©

Braune Wachswalze „Von der Großmutter“

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Wünsche an die Großmutter zum 66. Geburtstag
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Handschriftlicher Titel einer Privataufnahme „Von der Mutter gesungen“ ©

Handschriftlicher Titel einer Privataufnahme „Von der Mutter gesungen“

Hobbyphonographin Bertha von Suttner

Hobbyphonographin Bertha von Suttner

Die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner besaß einen Phonographen, und nahm ihre Stimme, aber auch Gespräche mit anderen auf. Vermutlich existierten einmal mehr Zylinder mit ihrer Stimme. Bekannt ist zurzeit nur eine Aufnahme in der Österreichischen Mediathek. Darauf ist Bertha von Suttner aber nur noch zu erahnen. Ob sie so oft abgespielt wurde oder schon in schlechter Qualität aufge­nommen wurde, ist heute nicht mehr feststellbar.

Bertha von Suttner ©

Bertha von Suttner

Theodor Herzl schrieb über die Haager Friedenskonferenz und Suttners „Tagebuchblätter“:

„Einmal nach dem Diner ging man in den Salon hinüber, wo ein Phonograph aufgestellt war. Schon bei Tische hatte ein russischer Militär-Attaché seine Menukarte um die Tafel kreisen lassen, damit jeder Tischgenosse seinen Namen zur Erinnerung aufschreibe. Herr und Frau v. Suttner wollten die Verewigung der Tischgesellschaft in einer noch moderneren Weise besorgen. Jeder Gast sollte einen Satz in den Trichter des Phonographen hineinsprechen. Der hübsche Vorschlag rief aber allgemeines Entsetzen hervor. Keiner wollte den Anfang machen. Endlich trat ein italienischer Diplomat vor und vertraute dem Phonographen ein Compliment für die Hausfrau an. Der franzö­si­sche Bevollmächtigte Léon Bourgeois sollte der nächste Sprecher sein. Aber es stellte sich heraus, daß die Aufnahme mißlungen war, und es war nicht mög­lich, den Apparat redetüchtig zu machen. Einige athmeten erleichter auf, als ob man sie eines Trinkspruchs enthoben hätte. Einer – ich weiß nicht mehr, wer es war – meinte:

‚Jetzt, da es zu spät ist, weiß ich, was ich hätte hineinrufen können. Diesen Satz: Der Phonograph stößt uns die berechtigte Furcht vor der Nachwelt ein.‘

Herr Bourgeois sagte darauf: ‚Dasselbe können Sie auch von der Photographie behaupten.‘

‚Ja wol, von Allem, was uns fixirt.‘“

Theodor Herzl: Das Suttner’sche Tagebuch, in: Neue Freie Presse vom 13. Juni 1900, S. 1–3.

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Gespräch von Tante Boulotte (Bertha von Suttner)

Ebenfurth, 23. Mai 1904

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Verpackung und Rillenbild der Walze Bertha von Suttners in der Österreichischen Mediathek ©

Verpackung und Rillenbild der Walze Bertha von Suttners in der Österreichischen Mediathek

Phonograph mit Wachswalzen ©

Phonograph mit Wachswalzen

Diktiergeräte und -walzen: Eine Bedrohung für weibliche Stenotypistinnen

Die neue Technik der Stimmaufnahme fand auch rasch Ver­wendung im Büro. Dafür wurden längere Walzen produziert, die etwas mehr Auf­sprach­zeit hatten. An den Diktiergeräten war meistens eine Zeitleiste angebracht sowie Kopfhörer zum Abhören der Nachrichten.

Die Österreichische Frauen-Rundschau veröffentlichte im Jänner 1913 den Brief einer Stenotypistin, die darauf aufmerksam machte, dass weibliche Handelsangestellte mit dem zu­neh­men­den Einsatz von Diktiermaschinen wie „Le Dictaphone“ geringer entlohnt werden. Treffend entlarvte sie die sexistische Ausrichtung des Dikta­phone-Verkaufsprospekts, das zwar Vorteile verspricht, aber nur für männliche Angestellte, während sich für die weiblichen Handelsangestellten nur Nachteile ergäben:

„[D]ie Maschinschreiberin versieht sich mit dem Hörapparat in der Art desjenigen der Telephonistinnen (derselbe erhitzt die Ohren und man hat den ganzen Abend noch das Gefühl, den Apparat an den Ohren befestigt zu haben, worauf der Dictaphone mit Hilfe eines Pedales, das mit dem Fuß bedient wird, in und außer Betrieb gesetzt wird. Hat man nun ein Wort nicht verstanden, oder kann man dem Apparat nicht schnell genug folgen, so muß das Pedale mit einem Ruck ausgelassen werden, sonst arbeitet der Apparat weiter. (Eine aber­malige Anforde­rung an die Nerven.) Wie aus vorgesagtem hervorgeht, sind Hände, Füße, Ohren auf einmal beschäftigt, ganz abgesehen von dem Gehirn, das auf richtige Bildung der Sätze, Zeichensetzung, neue Absätze achten muß.“

Österreichische Frauenrundschau, Jänner 1913, S. 8.

Die Schreiberin fordert in Anlehnung an die Dienstordnungen für Telephonis­tinnen weniger Arbeitsstunden für „Dicta­phonistinnen“ und ruft zur Verweigerung von Stellen auf, in denen Handelsangestellte gezwungen sind, mit dem „Dictaphone“ zu arbeiten.

„An das Gehör werden ungemein hohe An­forderungen gestellt und es ist nahezu ein Ding der Unmög­lichkeit, schwierige Diktate Wort für Wort dem Grammophon zu ent­nehmen; […] Ich glaube, vorher­gesagtes erläutert zur Genüge, was diese Erfindung für die weiblichen Bureaukräfte zu bedeuten hat, deren Kampf ohnehin immer schwie­riger wird, da die wenigsten derselben zu wirklich verantwor­tungs­vollen Arbeiten zugezogen werden […]“

Österreichische Frauenrundschau, Jänner 1913, S. 8.

„Hat man nun ein Wort nicht verstanden, oder kann man dem Apparat nicht schnell genug folgen, so muß das Pedale mit einem Ruck ausgelassen werden, sonst arbeitet der Apparat weiter. (Eine aber­malige Anforde­rung an die Nerven.) Wie aus vorgesagtem hervorgeht, sind Hände, Füße, Ohren auf einmal beschäftigt, ganz abgesehen von dem Gehirn, das auf richtige Bildung der Sätze, Zeichensetzung, neue Absätze achten muß.“

Österreichische Frauenrundschau, Jänner 1913, S. 8.

Verpackung einer Wachswalze der Marke „Dictaphone“ – eine Seite zeigt den männlichen und diktierenden Geschäftsmann, die andere Seite die hörende und tippende Sekretärin ©

Verpackung einer Wachswalze der Marke „Dictaphone“ – eine Seite zeigt den männlichen und diktierenden Geschäftsmann, die andere Seite die hörende und tippende Sekretärin

Werbeanzeige für das „Dictaphone“ ©

Werbeanzeige für das „Dictaphone“

Diktiergerät „Dictaphone“ Model 10 Type A, 1920er Jahre ©

Diktiergerät „Dictaphone“ Model 10 Type A, 1920er Jahre

Werbung: Die Diktiermaschine war allerdings so erfolgreich, dass die Wiener Vertriebsgesellschaft des „Dictaphone“ größere Räumlichkeiten suchte ©

Die Diktiermaschine war allerdings so erfolgreich, dass die Wiener Vertriebsgesellschaft des „Dictaphone“ größere Räumlichkeiten suchte

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Mann diktiert Geschäftsbriefe (Englisch)

Aus der David Giovannoni Collection am UCSB Cylinder Archive

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Das Hudson Studio der „Dictaphone Company“, Massachusetts ©

Das Hudson Studio der „Dictaphone Company“, Massachusetts