Die Geschichte Südtirols in den Ö1-Journalen

„Los von Rom? Jeder weiß, dass das unmöglich ist.“
(Luis Durnwalder, 24 Jahre lang Südtiroler Landeshauptmann)

 

Dieses Themenpaket behandelt einige Aspekte der Geschichte Südtirols von 1918/19, dem Abschluss des Vertragsvon St. Germain, bis zur Streit­bei­le­gung 1992 und darüber hinaus.

An­hand ver­schiedener Ton­dokumente, haupt­sächlich Bei­träge aus Journale-Sendungen des öster­reichischen Radio­senders Ö1, werden unter anderem die Themen Minder­heiten­rechte, be­waffneter Wider­stand/Terrorismus und Auto­nomie be­handelt und die Ent­wicklung des Süd­tirol­konflikts chrono­logisch be­leuchet.

Darum geht’s

Anhand der Geschichte Südtirols sollen die Schüler/innen über die Hinter­gründe des Konflikts zwischen Österreich und Italien informiert und für den Umgang mit autochthonen Minderheiten sensibilisiert werden. Die Schüler/innen sollen durch gezielte Frage­stel­lungen und Arbeits­an­weis­ungen im Sinne eines re­flek­tierten G­eschichts­be­wusstseins Frage-, Orientierungs- und Sachkompetenz er­langen. Ein weiteres Ziel ist, dass die Schüler/innen lernen, his­torische Zu­sammen­hänge zu ver­stehen und zu er­kennen. Dazu gehört auch zu be­greifen, dass historische Er­eignisse mit der An­gabe eines Grundes bzw. einer Ursache nicht erklärt werden können.

1. St. Germain

Im Mittagsjournal vom 10. September 1999 wurde über den im Sep­tem­ber 1919 unter­zeichneten Friedens­ver­trag von St. Germain und seinen Folgen für Tirol berichtet.

00:55:59 (00:41:40 bis 00:50:38) audio
80 Jahre Vertrag von St. Germain

Beitrag im Mittagsjournal vom 10. September 1999
(von Minute 41:40 bis 50:38)

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Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Vertrag von St. Germain die Auflösung der öster­reichischen Reichs­hälfte Österreich-Ungarns geregelt und es wurden die Bedingungen für die neue Republik fest­ge­halten. Südtirol musste demgemäß an Italien abgetreten werden. Nach der Machtergreifung des Faschisten Benito Mussolini in Italien 1922 kam es in Südtirol zu massiven Re­pressionen gegen­über der deutsch­sprachigen Be­völker­ung bzw. der deutschen Sprache. Der Ein­marsch der national­sozialist­ischen Truppen in Österreich am 12. März 1938 wurde von der Mehr­heit der deutsch­sprachigen Be­völkerung Südtirols in der Hoffnung begrüßt, dass bald auch Süd­tirol ins Deutsche Reich eingegliedert werde. Das Gegenteil war je­doch der Fall. Die italienische Zu­stim­mung für den „Anschluß“ Österreichs ging mit dem endgültigen Verzicht auf Südtirol und der Zustimmung zur Assimilation bzw. Umsiedlung der nicht assimilations­bereiten Süd­tiroler/innen in das Deutsche Reich einher. Am 23. Juni 1939 kam es in Berlin zur Ver­ein­barung über die Kom­plett­um­siedlung der Südtiroler/innen ins Deutsche Reich. Durch die „Option“ teilte sich die deutsch­sprachige Süd­tiroler Be­völker­ung in „Optantinnen und Optanten“ – jenen, die für die Um­sied­lung nach Deutschland stimmten – und den „Da­bleib­erinnen und Dableibern“, – jenem deutsch­sprach­igen Be­völkerungs­teil, der in Süd­tirol bleiben wollte.

<p>Siegesdenkmal in Bozen</p>

Siegesdenkmal in Bozen

00:57:51 (00:38:15 bis 00:40:44) audio
Diskussion um das Südtiroler Selbstbestimmungsrecht

Mittagsjournal vom 3. September 1991
(Minute 38:18 bis 40:44)

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2. Nach dem Zweiten Weltkrieg

Am letzten Tag des Zweiten Weltkriegs, dem 8. Mai, gründeten einige Mit­glieder des „Andreas-Hofer-Bundes“ die „Süd­tiroler Volks­partei“ (SVP). Auf­grund der Leistungen der Wider­stands­kämpfer/innen im Zweiten Welt­krieg wurde die Partei von der Militär­regierung sofort zu­ge­lassen. Die SVP galt als Garant für eine anti­national­sozialis­tische Aus­richtung. Als wichtigste Auf­gaben wurden genannt: nach 25-jähriger Unter­drückung durch Faschis­mus und National­sozialis­mus den kulturellen, sprach­lichen und wirtschaft­lichen Rechten der Süd­tiroler/innen auf der Basis demo­kratischer Grund­sätze Geltung zu ver­schaffen; zur Ruhe und Ordnung im Land bei­zu­tragen und den An­spruch des Süd­tiroler Volkes auf Aus­übung des Selbst­be­stimmungs­rechtes bei den alliierten Mächten zu ver­treten.

Am 14. September 1945 entschieden die Siegermächte in London, dass Süd­tirol vor­erst bei Italien bleiben würde. Man war ledig­lich bereit, öster­reichische Vor­schläge für kleinere Grenz­be­richtig­ungen zu­gunsten Öster­reichs zu prüfen.

Für die österreichische Regierung gab es unmittelbar nach dem Krieg andere Prioritäten als Süd­tirol. Den­noch wurde in den folgenden Monaten im Zuge des inten­siven diplo­matischen Kon­takts zu den Sieger­mächten auch Süd­tirol immer wieder thematisiert.

Historisch wurde mit der über 600-jährigen Geschichte Tirols als Teil von Öster­reich argu­men­tiert. Man wollte eine Revision der Ent­scheidung des Jahres 1919 er­reichen, als Süd­tirol Italien zu­ge­sprochen worden war. Zur Be­kräftigung der Argu­mentation wurde auch der von 1913–1921 amtierende US-Präsident Woodrow Wilson zitiert, der in den 1920er Jahren be­züglich Süd­tirols „von einer Fehl­ent­scheidung“ ge­sprochen hatte. Wirtschaft­lich wurde so argu­mentiert, dass der Verlust, den Italien erleiden würde, sehr gering sei im Vergleich dazu, was Österreich gewinnen würde. Das erklärte Ziel war die Selbst­be­stimmung Süd­tirols, was nur mit der Rück­kehr zu Öster­reich zu ver­wirklichen sei. Eine Volks­ab­stimmung durch­zu­führen, lehnten die Alliierten ab.

<p>Südtirol ist nicht Italien</p>

Südtirol ist nicht Italien

3. Das Gruber-De-Gasperi-Abkommen (Das Pariser Abkommen)

Am 1. Mai 1946 lehnten die Alliierten die Wiedereingliederung Süd­tirols in öster­reichisches Staats­gebiet erneut ab. Die Ent­scheidung ist vor allem vor dem Hinter­grund des Ost-West-Konfliktes zu sehen. Den Alliierten war mehr mit einem ver­lässlichen Bünd­nis­partner Italien ge­dient als mit einem größeren Österreich, dessen Zukunft noch un­ge­wiss war.

Am 5. September 1946 unterzeichneten der österreichische Außen­minister Karl Gruber und der italienische Minister­präsident Alcide De Gasperi jenes Ab­kommen in Paris, welches als das „Gruber-De-Gasperi-Ab­kommen“ in die Ge­schichte ein­ging. Die wesent­lichen Punkte dieses Ab­kommens waren: Den deutsch­sprachigen Ein­wohnerinnen und Ein­wohnern wird volle Gleich­be­rechtigung mit den italienisch­sprachigen Ein­wohnerinnen und Ein­wohnern im Rahmen besonderer Maß­nahmen zum Schutze des Volks­charakters und der kulturellen und wirtschaft­lichen Ent­wicklung der deutsch­sprachigen Be­völkerungs­gruppe zu­ge­sichert. Dazu gehört u. a. der Schul­unter­richt in der Mutter­sprache, die Gleich­stellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffent­lichen Ämtern sowie bei den zwei­sprachigen Orts­be­zeichnungen und Proporz in öffentlichen Ämtern. Außer­dem wird die Aus­übung einer autonomen regionalen Gesetz­gebungs- und Voll­zugs­gewalt ge­währt und die italienische Re­gierung ver­pflichtet sich zu Be­ratungen mit der öster­reichischen Regierung. Andere wichtige Punkte waren, die „Option“ zu revidieren, ein Ab­kommen für den freien Personen- und Güter­durch­gangs­verkehr zwischen Nord- und Osttirol aus­zu­arbeiten und be­sondere Ver­ein­barungen zur Er­leichter­ung eines er­weiterten Grenz­verkehrs zwischen Öster­reich und Italien.

00:55:47 (00:26:29 bis 00:31:52) audio
50 Jahre Gruber-De-Gasperi-Abkommen

Bericht von der Festveranstaltung aus dem Wiener Parlament im Mittagsjournal vom 5. September 1996 (von Minute 26:29 bis 31:52)

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1949/1950 häuften sich die Beschwerden darüber, dass die im Pariser Ab­kommen ver­ein­barten Regel­ungen be­züglich der Zwei­sprachig­keit nicht ein­ge­halten werden. Ab Juli 1952 musste der gesamte Amts­ver­kehr in italienischer Sprache ge­führt werden. Die Beamten waren aus­schließ­lich Italiener/innen mit schlechten oder gar keinen Deutsch­kennt­nissen und deutsch­sprachige Süd­tiroler/innen hatten keine Chance auf Beamten­posten. Als eines der größten Pro­bleme sahen die Süd­tiroler/innen die von der italienischen Re­gierung ge­förderte Zu­wanderung von italienisch­sprachigen Migrantinnen und Migranten. In der Wohn­bau­politik wurde die deutsch­sprachige Be­völker­ung eben­falls deutlich diskriminiert.

<p>Ministerpräsident de Gaspari</p>

Ministerpräsident de Gaspari

<p>Außenminister Gruber</p>

Außenminister Gruber

4. Die Südtirolfrage vor der UNO

Erst mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Österreichs durch die Unter­zeichnung des Staats­vertrags bestand die Mög­lich­keit, die Thematik vor die UNO zu bringen. 1956 wurde Franz Gschnitzer Staats­sekretär im Außenamt. Der gebürtige Tiroler war ein vehementer Vertreter der Inter­essen Süd­tirols. Er ver­schärfte die Gang­art gegen­über Italien und übte auf den Bundes­kanzler Julius Raab be­züg­lich des Themas Süd­tirol Druck aus. Im Juli des­selben Jahres be­schuldigte der Kanzler Italien, wesent­liche Punkte des Pariser Ab­kommens nicht ein­ge­halten zu haben. Nach­dem Ge­spräche er­gebnis­los ver­laufen waren, über­gab man das strittige Thema an die Vereinten Nationen.

Auf Initiative des damaligen sozialdemokratischen Außenministers und späteren Bundes­kanzlers Bruno Kreisky wurde die ver­säumte Um­setzung des Pariser Ver­trags 1960 erst­mals als Thema auf die Tages­ordnung der UN-Voll­ver­sammlung ge­setzt. Mit der UN-Re­so­lu­tion 1497/XV vom 31. Oktober 1960 wurde dabei fest­ge­stellt, dass die Um­setzung des Pariser Ver­trags für Italien bindend sei.

Leopold Figl, Nachfolger Grubers und Vorgänger Kreiskys als Außen­minister, äußerte sich am 4. März 1959 im Parla­ment zu Süd­tirol:

00:00:20 audio
Ausschnitt aus dem Bericht des Außenminsters Leopold Figl

am 4. März 1959 im Parlament über den Stand der Süd­tirol­ver­handlungen.

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Vollständiger Beitrag über Außenminister Figls Bericht mit historischem Rückblick:

01:06:53 audio
Bericht des Außenministers Leopold Figl

am 4. März 1959 im Parlament über den Stand der Süd­tirol­­ver­­handlungen mit an­schließen­der National­rats­debatte

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00:36:41 audio
Fortsetzung der Nationalratsdebatte …

… über den Bericht über den Stand der Süd­tirol­ver­handlungen. Wien, Parlament, am 4. März 1959

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5. Die Attentate

Von 1956 bis 1969 wurden in Südtirol zahlreiche Attentate verübt. Diesen Zeit­raum kann man grob in zwei Phasen ein­teilen: In der ersten Phase von 1956 bis 1961 galt der Grund­satz, keine Menschen­leben zu ge­fährden. In der zweiten Phase gab es Tote, Ver­wundete und enormen Sach­schaden.

1957 fand sich ein kleiner Zirkel zusammen, der auf sich auf Andreas Hofer und seinen Frei­heits­kampf be­rief und aus dem später der BAS („Be­frei­ungs­aus­schuss für Süd­tirol“) her­vor­ging.

In der ersten Phase wurden nur Anschläge mit symbolischem Charakter ver­übt, da keine Menschen­leben ge­fährdet werden sollten. Dies waren Attentate auf Denk­mäler wie das Mussolini-Reiter­stand­bild oder auf das Geburts­haus des italienischen Po­li­ti­kers Ettore Tolomei. Später waren die Ziele An­lagen der öffent­lichen Ver­sorgung sowie Roh­bauten für italienische Siedler/innen.

<p>Gesprenger Strommast</p>

Gesprenger Strommast

Ab 1961 radikalisierte sich die Lage. Zunehmend waren nun auch öster­reichische und deutsche Staats­bürger/innen an Atten­taten beteiligt. Die An­schläge wurden in­ten­si­viert. Die neuen Ziele waren nun Verkehrs­ver­bindungen und Hoch­spannungs­leitungen. Den Höhe­punkt bildete die „Feuer­nacht“, in der im Raum Bozen 19 Hoch­spannungs­leitungen ge­sprengt wurden. In dieser Nacht war auch ein Toter zu beklagen.

00:57:46 (00:46:40 bis 00:50:41) audio
Heute vor 30 Jahren: Feuernacht in Südtirol

Bericht im Mittagsjournal vom 13. Juni 1991 (von Minute 46:40 bis 50:41)

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Die italienischsprachige Zivilbevölkerung reagierte mit Sprengungen in Österreich, beispielsweise wurde die Andreas-Hofer-Statue in Innsbruck zerstört.

00:59:29 (00:23:52 bis 00:28:03) audio
Das Denkmal von Andreas Hofer in Meran wurde gesprengt

Bericht im Mittagsjournal vom 26. September 1979 (von Minute 23:53 bis 28:03)

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Bei Anschlägen in Oberösterreich gab es ebenfalls einen Toten. In dieser kriegs­ähnlichen Phase sendete ein Süd­tiroler Geheim­sender „Appelle an öster­reichische Soldaten und Süd­tiroler Frei­heits­kämpfer“, nicht auf­ein­ander zu schießen, sich je­doch vor ita­lieni­schen Truppen in Acht zu nehmen. Auch von Völker­mord war die Rede.

00:01:11 audio
Südtiroler Geheimsender auf Sendung
Details

Im Parlament hingegen warnte der damalige Staats­sekretär im Außen­amt Franz Gschnitzer in der Sitzung vom 9. Februar 1961 vor Es­ka­la­tion.

00:00:26 audio
Kurzer Ausschnitt aus der NR-Sitzung vom 9. Februar 1961
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Diskussion um Amnestie für die Südtiroler „Bumser“ (Als „Bumser“ wurden die­jenigen be­zeichnet, die an Attentaten beteiligt waren.)

00:55:52 (00:38:20 bis 00:43:13) audio
Beitrag im Mittagsjournal vom 23. August 1994

(von Minute 38:20 bis 43:13)

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6. Die Neunzehner-Kommission

Am 1. September 1961 setzte Italien die sogenannte Neunzehner-Kom­mis­sion ein. Die Kom­mis­sion be­stand aus elf Ver­tretern Italiens, sieben deutsch­sprachigen Süd­tirolern und einem Ladiner. Diese sollten für die Zukunft des Landes einen Maß­nahmen­katalog er­stellen. Aus der Sicht der Atten­täter/innen waren die An­schläge und ins­besondere die „Feuer­nacht“ da­für ver­ant­wortlich, dass nun ernst­haft über den Status von Süd­tirol ver­handelt wurde. Tat­sächlich exis­tierten die Pläne für die Ein­setzung der Kom­mis­sion aber schon vor der „Feuer­nacht“. Mit der Kom­mis­sion wollte Italien die Süd­tirol­frage zu einer inner­italienischen An­ge­legen­heit machen. Außer­dem forcierte die öster­reich­ische Bundes­regierung eine wieder­holte Be­fassung der UNO-General­ver­sammlung mit der Süd­tirol­frage, welche die Re­so­lu­tion aus dem Jahr 1960 im Jahr 1961 be­stätigte.

Am 10. April 1964 wurde der Bericht der Kommission dem da­maligen ita­lie­nischen Minister­präsidenten Aldo Moro über­geben. Aus unter­schied­lichen Gründen dauerte die Rati­fizierung des Re­form­pakets aber noch einige Jahre. Erst am 23. November 1969 be­schloss die Landes­ver­sammlung der Süd­tiroler Volks­partei die An­nahme des Pakets und des „Operations­kalenders“, der sich auf einen der bis zuletzt strittigen Punkte, das Paket betreffend, bezog.

In einem Interview berichtete der damalige Außen­minister Kurt Waldheim von der Eini­gung über das Süd­tirol­paket und den Operations­kalender.

00:04:03 audio
Außenminister Waldheim zur Südtirolkonferenz in Kopenhagen

Ausschnitt aus dem Abendjournal vom 1. Dezember 1969

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Am 15. Dezember 1969 fand im österreichischen Parlament die De­batte über die Eini­gung in der Süd­tirol-Frage statt, wobei von einer „denk­würdigen De­batte“ die Rede war. Während die ÖVP Paket und Operations­kalender als Ver­handlungs­erfolg be­trachtete, sprach Bruno Kreisky, mittler­weile in Opposition, von einem „er­bärm­lichen Doku­ment“ und die FPÖ glaubte, eine Kapitulation Öster­reichs vor Italien er­kennen zu können.

00:08:22 audio
Bericht über die Parlamentsdebatte zur Einigung in der Südtirol-Frage

Ausschnitt aus dem Abendjournal vom 15. Dezember 1969

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00:04:07 audio
Interview mit dem damaligen Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago zum Autonomiestatut

Ausschnitt aus dem Mittagsjournal vom 9. Oktober 1970 

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7. Südtirol von 1972 bis zur Gegenwart

Mit dem zweiten, verbesserten Autonomiestatut, das am 20. Jänner 1972 in Kraft trat, wurde die „Auto­nome Provinz Bozen-Südtirol“ ge­schaffen. Seit Langem hieß das Land wieder offi­ziell Süd­tirol. Mit der Ver­waltung von Schule und Fremden­ver­kehr er­hielt die Provinz auch wesent­liche Kompe­tenzen. Andere Durch­führungs­be­stim­mungen zum so­genannten Paket sollten in ver­schiedenen Kom­mis­sionen aus­ge­arbeitet werden.

Durch die Übernahme der Verwaltung des Schulsystems konnten alle Schüler/innen wieder Unter­richt in ihrer Mutter­sprache er­halten. Die Schüler/innen sollten aber auch die jeweils andere Sprache er­lernen. Die „Auto­nome Provinz Bozen-Südtirol“ erlebte in den 1970er Jahren einen wirt­schaft­lichen Auf­schwung, was neben der Ge­schlossen­heit der Volks­gruppe be­stimmend für eine fried­liche Konflikt­lösung war.

Trotz dieser Fortschritte gab es immer noch zahlreiche Paket­gegner/innen und immer wieder kam es zu Dis­kus­sionen um das Selbst­be­stim­mungs­recht.

1976 trat das sogenannte „Proporzabkommen“ in Kraft. Damit wurde die Be­setzung von Stellen im öffent­lichen Dienst proportional auf­grund der zahlen­mäßigen Stärke der drei Sprach­gruppen Deutsch, Italienisch und Ladinisch ge­regelt. Auch Woh­nungen und Förder­mittel wurden an­teils­mäßig ver­teilt. Um einen Staats­posten zu be­kommen, musste man nun Italienisch und Deutsch be­herrschen, wobei das ver­langte Sprach­niveau von der Art der Be­schäftigung ab­hing, was vor allem bei Italienerinnen und Italienern für Un­mut sorgte. Die Sprach­kenntnisse wurden von einer Kom­mis­sion über­prüft und durch den Zwei­sprachig­keits­schein („Patentino“) be­scheinigt. Lang­sam setzte sich bei den Italienerinnen und Italienern aber die Er­kenntnis durch, dass ethnischer Proporz und Zwei­sprachig­keit auch für sie Vor­teile boten, z. B. gegen­über der Kon­kur­renz aus Rest­italien, die nicht Deutsch sprach. Es dauerte bis 1996, bis die proporz­mäßige Auf­teilung der Stellen er­reicht wurde.

Zu Beginn der Umsetzung des Proporzabkommens waren beide Sprach­gruppen un­zu­frieden. Ab 1978 wurden zehn Jahre lang wieder Bomben­an­schläge ver­übt, wobei für die ersten Attentate die „Front für die Be­frei­ung Süd­tirols“ und der „Tiroler Schutz­bund“ ver­ant­wortlich waren. Auch jetzt wurde von einigen Grup­pierung­en wieder über das Selbst­be­stimmungs­recht dis­kutiert. Die Ge­mäßigten um Landes­haupt­mann Silvius Magnago konnten je­doch die Ober­hand be­halten. Bei der „Schutz­macht“ Öster­reich standen die guten Beziehungen zu allen Nach­bar­staaten im Mittel­punkt.

01:00:05 (00:18:10 bis 00:22:07) audio
Bericht zu den Anschlägen zum 171. Todestag von Andreas Hofer

Bombenanschläge in Südtirol: Nach zehn Jahren ist das Süd­tirol­paket noch immer nicht er­füllt. Mittags­journal vom 20. Feb­ruar 1981 (von Minute 18:10 bis 22:07)

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Im „Tiroler Gedenkjahr 1984“ (175 Jahre nach 1809) – 1809 hatten unter der Führung Andreas Hofers die Schlachten am Bergisel statt­ge­funden – kam es wieder zu anti­ital­ienischen De­mons­tra­tionen, zu „Los von Rom“- bzw. „Heim zu Öster­reich“-Forder­ungen und Brand­ans­chlägen der Terror­gruppe „Ein Tirol“. Hinzu kamen Auto­nomie­be­strebungen anderer italienischer Provinzen (Sardinien, Aosta). Rom reagierte repressiv, auch in Süd­tirol. 1987 waren aber nur noch 3,4 % der Süd­tiroler/innen für eine Ein­gliederung in den öster­reichischen Staat.

Voraussetzung für die Streitbeilegung zwischen Italien und Öster­reich war, dass Ende der 1980er Jahre auch andere im „Paket“ ver­ein­barte Punkte um­ge­setzt wurden. Öster­reich zeigte deut­lich, dass es an einer Streit­bei­legung inter­essiert war. Im Falle der Fort­setzung des Kon­flikts hätte Italien seine Zu­stim­mung zum Bei­tritt Öster­reichs zur EU ver­weigert. Auch die Süd­tiroler Volks­partei stimmte nach langen internen Streitig­keiten und Ve­rhand­lungen zu. Jetzt drängten alle Seiten auf einen schnellen Paket­ab­schluss. Mit dem Ende des Kalten Kriegs 1989 nahm auch die strategische Be­deutung Italiens ab.

1992 erfolgte die Streitbeilegung, nachdem bis dahin noch offene Punkte wie Finanz­rege­lungen ge­nehmigt worden waren und der Schutz der deutsch­sprachigen Minder­heit im Sinne des Pariser Vertrags ge­währ­leistet worden war. Der Hin­weis auf den Pariser Ver­trag be­tonte die inter­nationale Ver­ankerung und Ein­klag­bar­keit vor dem Inter­nationalen Gerichts­hof. Am 19. Juni 1992 wurde der Streit vor der UNO formell be­endet. Die Durch­führung der 137 Punkte des Pakets wurde von Italien in einer Urkunde an Öster­reich be­stätigt. Trotz allem blieben noch Punkte offen, wie beispiels­weise die Amnestierung der Attentäter/innen, die Auf­hebung der Ein­reise­verbote, Schaden­er­satz­forderungen u. a. Aufgrund dieser Punkte kam es auch nicht zum er­hofften Ab­schluss eines Nach­bar­schafts­vertrags.

00:03:26 audio
Bericht über die offizielle Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien

Ausschnitt aus dem Mittagsjournal vom 1. Juni 1992

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Nach dem EU-Beitritt Österreichs und dem Schengener Abkommen spielt die Brenner­grenze so gut wie keine Rolle mehr. In Tirol spricht man von der „Europa­region Tirol“. Ur­sprüng­lich war es deren Ziel, eine sanfte Wieder­vereinigung her­zu­stellen. Aller­dings starb die Generation, die ein ver­eintes Tirol mit­erlebt hatte, in den 1970er und 1980er Jahren. Daher ist für die große Mehr­heit der Süd­tiroler/innen die Frage der Wieder­ver­eini­gung Tirols heute kein Thema mehr. Viel­mehr gibt es mittler­weile ein Kon­kur­renz­ver­hältnis zwischen Inns­bruck und Bozen (Uni­versität, Flug­hafen).

Die Lösung der Südtirolfrage gilt international als Musterbeispiel zur Lösung von Minder­heiten­kon­flikten. Im Laufe der Zeit bildeten sich mehrere Aspekte heraus, die für eine fried­liche Konflikt­lösung un­ab­dingbar zu sein scheinen wie die wirtschaft­liche Inte­gration der Region und die Ge­schlossen­heit der Volks­gruppe. Aller­dings ist Süd­tirol kein Bei­spiel für schnelle Lösungen. Und der Modell­charakter ent­stand auch durch den Zeit­punkt der Streit­bei­legung. Gerade zu einer Zeit, als es in der ehe­maligen Sowjet­union und in Jugos­lawien zu zahl­reichen, teil­weise blutigen Minder­heiten- und Natio­nalitäts­kon­flikten kam, schien Süd­tirol ein Muster­bei­spiel der gewalt­losen Konflikt­be­wältigung zu sein. Im Gegen­satz zu vielen anderen Kon­flikten gab es für Süd­tirol je­doch einen inter­nationalen Ver­trag, den Pariser Vertrag von 1946, als Grund­lage und damit die An­er­kennung der Minder­heit vor der UNO. Ein weiterer Unter­schied zu vielen anderen Kon­flikten war, dass stets die auto­nome Selbst­ver­waltung das Ziel war und nicht die Ab­spaltung oder sogar die Un­ab­hängig­keit.

8. Arbeitsblatt

Arbeitsblatt – Die Geschichte Südtirols in den Ö1-Journalen

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9. Literatur

Clementi, Siglinde / Woelk, Jens (Hg.): 1992: Ende eines Streits. Zehn Jahre Streit­bei­legung im Süd­tirol­kon­flikt zwischen Italien und Öster­reich. Baden-Baden: Momos 2003.

Erckert, Monika: Warum kam es zu Terrorismus in Südtirol. Wien 2000.

Erhard, Benedikt: Eine Geschichte Südtirols. Option Heimat Opzioni. Vom Gehen und vom Bleiben. Wien 1989.

Gehler, Michael / Solderer, Gottfried (Hg.): Das 20. Jahr­hundert in Süd­tirol. Auto­nomie und Auf­bruch. Band IV. Bozen 2002.

Gehler, Michael: Das Ende der Südtirolfrage? In: Solderer, Gottfried (Hg.): Das 20. Jahr­hundert in Süd­tirol. Bozen: Ed. Rætia 2003, S. 12–33.

Heiss, Hans: Triumph der Provinz? Süd­tirol als euro­päische Modell­region. In: His­torische Sozial­kunde. 36/2006, S. 20–28.

Lechner, Stefan: Revision der Optionen und Rück­sied­lung nach Süd­tirol. Wien 1988.

Pallaver, Günther: Der Streit ist beendet, der Nach­bar­schafts­ver­trag ver­sandet. In: Böhler, Ingrid (Hg.): Öster­reichischer Zeit­ge­schichte­tag 1993. Inns­bruck/Wien: Studien­verlag 1995, S. 142–149.

Pallaver, Günther: Die Beziehungen zwischen Südtirol und Nord­tirol und die Euro­pa­region Tirol-Südtirol-Trentino. In: Karlhofer, Ferdinand (Hg.): Politik in Tirol 2004. Inns­bruck/Wien: Studien­verlag 2004, S. 115–135.

Peterlini, Hans Karl: Wir Kinder der Südtiroler Autonomie. Ein Land zwi­schen eth­nischer Ver­wirrung und ver­ordnetem Auf­bruch. Wien 2003.

Peterlini, Hans Karl: Südtiroler Bombenjahre. Von Blut und Tränen zum Happy­end. Bozen 2005.

Steininger, Rolf: Die Südtirolfrage 1946–1993. Vom Gruber-De-Gasperi-Abkommen zur Bei­legung eines euro­päischen Minder­heiten­kon­flikts. In: Ge­schichte in Wissen­schaft und Unter­richt, 45/1994, H. 1, S. 3–23.

Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Über­leben einer Miderheit. Innsbruck/Wien: Studienverlag 1997.

Steininger, Rolf: Südtirol 1918–1999. Innsbruck: Studien­verlag 1999.

Steininger, Rolf: Die Südtirolfrage. In: Archiv für Sozial­ge­schichte, 40/2000, S. 203–230.

(Text und Inhalt: Christian Benesch, 2014)

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