„Los von Rom? Jeder weiß, dass das unmöglich ist.“
(Luis Durnwalder, 24 Jahre lang Südtiroler Landeshauptmann)
Dieses Themenpaket behandelt einige Aspekte der Geschichte Südtirols von 1918/19, dem Abschluss des Vertragsvon St. Germain, bis zur Streitbeilegung 1992 und darüber hinaus.
Anhand verschiedener Tondokumente, hauptsächlich Beiträge aus Journale-Sendungen des österreichischen Radiosenders Ö1, werden unter anderem die Themen Minderheitenrechte, bewaffneter Widerstand/Terrorismus und Autonomie behandelt und die Entwicklung des Südtirolkonflikts chronologisch beleuchet.
Anhand der Geschichte Südtirols sollen die Schüler/innen über die Hintergründe des Konflikts zwischen Österreich und Italien informiert und für den Umgang mit autochthonen Minderheiten sensibilisiert werden. Die Schüler/innen sollen durch gezielte Fragestellungen und Arbeitsanweisungen im Sinne eines reflektierten Geschichtsbewusstseins Frage-, Orientierungs- und Sachkompetenz erlangen. Ein weiteres Ziel ist, dass die Schüler/innen lernen, historische Zusammenhänge zu verstehen und zu erkennen. Dazu gehört auch zu begreifen, dass historische Ereignisse mit der Angabe eines Grundes bzw. einer Ursache nicht erklärt werden können.
Im Mittagsjournal vom 10. September 1999 wurde über den im September 1919 unterzeichneten Friedensvertrag von St. Germain und seinen Folgen für Tirol berichtet.
Beitrag im Mittagsjournal vom 10. September 1999
(von Minute 41:40 bis 50:38)
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Vertrag von St. Germain die Auflösung der österreichischen Reichshälfte Österreich-Ungarns geregelt und es wurden die Bedingungen für die neue Republik festgehalten. Südtirol musste demgemäß an Italien abgetreten werden. Nach der Machtergreifung des Faschisten Benito Mussolini in Italien 1922 kam es in Südtirol zu massiven Repressionen gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung bzw. der deutschen Sprache. Der Einmarsch der nationalsozialistischen Truppen in Österreich am 12. März 1938 wurde von der Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols in der Hoffnung begrüßt, dass bald auch Südtirol ins Deutsche Reich eingegliedert werde. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Die italienische Zustimmung für den „Anschluß“ Österreichs ging mit dem endgültigen Verzicht auf Südtirol und der Zustimmung zur Assimilation bzw. Umsiedlung der nicht assimilationsbereiten Südtiroler/innen in das Deutsche Reich einher. Am 23. Juni 1939 kam es in Berlin zur Vereinbarung über die Komplettumsiedlung der Südtiroler/innen ins Deutsche Reich. Durch die „Option“ teilte sich die deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung in „Optantinnen und Optanten“ – jenen, die für die Umsiedlung nach Deutschland stimmten – und den „Dableiberinnen und Dableibern“, – jenem deutschsprachigen Bevölkerungsteil, der in Südtirol bleiben wollte.
Am letzten Tag des Zweiten Weltkriegs, dem 8. Mai, gründeten einige Mitglieder des „Andreas-Hofer-Bundes“ die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP). Aufgrund der Leistungen der Widerstandskämpfer/innen im Zweiten Weltkrieg wurde die Partei von der Militärregierung sofort zugelassen. Die SVP galt als Garant für eine antinationalsozialistische Ausrichtung. Als wichtigste Aufgaben wurden genannt: nach 25-jähriger Unterdrückung durch Faschismus und Nationalsozialismus den kulturellen, sprachlichen und wirtschaftlichen Rechten der Südtiroler/innen auf der Basis demokratischer Grundsätze Geltung zu verschaffen; zur Ruhe und Ordnung im Land beizutragen und den Anspruch des Südtiroler Volkes auf Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes bei den alliierten Mächten zu vertreten.
Am 14. September 1945 entschieden die Siegermächte in London, dass Südtirol vorerst bei Italien bleiben würde. Man war lediglich bereit, österreichische Vorschläge für kleinere Grenzberichtigungen zugunsten Österreichs zu prüfen.
Für die österreichische Regierung gab es unmittelbar nach dem Krieg andere Prioritäten als Südtirol. Dennoch wurde in den folgenden Monaten im Zuge des intensiven diplomatischen Kontakts zu den Siegermächten auch Südtirol immer wieder thematisiert.
Historisch wurde mit der über 600-jährigen Geschichte Tirols als Teil von Österreich argumentiert. Man wollte eine Revision der Entscheidung des Jahres 1919 erreichen, als Südtirol Italien zugesprochen worden war. Zur Bekräftigung der Argumentation wurde auch der von 1913–1921 amtierende US-Präsident Woodrow Wilson zitiert, der in den 1920er Jahren bezüglich Südtirols „von einer Fehlentscheidung“ gesprochen hatte. Wirtschaftlich wurde so argumentiert, dass der Verlust, den Italien erleiden würde, sehr gering sei im Vergleich dazu, was Österreich gewinnen würde. Das erklärte Ziel war die Selbstbestimmung Südtirols, was nur mit der Rückkehr zu Österreich zu verwirklichen sei. Eine Volksabstimmung durchzuführen, lehnten die Alliierten ab.
Am 1. Mai 1946 lehnten die Alliierten die Wiedereingliederung Südtirols in österreichisches Staatsgebiet erneut ab. Die Entscheidung ist vor allem vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes zu sehen. Den Alliierten war mehr mit einem verlässlichen Bündnispartner Italien gedient als mit einem größeren Österreich, dessen Zukunft noch ungewiss war.
Am 5. September 1946 unterzeichneten der österreichische Außenminister Karl Gruber und der italienische Ministerpräsident Alcide De Gasperi jenes Abkommen in Paris, welches als das „Gruber-De-Gasperi-Abkommen“ in die Geschichte einging. Die wesentlichen Punkte dieses Abkommens waren: Den deutschsprachigen Einwohnerinnen und Einwohnern wird volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen Einwohnerinnen und Einwohnern im Rahmen besonderer Maßnahmen zum Schutze des Volkscharakters und der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe zugesichert. Dazu gehört u. a. der Schulunterricht in der Muttersprache, die Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffentlichen Ämtern sowie bei den zweisprachigen Ortsbezeichnungen und Proporz in öffentlichen Ämtern. Außerdem wird die Ausübung einer autonomen regionalen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt gewährt und die italienische Regierung verpflichtet sich zu Beratungen mit der österreichischen Regierung. Andere wichtige Punkte waren, die „Option“ zu revidieren, ein Abkommen für den freien Personen- und Güterdurchgangsverkehr zwischen Nord- und Osttirol auszuarbeiten und besondere Vereinbarungen zur Erleichterung eines erweiterten Grenzverkehrs zwischen Österreich und Italien.
Bericht von der Festveranstaltung aus dem Wiener Parlament im Mittagsjournal vom 5. September 1996 (von Minute 26:29 bis 31:52)
1949/1950 häuften sich die Beschwerden darüber, dass die im Pariser Abkommen vereinbarten Regelungen bezüglich der Zweisprachigkeit nicht eingehalten werden. Ab Juli 1952 musste der gesamte Amtsverkehr in italienischer Sprache geführt werden. Die Beamten waren ausschließlich Italiener/innen mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen und deutschsprachige Südtiroler/innen hatten keine Chance auf Beamtenposten. Als eines der größten Probleme sahen die Südtiroler/innen die von der italienischen Regierung geförderte Zuwanderung von italienischsprachigen Migrantinnen und Migranten. In der Wohnbaupolitik wurde die deutschsprachige Bevölkerung ebenfalls deutlich diskriminiert.
Erst mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Österreichs durch die Unterzeichnung des Staatsvertrags bestand die Möglichkeit, die Thematik vor die UNO zu bringen. 1956 wurde Franz Gschnitzer Staatssekretär im Außenamt. Der gebürtige Tiroler war ein vehementer Vertreter der Interessen Südtirols. Er verschärfte die Gangart gegenüber Italien und übte auf den Bundeskanzler Julius Raab bezüglich des Themas Südtirol Druck aus. Im Juli desselben Jahres beschuldigte der Kanzler Italien, wesentliche Punkte des Pariser Abkommens nicht eingehalten zu haben. Nachdem Gespräche ergebnislos verlaufen waren, übergab man das strittige Thema an die Vereinten Nationen.
Auf Initiative des damaligen sozialdemokratischen Außenministers und späteren Bundeskanzlers Bruno Kreisky wurde die versäumte Umsetzung des Pariser Vertrags 1960 erstmals als Thema auf die Tagesordnung der UN-Vollversammlung gesetzt. Mit der UN-Resolution 1497/XV vom 31. Oktober 1960 wurde dabei festgestellt, dass die Umsetzung des Pariser Vertrags für Italien bindend sei.
Leopold Figl, Nachfolger Grubers und Vorgänger Kreiskys als Außenminister, äußerte sich am 4. März 1959 im Parlament zu Südtirol:
am 4. März 1959 im Parlament über den Stand der Südtirolverhandlungen.
Vollständiger Beitrag über Außenminister Figls Bericht mit historischem Rückblick:
am 4. März 1959 im Parlament über den Stand der Südtirolverhandlungen mit anschließender Nationalratsdebatte
… über den Bericht über den Stand der Südtirolverhandlungen. Wien, Parlament, am 4. März 1959
Von 1956 bis 1969 wurden in Südtirol zahlreiche Attentate verübt. Diesen Zeitraum kann man grob in zwei Phasen einteilen: In der ersten Phase von 1956 bis 1961 galt der Grundsatz, keine Menschenleben zu gefährden. In der zweiten Phase gab es Tote, Verwundete und enormen Sachschaden.
1957 fand sich ein kleiner Zirkel zusammen, der auf sich auf Andreas Hofer und seinen Freiheitskampf berief und aus dem später der BAS („Befreiungsausschuss für Südtirol“) hervorging.
In der ersten Phase wurden nur Anschläge mit symbolischem Charakter verübt, da keine Menschenleben gefährdet werden sollten. Dies waren Attentate auf Denkmäler wie das Mussolini-Reiterstandbild oder auf das Geburtshaus des italienischen Politikers Ettore Tolomei. Später waren die Ziele Anlagen der öffentlichen Versorgung sowie Rohbauten für italienische Siedler/innen.
Ab 1961 radikalisierte sich die Lage. Zunehmend waren nun auch österreichische und deutsche Staatsbürger/innen an Attentaten beteiligt. Die Anschläge wurden intensiviert. Die neuen Ziele waren nun Verkehrsverbindungen und Hochspannungsleitungen. Den Höhepunkt bildete die „Feuernacht“, in der im Raum Bozen 19 Hochspannungsleitungen gesprengt wurden. In dieser Nacht war auch ein Toter zu beklagen.
Bericht im Mittagsjournal vom 13. Juni 1991 (von Minute 46:40 bis 50:41)
Die italienischsprachige Zivilbevölkerung reagierte mit Sprengungen in Österreich, beispielsweise wurde die Andreas-Hofer-Statue in Innsbruck zerstört.
Bericht im Mittagsjournal vom 26. September 1979 (von Minute 23:53 bis 28:03)
Bei Anschlägen in Oberösterreich gab es ebenfalls einen Toten. In dieser kriegsähnlichen Phase sendete ein Südtiroler Geheimsender „Appelle an österreichische Soldaten und Südtiroler Freiheitskämpfer“, nicht aufeinander zu schießen, sich jedoch vor italienischen Truppen in Acht zu nehmen. Auch von Völkermord war die Rede.
Im Parlament hingegen warnte der damalige Staatssekretär im Außenamt Franz Gschnitzer in der Sitzung vom 9. Februar 1961 vor Eskalation.
Diskussion um Amnestie für die Südtiroler „Bumser“ (Als „Bumser“ wurden diejenigen bezeichnet, die an Attentaten beteiligt waren.)
(von Minute 38:20 bis 43:13)
Am 1. September 1961 setzte Italien die sogenannte Neunzehner-Kommission ein. Die Kommission bestand aus elf Vertretern Italiens, sieben deutschsprachigen Südtirolern und einem Ladiner. Diese sollten für die Zukunft des Landes einen Maßnahmenkatalog erstellen. Aus der Sicht der Attentäter/innen waren die Anschläge und insbesondere die „Feuernacht“ dafür verantwortlich, dass nun ernsthaft über den Status von Südtirol verhandelt wurde. Tatsächlich existierten die Pläne für die Einsetzung der Kommission aber schon vor der „Feuernacht“. Mit der Kommission wollte Italien die Südtirolfrage zu einer inneritalienischen Angelegenheit machen. Außerdem forcierte die österreichische Bundesregierung eine wiederholte Befassung der UNO-Generalversammlung mit der Südtirolfrage, welche die Resolution aus dem Jahr 1960 im Jahr 1961 bestätigte.
Am 10. April 1964 wurde der Bericht der Kommission dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro übergeben. Aus unterschiedlichen Gründen dauerte die Ratifizierung des Reformpakets aber noch einige Jahre. Erst am 23. November 1969 beschloss die Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei die Annahme des Pakets und des „Operationskalenders“, der sich auf einen der bis zuletzt strittigen Punkte, das Paket betreffend, bezog.
In einem Interview berichtete der damalige Außenminister Kurt Waldheim von der Einigung über das Südtirolpaket und den Operationskalender.
Ausschnitt aus dem Abendjournal vom 1. Dezember 1969
Am 15. Dezember 1969 fand im österreichischen Parlament die Debatte über die Einigung in der Südtirol-Frage statt, wobei von einer „denkwürdigen Debatte“ die Rede war. Während die ÖVP Paket und Operationskalender als Verhandlungserfolg betrachtete, sprach Bruno Kreisky, mittlerweile in Opposition, von einem „erbärmlichen Dokument“ und die FPÖ glaubte, eine Kapitulation Österreichs vor Italien erkennen zu können.
Ausschnitt aus dem Abendjournal vom 15. Dezember 1969
Ausschnitt aus dem Mittagsjournal vom 9. Oktober 1970
Mit dem zweiten, verbesserten Autonomiestatut, das am 20. Jänner 1972 in Kraft trat, wurde die „Autonome Provinz Bozen-Südtirol“ geschaffen. Seit Langem hieß das Land wieder offiziell Südtirol. Mit der Verwaltung von Schule und Fremdenverkehr erhielt die Provinz auch wesentliche Kompetenzen. Andere Durchführungsbestimmungen zum sogenannten Paket sollten in verschiedenen Kommissionen ausgearbeitet werden.
Durch die Übernahme der Verwaltung des Schulsystems konnten alle Schüler/innen wieder Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten. Die Schüler/innen sollten aber auch die jeweils andere Sprache erlernen. Die „Autonome Provinz Bozen-Südtirol“ erlebte in den 1970er Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung, was neben der Geschlossenheit der Volksgruppe bestimmend für eine friedliche Konfliktlösung war.
Trotz dieser Fortschritte gab es immer noch zahlreiche Paketgegner/innen und immer wieder kam es zu Diskussionen um das Selbstbestimmungsrecht.
1976 trat das sogenannte „Proporzabkommen“ in Kraft. Damit wurde die Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst proportional aufgrund der zahlenmäßigen Stärke der drei Sprachgruppen Deutsch, Italienisch und Ladinisch geregelt. Auch Wohnungen und Fördermittel wurden anteilsmäßig verteilt. Um einen Staatsposten zu bekommen, musste man nun Italienisch und Deutsch beherrschen, wobei das verlangte Sprachniveau von der Art der Beschäftigung abhing, was vor allem bei Italienerinnen und Italienern für Unmut sorgte. Die Sprachkenntnisse wurden von einer Kommission überprüft und durch den Zweisprachigkeitsschein („Patentino“) bescheinigt. Langsam setzte sich bei den Italienerinnen und Italienern aber die Erkenntnis durch, dass ethnischer Proporz und Zweisprachigkeit auch für sie Vorteile boten, z. B. gegenüber der Konkurrenz aus Restitalien, die nicht Deutsch sprach. Es dauerte bis 1996, bis die proporzmäßige Aufteilung der Stellen erreicht wurde.
Zu Beginn der Umsetzung des Proporzabkommens waren beide Sprachgruppen unzufrieden. Ab 1978 wurden zehn Jahre lang wieder Bombenanschläge verübt, wobei für die ersten Attentate die „Front für die Befreiung Südtirols“ und der „Tiroler Schutzbund“ verantwortlich waren. Auch jetzt wurde von einigen Gruppierungen wieder über das Selbstbestimmungsrecht diskutiert. Die Gemäßigten um Landeshauptmann Silvius Magnago konnten jedoch die Oberhand behalten. Bei der „Schutzmacht“ Österreich standen die guten Beziehungen zu allen Nachbarstaaten im Mittelpunkt.
Bombenanschläge in Südtirol: Nach zehn Jahren ist das Südtirolpaket noch immer nicht erfüllt. Mittagsjournal vom 20. Februar 1981 (von Minute 18:10 bis 22:07)
Im „Tiroler Gedenkjahr 1984“ (175 Jahre nach 1809) – 1809 hatten unter der Führung Andreas Hofers die Schlachten am Bergisel stattgefunden – kam es wieder zu antiitalienischen Demonstrationen, zu „Los von Rom“- bzw. „Heim zu Österreich“-Forderungen und Brandanschlägen der Terrorgruppe „Ein Tirol“. Hinzu kamen Autonomiebestrebungen anderer italienischer Provinzen (Sardinien, Aosta). Rom reagierte repressiv, auch in Südtirol. 1987 waren aber nur noch 3,4 % der Südtiroler/innen für eine Eingliederung in den österreichischen Staat.
Voraussetzung für die Streitbeilegung zwischen Italien und Österreich war, dass Ende der 1980er Jahre auch andere im „Paket“ vereinbarte Punkte umgesetzt wurden. Österreich zeigte deutlich, dass es an einer Streitbeilegung interessiert war. Im Falle der Fortsetzung des Konflikts hätte Italien seine Zustimmung zum Beitritt Österreichs zur EU verweigert. Auch die Südtiroler Volkspartei stimmte nach langen internen Streitigkeiten und Verhandlungen zu. Jetzt drängten alle Seiten auf einen schnellen Paketabschluss. Mit dem Ende des Kalten Kriegs 1989 nahm auch die strategische Bedeutung Italiens ab.
1992 erfolgte die Streitbeilegung, nachdem bis dahin noch offene Punkte wie Finanzregelungen genehmigt worden waren und der Schutz der deutschsprachigen Minderheit im Sinne des Pariser Vertrags gewährleistet worden war. Der Hinweis auf den Pariser Vertrag betonte die internationale Verankerung und Einklagbarkeit vor dem Internationalen Gerichtshof. Am 19. Juni 1992 wurde der Streit vor der UNO formell beendet. Die Durchführung der 137 Punkte des Pakets wurde von Italien in einer Urkunde an Österreich bestätigt. Trotz allem blieben noch Punkte offen, wie beispielsweise die Amnestierung der Attentäter/innen, die Aufhebung der Einreiseverbote, Schadenersatzforderungen u. a. Aufgrund dieser Punkte kam es auch nicht zum erhofften Abschluss eines Nachbarschaftsvertrags.
Ausschnitt aus dem Mittagsjournal vom 1. Juni 1992
Nach dem EU-Beitritt Österreichs und dem Schengener Abkommen spielt die Brennergrenze so gut wie keine Rolle mehr. In Tirol spricht man von der „Europaregion Tirol“. Ursprünglich war es deren Ziel, eine sanfte Wiedervereinigung herzustellen. Allerdings starb die Generation, die ein vereintes Tirol miterlebt hatte, in den 1970er und 1980er Jahren. Daher ist für die große Mehrheit der Südtiroler/innen die Frage der Wiedervereinigung Tirols heute kein Thema mehr. Vielmehr gibt es mittlerweile ein Konkurrenzverhältnis zwischen Innsbruck und Bozen (Universität, Flughafen).
Die Lösung der Südtirolfrage gilt international als Musterbeispiel zur Lösung von Minderheitenkonflikten. Im Laufe der Zeit bildeten sich mehrere Aspekte heraus, die für eine friedliche Konfliktlösung unabdingbar zu sein scheinen wie die wirtschaftliche Integration der Region und die Geschlossenheit der Volksgruppe. Allerdings ist Südtirol kein Beispiel für schnelle Lösungen. Und der Modellcharakter entstand auch durch den Zeitpunkt der Streitbeilegung. Gerade zu einer Zeit, als es in der ehemaligen Sowjetunion und in Jugoslawien zu zahlreichen, teilweise blutigen Minderheiten- und Nationalitätskonflikten kam, schien Südtirol ein Musterbeispiel der gewaltlosen Konfliktbewältigung zu sein. Im Gegensatz zu vielen anderen Konflikten gab es für Südtirol jedoch einen internationalen Vertrag, den Pariser Vertrag von 1946, als Grundlage und damit die Anerkennung der Minderheit vor der UNO. Ein weiterer Unterschied zu vielen anderen Konflikten war, dass stets die autonome Selbstverwaltung das Ziel war und nicht die Abspaltung oder sogar die Unabhängigkeit.
Arbeitsblatt – Die Geschichte Südtirols in den Ö1-Journalen
Herunterladen (PDF)Clementi, Siglinde / Woelk, Jens (Hg.): 1992: Ende eines Streits. Zehn Jahre Streitbeilegung im Südtirolkonflikt zwischen Italien und Österreich. Baden-Baden: Momos 2003.
Erckert, Monika: Warum kam es zu Terrorismus in Südtirol. Wien 2000.
Erhard, Benedikt: Eine Geschichte Südtirols. Option Heimat Opzioni. Vom Gehen und vom Bleiben. Wien 1989.
Gehler, Michael / Solderer, Gottfried (Hg.): Das 20. Jahrhundert in Südtirol. Autonomie und Aufbruch. Band IV. Bozen 2002.
Gehler, Michael: Das Ende der Südtirolfrage? In: Solderer, Gottfried (Hg.): Das 20. Jahrhundert in Südtirol. Bozen: Ed. Rætia 2003, S. 12–33.
Heiss, Hans: Triumph der Provinz? Südtirol als europäische Modellregion. In: Historische Sozialkunde. 36/2006, S. 20–28.
Lechner, Stefan: Revision der Optionen und Rücksiedlung nach Südtirol. Wien 1988.
Pallaver, Günther: Der Streit ist beendet, der Nachbarschaftsvertrag versandet. In: Böhler, Ingrid (Hg.): Österreichischer Zeitgeschichtetag 1993. Innsbruck/Wien: Studienverlag 1995, S. 142–149.
Pallaver, Günther: Die Beziehungen zwischen Südtirol und Nordtirol und die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino. In: Karlhofer, Ferdinand (Hg.): Politik in Tirol 2004. Innsbruck/Wien: Studienverlag 2004, S. 115–135.
Peterlini, Hans Karl: Wir Kinder der Südtiroler Autonomie. Ein Land zwischen ethnischer Verwirrung und verordnetem Aufbruch. Wien 2003.
Peterlini, Hans Karl: Südtiroler Bombenjahre. Von Blut und Tränen zum Happyend. Bozen 2005.
Steininger, Rolf: Die Südtirolfrage 1946–1993. Vom Gruber-De-Gasperi-Abkommen zur Beilegung eines europäischen Minderheitenkonflikts. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 45/1994, H. 1, S. 3–23.
Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Miderheit. Innsbruck/Wien: Studienverlag 1997.
Steininger, Rolf: Südtirol 1918–1999. Innsbruck: Studienverlag 1999.
Steininger, Rolf: Die Südtirolfrage. In: Archiv für Sozialgeschichte, 40/2000, S. 203–230.
(Text und Inhalt: Christian Benesch, 2014)