Das Interview ist überall. Als Form der Befragung mit dem Ziel, persönliche Informationen, Sachverhalte oder Meinungen zu ermitteln, ist das Interview fixer Bestandteil der Massenmedien, des Journalismus, der Talkshows und der empirischen Sozialstudien. Auf allen Kanälen und in allen Medien werden so Neuigkeiten verbreitet, Erfahrungen beschrieben, Gedanken geteilt und Gefühle offenbart. Als Bezeichnung für alle Formen strukturierter Befragung auch außerhalb des journalistischen Kontextes – man denke nur an das therapeutische Interview oder das Jobinterview – ist es aus unserem Wortschatz nicht mehr wegzudenken. Das Interview kann somit sowohl eine journalistische Darstellungsform als auch ein wissenschaftliches Recherchemittel sein.
Im Mittelpunkt dieses Themenpaketes steht das Interview als grundlegende Form der Befragung. Mit diesem Beitrag lernen Schülerinnen und Schüler die unterschiedlichsten Verwendungsformen von Interviews und deren Zielsetzungen kennen. Verschiedene Interviewtypen wie das journalistische und lebensgeschichtliche Interview werden vorgestellt. Die Schülerinnen und Schüler werden mit verschiedenen Fragetypen nicht nur vertraut gemacht, sondern erproben diese auch mithilfe einiger Arbeitsaufträge.
Das Interview als grundlegende Form der Befragung ist sowohl im Rundfunk als auch im wissenschaftlichen Bereich eine sehr verbreitete Methode. Die bekannteste Form des Interviews ist das journalistische Interview. Hier reichen die Formen vom meinungszentrierten Interview im Rahmen der politischen Berichterstattung bis zum ausführlichen Experteninterview im Wissenschaftsjournalismus. Einen großen Stellenwert als Basis für die Analyse- und Dokumentationsarbeit haben Interviews jedoch auch wissenschaftlich in der Sprachwissenschaft (Sprachatlas, Mundartforschung), in der Volkskunde/Ethnographie (Gewährsleute), in der Geschichtswissenschaft (Zeitzeugen, Technikgeschichte, Sozialgeschichte, Oral History) sowie in der empirischen Sozialforschung und in der Psychologie.
Das Interview ist eine mündliche Befragung in Form eines Gesprächs mit asymmetrisch verteilten Rollen: Die interviewende Person stellt Fragen, und die interviewte Person spricht über ihre Erfahrungen und ihre Sichtweise zu einem bestimmten Thema. Im Gegensatz zu einem Fragebogen, in dem sowohl die Fragen als auch die Antwortkategorien vorgegeben sind, werden bei einem Interview die Antworten frei gegeben, da vor allem offene Fragen gestellt werden.
Interviews in den Medien (Zeitung, Radio oder Fernsehen)
Herunterladen (PDF)Eine Radiosendung mit Tonbeispielen
Zwischen den Interviewformen gibt es eine große Spannweite und verschiedene Unterscheidungskriterien: Wird das Interview mit einer, oder mit mehreren Personen geführt, erzählt die Person – im wörtlichen Sinne – ununterbrochen (monologisch) oder tritt der/die Interviewende durch Nachfragen und Rückfragen mit der Erzählperson in einen Dialog (dialogisch). Je nach Wissenschaftsbereich gibt es unterschiedlichste Kategorisierungsversuche, eine einheitliche Darstellung von Interviewtypen ist daher äußerst schwierig. Vor allem in der sozialwissenschaftlichen und insbesondere soziologischen Methodenliteratur findet sich ein Wildwuchs unterschiedlicher Interviewarten, die oft schwer voneinander zu unterscheiden sind. Interviewformen können dennoch hinsichtlich ihres theoretischen Hintergrundes, ihrer Vorgehensweise und ihrer Ziele unterschieden werden.
Für wissenschaftliche Zwecke werden meistens standardisierte Interviews, die einem Leitfaden und einem von vornherein vorgegebenen Schema folgen, verwendet. Man spricht von einem standardisierten Interview, wenn die Fragen vor dem Interview festgelegt worden sind und mit dem gleichen Wortlaut und in der gleichen Reihenfolge allen Befragten gestellt werden. In diesem Fall ist das Interview ein Recherchemittel und die Ergebnisse dienen einem wissenschaftlichen Projekt. Journalistische Interviews hingegen werden für Dritte, für eine Öffentlichkeit geführt, manchmal geradezu inszeniert. LeserInnen, HörerInnen oder ZuschauerInnen sollen über einen Sachverhalt oder die Meinung der oder des Befragten informiert werden.
Das Interview ist unentbehrlicher Bestandteil der journalistischen Tätigkeit. Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sind Personen aus den Bereichen Politik, Wissenschaft, Kunst, Sport und andere Persönlichkeiten, an deren Aussagen öffentliches Interesse besteht. Steht in der Presse und im Radio bei Interviews vor allem der Text im Mittelpunkt, so erfüllen Fernseh- und Video-Interviews zudem auch noch eine unterhaltende Funktion. Nach Walter von La Roche können journalistische Interviews unterteilt werden in:
Sachinterviews
Hier vermittelt eine Expertin/ein Experte Informationen und Fakten zu einem bestimmten Thema. Sachaussagen und Beurteilungen über gewisse Zusammenhänge stehen im Vordergrund.
Die Suche nach Sinn und mehr
Meinungsinterviews
Eine Person wird nach ihrem Urteil über ein Ereignis oder einen Sachverhalt befragt. In Meinungsinterviews werden meist Menschen befragt, die direkt oder indirekt mit den Fragethemen zu tun haben und Argumente für oder gegen eine bestimmte Position bieten.
Anliegen der Frauenbewegung
Personeninterviews
Durch das Erzählen und Kommentieren der eigenen Denk- und Lebensart stellt sich die interviewte Person selbst dar. Es liefert ein Portrait der befragten Person auf der Basis ihrer Antworten.
Lebensgeschichtliches Interview mit dem ehemaligen Bundeskanzler
In der Praxis sind Interviews häufig Mischformen. Es kommt also darauf an, ob mehr eine Sache/ein Problem dargestellt werden soll oder ob es vor allem um die Skizzierung der Person selbst geht. Diese Zielsetzung muss vorab geklärt sein.
Das Oral-History-Interview stellt eine Methode der Geschichtswissenschaft dar, die auf der Befragung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen beruht. Die so geführten Interviews zeichnen sich teilweise durch eine, im Vergleich zu Experteninterviews, längere Gesprächsdauer aus, die jedoch eine Gesprächsatmosphäre entstehen lassen, die ein möglichst freies Reden ermöglicht. Ziel von lebensgeschichtlichen Interviews ist es, Erzählungen von gegenwärtig lebenden Menschen für die Nachwelt zu erhalten. Die Methode basiert auf dem freien Sprechenlassen von Personen, die dabei möglichst wenig vom Forschenden selbst abgelenkt werden sollten. Zentrale Technik zur Erhebung ist das narrative, autobiografische Interview, das vor allem die subjektive Erlebenswelt der Befragten zum Vorschein bringen soll. Vor allem den nichtprivilegierten Personen der Gesellschaft, deren Leben in historischen Beschreibungen hauptsächlich mit den Augen von anderen Personen gesehen wird, soll eine Stimme gegeben werden. Alle Menschen sind in gewisser Weise Beteiligte und Betroffene von historischen Prozessen und können somit zum Untersuchungsgegenstand der Oral History werden.
Meist wird das Hauptinterview mittels einer bewusst allgemein gehaltenen Initialfrage eingeleitet, die auf eine ausführliche lebensgeschichtliche Erzählung abzielt. Diese erste Frage/Aufforderung kann lauten: „Erzählen Sie mir bitte Ihre Lebensgeschichte!“
Im Rahmen des Projekts „MenschenLeben“
Im Rahmen des Projekts „MenschenLeben“
Im Oral-History-Projekt „MenschenLeben“ wurden bislang über 1600 Frauen und Männer – vom jungen Erwachsenen bis zum betagten Menschen – in mehrstündigen Gesprächen über ihr Leben befragt. https://www.mediathek.at/menschenleben/projekt-menschenleben/
Finde Beispiele für die fünf Fragearten
Herunterladen (PDF)Finden Sie die Fragen zu den Antworten
Herunterladen (PDF)Um die Fragerichtung zu bestimmen, gibt es unterschiedliche Frageformen, die jeweils auch ein anderes Ziel verfolgen. Der wechselnde Einsatz verschiedener Frageformen macht das Interview dynamisch und lebendig. In der Praxis ist meist eine gute Mischung aus offenen und geschlossen Fragetypen sinnvoll. Denn Interviews, bei denen ausschließlich offen gefragt wird, bleiben vage. Interviews mit zu vielen geschlossenen Fragen wirken wiederum eindimensional und zu viele Ja-Nein-Fragen können den Dialogfluss ins Stocken bringen. Außerdem können sie sich psychologisch negativ auswirken. Die befragte Person fühlt sich möglicherweise verhört und verschließt sich.
Offene Frage: „Wie haben Sie ihre Kindheit in Wien erlebt?
Auf offene Fragen kann man nicht mit Ja oder Nein antworten und sie beginnen mit einer W-Frage (was, wie, weshalb, wer ...). Jegliche Antwort ist möglich und die interviewte Person kann damit zum Reden gebracht werden. Ein Nachteil kann sein, dass zu ausschweifend geantwortet werden kann.
Geschlossene Frage: „Haben Sie dann in Wien die Schule besucht?“
Die Fragen können nur mit ja oder nein beantwortet werden und ein Ausweichen ist nicht möglich. Man kann damit Informationen auf den Punkt bringen.
Alternativfrage: „Wollten Sie lieber eine Lehre oder ein Studium beginnen?“
Die Fragen stellen die interviewte Person vor eine Wahl mit zwei oder mehr Alternativen. Damit wird ein Nein verhindert und der Gesprächspartner hat die Wahl.
Suggestivfrage: „War es nicht schwer, in diesem jungen Alter Wien zu verlassen?
Diese Fragen legen der interviewten Person die Antwort in den Mund. Suggestivfragen können provozieren, weil sie die Antwort in gewissem Maße vorgeben. Die Art und Weise der Frage hat den Zweck, auf das Denken, Fühlen, Wollen oder Handeln einer Person einzuwirken.
Balkonfrage: „Die Aramäer sind in der Türkei eine Minderheit. Wurden Sie deshalb diskriminiert?“
Die Balkonfrage ist eine Frage, der eine kurze Erklärung oder Information vorangestellt wird. Man vermeidet damit, dass Missverständnisse entstehen. Die Gefahr besteht darin, dass die Frage dadurch zu lang wird.
Mehrfachfrage: „Sie wurden in der Türkei diskriminiert. Wie haben Sie das erlebt und wurden auch andere aus Ihrer Familie dadurch benachteiligt?“
Damit können mehrere Informationen in kompakter Form erfragt werden. Unerfahrene Interviewpartner sind aber manchmal verwirrt und antworten nicht, während erfahrene sich den Teil der Frage aussuchen, den sie gerne beantworten möchten.
Szenische Frage: „Wie verlief Ihr Alltag im Wien der Nachkriegszeit?“
Die interviewte Person wird angeregt, eine Situation genau zu beschreiben.
Bernhart, Yvonne/Krapp, Stefanie: Das narrative Interview. Ein Leitfaden zur rekonstruierten Auswertung. Landau (3. Überarbeitete Auflage) 2005.
Gröbel, Ute Cathrin: „The interview was not a happy invention“ (Mark Twain). Überlegungen zu Phänomenologie, Geschichte, und Kritik des Interviews. In: Hoffmann, Torsten/Kaiser, Gerhard (Hg.): Echt inszeniert. Interviews in Literatur und Literaturbetrieb. Paderborn 2014. S. 29–44.
Henke-Bockschatz, Gerhard: Oral History im Geschichtsunterricht. Schwalbach (Methoden Historischen Lernens) 2014.
Niethammer, Lutz (Hg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral history“. Frankfurt am Main 1985.
Nohl, Arnd-Michael: Interview und dokumentarische Methode. Wiesbaden 2006.
Plato, Alexander von: Nicht dasselbe. Oral History im Unterricht und in der Wissenschaft, in: Lappin Eleonore (Hrsg.): Die „Wahrheit“ der Erinnerung. Innsbruck/Wien 2008, S. 199–203.
von La Roche, Walther: Einführung in den praktischen Journalismus. Econ (17. Auflage) 2006.
(Text und Inhalt: Lukas Brandl, 2019)