Der Begriff „Geschlecht“ ist in der deutschen Sprache nicht eindeutig genug, um zu definieren, was Geschlecht wirklich ausmacht. Um auszudrücken, dass unter „Geschlecht“ nicht nur biologische Aspekte wie die Geschlechtsmerkmale, Hormone oder Chromosomen verstanden werden, ist inzwischen auch im deutschsprachigen Raum der Begriff „Gender“ gebräuchlich. Er stammt aus dem Englischen, das zwei Begriffe für Geschlecht besitzt: Sex für das biologische Geschlecht und Gender für das soziale und kulturelle Geschlecht (etwa Verhaltensweisen, Eigenschaften oder Interessen). Ist die Rede von Gender, sind also gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägte Geschlechterrollen von Frauen und Männern gemeint. Während die Biologie zum Beispiel bestimmt, dass nur Frauen Kinder gebären können, bestimmt sie nicht, wer für die Erziehung der Kinder verantwortlich ist. Weibliche und männliche Geschlechterrollen sind historisch gewachsen, sie sind sozial erlernt und bedingt und daher auch veränderbar.
Der Begriff Geschlechterverhältnis bezeichnet die Art und Weise, wie Beziehungen zwischen Männern und Frauen in bestimmten historischen Konstellationen gesellschaftlich organisiert und institutionalisiert sind. Anhand verschiedener lebensgeschichtlicher Erzählungen wird die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für die biografische Entwicklung analysiert. Eigene und gesellschaftliche Vorstellungen von Mädchen-Sein und Junge-Sein, Sozialisationsprozesse und Machtverteilungen werden ermittelt.
Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler für die bestehenden Geschlechterverhältnisse zu sensibilisieren. Sie können erkennen, dass Geschlechterrollen im Laufe der Geschichte unterschiedlich definiert waren und demnach veränderbar und gestaltbar sind. Ein selbstreflexiver Zugang zur Bewusstwerdung über die eigene geschlechtliche Sozialisation und die eigenen Vorstellungen von Geschlechterrollen wird dadurch ermöglicht.
Es lässt sich kaum bestreiten, dass wir in unseren Wahrnehmungs-, Denk-, Gefühls- und Handlungsmustern zweigeschlechtlich orientiert sind und auch im Alltag biologisch nur genau zwei Geschlechter wahrgenommen werden.
Das symbolische System der Zweigeschlechtlichkeit, das sich in unserem Kulturkreis über lange Zeit etabliert hat, führt dazu, dass sich jeder Mensch einem der beiden Geschlechter zuordnen muss, um die eigene Identität und die Akzeptanz von Seiten der Gesellschaft sicherstellen zu können. Diese Zuordnung wird derzeit in Österreich auch von Behörden, durch die gesetzliche Festlegung des Geschlechts und Namens in der ersten Woche nach der Geburt, verlangt.
Manche Menschen werden allerdings mit intergeschlechtlichen Genitalien geboren oder besitzen Geschlechtsmerkmale (chromosomal, anatomisch und/oder hormonell), die nicht einem rein männlichen oder weiblichen Körper entsprechen – sie sind intersexuell.
Andere Menschen wiederum haben die Eigenschaft, sich nicht, oder nicht ganz, dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig zu empfinden. Sie werden mit dem Körper einer Frau geboren, fühlen sich aber als Mann oder andersherum – sie sind transsexuell.
Was sind die Unterschiede zwischen einem Mann und einer Frau? Notieren Sie ganz spontan alles, was Ihnen einfällt? Ordnen Sie nun alle Ihre Begriffe einer der beiden Spalten zu! Werden die Unterschiede vom Aspekt SEX oder vom Aspekt GENDER bestimmt?
Herunterladen (PDF)Es sind vor allem kulturelle Aspekte, die eine Frau zur Frau und einen Mann zum Mann machen. Insbesondere Kleidercodes, Verhaltensrepertoires (etwa „Eine Frau betrinkt sich nicht in der Öffentlichkeit“), Mimik und Gestik (lautes Lachen galt lange Zeit als unweiblich) stellen Männlichkeit und Weiblichkeit her.
Die Auffassung, dass Geschlecht sozial hergestellt bzw. konstruiert wird, wurde schon früh von Simone de Beauvoir (Das andere Geschlecht) mit der These „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ in die Diskussion eingebracht. Diese Sichtweise geht davon aus, dass gesellschaftliche Wirklichkeit durch soziale Interaktionen hervorgebracht wird. In vielen kleinen Alltagshandlungen entsteht eine Ordnung der Geschlechter, z. B. durch die Art sich zu kleiden und sich zu bewegen (doing gender).
Mit der Trennung von Sex als biologischem Geschlecht und Gender als kulturellem Geschlecht, wurde jene Position aufgebrochen, die davon ausgeht, dass das kulturelle Geschlecht mit all seinen Zuschreibungen aus einer natürlichen biologischen und grundlegenden Unterscheidung zwischen Mann und Frau hervorgeht.
Geschlechtliche und sexuelle Identität wird nicht mehr als natürlich und feststehend verstanden, sondern als Konstruktion entlarvt und deren hervorgebrachter und veränderlicher Charakter betont. Diesen Ansätzen zufolge haben wir nicht einfach ein unveränderliches Geschlecht, sondern produzieren dies alltäglich über Körperinszenierungen, Interaktionen und Praktiken. Durch die Auswahl einer bestimmten Kleidung, Frisur, Schminke oder durch unser Benehmen, unsere Körperhaltung, verweisen wir täglich auf eine bestimmte geschlechtliche Zuordnung.
Kreuzen Sie an, welche der Eigenschaften gesellschaftlich eher als „weiblich“ oder „männlich“ gelten bzw. neutral sind! Wie soll sich eine Frau/ein Mann verhalten? Was darf/muss ein Mann/eine Frau machen?
Herunterladen (PDF)Laut österreichischer Verfassung sind Frauen und Männer in Österreich gleichberechtig: Frauen und Männer dürfen wählen und gewählt werden. Frauen und Männer haben ein Recht auf Bildung und gleichen Zugang zu Schulen und Universitäten. Frauen und Männer dürfen selbst entscheiden, ob sie heiraten, wen sie heiraten oder mit wem sie zusammenleben.
Das war jedoch nicht immer so. Lange Zeit hatten in Österreich Frauen weniger Rechte als Männer. Sie durften nicht zur Schule gehen oder studieren, viele Berufe nicht ausüben und durften auch nicht wählen. Zuhause hatte der Mann das Sagen. In der Frauenbewegung kämpften viele Menschen energisch für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Auch heute gibt es noch Ungerechtigkeiten und die Gleichstellung von Männern und Frauen ist im Alltag nicht selbstverständlich, deshalb braucht es Menschen, die sich weiterhin einsetzen für eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Heutzutage sind es vor allem Unterschiede in den sozialen Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Rollenanforderungen, die über geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse die Persönlichkeit, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen prägen. Aber auch die finanziellen Ressourcen, die politische Macht und das symbolische Kapital sind nach wie vor ungleichgewichtig verteilt. Die Top-Etage der Wirtschaft und der Politik ist weitgehend männlich geprägt und Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als ihre Kollegen. Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeiten werden oftmals privat und unbezahlt ausgeführt – zum Großteil von Frauen. Trotz zunehmender weiblicher Erwerbsbeteiligung ist das Privatleben vieler Paare noch immer vom Rollenmodell des Mannes als „Haupternährer“ geprägt. Rebecca Solnit weist darauf hin, dass Gewalt keine Rasse und keine Klasse, keine Religion und keine Nationalität, aber ein Geschlecht hat. So wird in Österreich jede fünfte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Die Täter sind beinahe immer Männer und aus dem engsten sozialen Umfeld der Frauen. Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, worunter unter anderem Vergewaltigung, sexuelle Belästigung oder sexueller Missbrauch zählen, verübten 2017 in Österreich 1.169 Männer und 20 Frauen – Männer also fast 60-mal häufiger als Frauen. (Quelle: Kriminalitätsstatistik: Statistik Austria)
Im Klassenzimmer wird entweder virtuell oder mit Klebestreifen eine Skala am Boden markiert. Das eine Ende gilt als Zustimmung bzw. als „Ja“, das andere Ende als Ablehnung bzw. als „Nein“. Die Lehrperson liest den Schülerinnen und Schülern Aussagen vor (siehe unten) und bittet sie, sich entsprechend dem Grad ihrer Zustimmung bzw. Ablehnung auf der Skala zu positionieren.
Im Anschluss werden zu einzelnen Positionierungen Statements der Schülerinnen und Schüler eingeholt und darüber diskutiert.
Herunterladen (PDF)Bereits bei der Geburt beginnt mit dem Ausspruch „Es ist ein Mädchen/Bub!“ ein Prozess, der unser gesamtes Leben prägt. Die Folge ist eine unterschiedliche Erwartungshaltung und Behandlung durch Erwachsene oder durch Gleichaltrige. Entsprechendes Spielzeug und Rollenmuster in Kinderbüchern oder in den Medien, tragen zur Identitätsbildung von Kindern bei. Es wird angenommen, dass Kindern bereits im Alter von drei Jahren bewusst ist, wie Frauen und Männer aussehen, sich verhalten bzw. auszusehen haben. Zentral für die Entwicklung zur Frau bzw. zum Mann sind herrschende Vorstellungen vom „richtigen Mädchen-Sein“ bzw. „Bub-Sein“.
Ein spannendes Gedankenexperiment ist die Frage, was aus einem geworden wäre, wenn mensch im jeweils anderen Geschlecht geboren worden wäre.
Beantworten Sie die folgende Frage möglichst ehrlich: Wie wäre ich, wenn ich als Bub (Frage für Frauen) beziehungsweise als Mädchen (Frage für Männer) zur Welt gekommen wäre?
Herunterladen (PDF)Nicht nur die Erwartungshaltung und Behandlung durch Erwachsene oder durch Gleichaltrige prägen unsere Identität als Frauen oder Männer. Bedeutend sind auch Vorbilder, sogenannte „role models“, dessen Verhaltensmuster wir nachahmen oder versuchen nachzuahmen. Was es bedeutet, eine Frau oder ein Mann zu sein, ist für jeden Menschen anders und wird auch unterschiedlich ausgelebt. Einem bestimmten Geschlecht zugehörig, ist unser Leben dennoch immer von der gesellschaftlichen Beziehung zwischen Frauen und Männern beeinflusst.
Suchen Sie sich eine Interviewpartnerin oder einen Interviewpartner aus Ihrem Freundes- oder Familienkreis und stellen Sie der Person folgende Fragen (Arbeitsblatt 5)! Machen Sie mit Ihrem Smartphone eine Aufnahme des Gesprächs, dann müssen Sie währenddessen nicht mitschreiben, sondern können auch später noch die Antworten auf dem Arbeitsblatt notieren.
Wenn die Interviews gemacht worden sind, können nun die Jugendlichen ihre Erlebnisse darstellen. In jedem Fall sollte genug Zeit vorhanden sein, von den Gesprächen zu erzählen und die verschiedenen Antworten zu präsentieren. Folgende Fragen können bei der Besprechung interessant sein:
Das Geschlecht prägt unser Leben von der Geburt bis zum Tod. Nicht nur dahingehend, welche öffentliche Toilette wir benutzen müssen, ob wir im Sport in einer Frauen- oder Männerliga spielen oder wie wir in der Schule in Gruppen eingeteilt werden, sondern auch die Kleidung, das Spielzeug in der Kindheit, die Schulbildung, die Berufswahl oder das Eheleben und die Familienplanung werden von der Diversitätskategorie Geschlecht bestimmt. Jede Erwartung, die an uns gestellt wird, alle Möglichkeiten, die wir haben und alle Probleme, die auf uns zukommen, sind auch auf unser Geschlecht zurückzuführen und prägen unsere Rolle in der Gesellschaft.
Auch wenn Frauen und Männer rechtlich gleichgestellt sind, so sind die finanziellen Ressourcen, die politische Macht und das symbolische Kapital ungleichgewichtig verteilt. Die Top-Etage der Wirtschaft und der Politik ist weitgehend männlich geprägt und Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als ihre Kollegen. Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeiten werden oftmals privat und unbezahlt ausgeführt – zum Großteil von Frauen. Trotz zunehmender weiblicher Erwerbsbeteiligung ist das Privatleben vieler Paare noch immer vom Rollenmodell des Mannes als „Haupternährer“ geprägt.
Es stellt sich die Frage, wie sehr unser Leben davon bestimmt ist, ob wir als Frau oder Mann beurteilt werden. Mit einer Geschlechterperspektive wollen wir nun auf unterschiedlichste lebensgeschichtliche Erzählungen blicken und die Folgen der Kategorie Geschlecht auf das Leben rekonstruieren.
Suchen Sie sich ein Oral-History-Interview aus und notieren Sie sich alle Aspekte, Ereignisse und Motive, die auf die Kategorie Geschlecht verweisen! Achten Sie besonders auf die Themen Kindheit, Schule, Ausbildung und Familie. Wann und bei welchen Themen spricht die Person selbst das Geschlecht an? Gibt es in den Erzählungen Ereignisse, Handlungen und Erwartungen, die eindeutig auf eine Frau oder auf einen Mann verweisen?
Herunterladen (PDF)(Text und Inhalt: Lukas Brandl, 2019)