Vergangenheitsbewältigung in Österreich

Anhand verschiedener „Affären“, die jeweils heftige Debatten aus­lösten, wird die Auf­ar­bei­tung der national­sozia­listi­schen Ver­gangen­heit in der öster­reichi­schen Politik bis zur Gegen­wart ver­an­schau­licht, wobei auch die Reaktion der Be­völkerung thema­tisiert wird.
Ebenso wird gezeigt, welche Bedeutung Reden öster­reichi­scher Politiker­innen und Politiker als auch die künst­lerische Aus­ein­ander­setzung wie beispiels­weise Mahn­male im Prozess der NS-Ver­gangen­heits­be­wälti­gung spielten bzw. spielen.

Darum geht’s

Im Mittelpunkt dieses Themenpakets steht einerseits die selbst­ständige Recherche und die an­schau­liche Präsen­tation des his­tori­schen Hinter­grunds, anderer­seits die kreative Aus­ein­ander­setzung mit den Infor­ma­tionen zum Thema NS-Ver­gangen­heits­be­wälti­gung. Die Arbeits­blätter be­in­halten auch konkrete Vor­schläge zur Text­produk­tion, zur Um­setzung exem­plarischer Szenen nach dem Vor­bild des „Theater der Unter­drückten“ sowie zur Präsen­tation der Hinter­grund­ge­schichte von Holocaust­mahn­malen. Für eine ab­schließende reflexive Phase wird die Ana­lyse einer konkreten Rede vor­ge­schlagen.

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. 55 Millionen Tote, darunter sechs Millionen, die in den national­sozia­listi­schen Ver­nichtungs­lagern er­mordet worden waren; mehr als 10 Millionen aus ihrer Heimat Ver­trie­bene; Millionen von Kriegs­ge­fangenen und massive Zer­störungen in ganz Europa.

Wenn der Krieg und die national­sozia­listi­sche Herr­schaft auch alle be­troffen hatte, so waren die Folgen für jede Einzelne und jeden Einzelnen sehr unter­schied­lich, je nach­dem zu welcher Gruppe man gehört hatte: zu der­jenigen der Täter/innen, der Opfer, der Emigrant­innen und Emigranten oder der­jenigen der Wider­stands­kämpfer/innen. Dabei war die Frage, zu welcher Gruppe man gehörte, gerade nach Ende des Kriegs oft um­stritten, da man auch das eine und das andere sein konnte, die Zu­ord­nung aber für die Zukunft äußerst ent­scheidend war. Denn die Zukunft war – so wie die Zukunft Öster­reichs – zwar für alle un­ge­wiss, je nach­dem aber, wie man selbst oder/und seine Familien­mit­glieder während des national­sozia­listi­schen Regimes ge­handelt hatte(n) oder be­handelt worden war(en), waren die Ängste und Hoffnungen jeweils andere.

1. Der Umgang mit den Täterinnen und Tätern

Mit dem NSDAP-Verbotsgesetz im Mai 1945, dem Kriegs­ver­brecher­gesetz im Juni 1945 und dem National­sozia­listen­gesetz 1948 (Amnestie der als „minder­belastet“ quali­fi­zierten National­sozia­list/innen) legte man die juris­tischen Grund­lagen einer gericht­lichen Ver­folgung von NS-Täter/innen.

Nach Kriegsende liefen die Entnazifizierungs­verfahren der Be­satzungs­mächte (hier be­sonders in der ameri­kani­schen Zone) und der öster­reichi­schen Regierung neben­ein­ander. In dieser ersten Phase der Ent­nazi­fi­zierung, in der über eine halbe Million Öster­reicher/innen als registrierte National­sozia­list/innen er­fasst wurden, über 170.000 – zu­min­dest kurz­fristig – aus ihren Funktionen (vor allem im Öffent­lichen Dienst) ent­lassen wurden, über 130.000 Fälle (43 Todes­ur­teile) gericht­lich ver­folgt und ver­handelt wurden, kam es zum Ver­such, die Spuren der NS-Ver­gangen­heit zu tilgen.

Die Auseinandersetzung mit der jüngsten Ver­gangen­heit trat aber rasch hinter die materiellen Sorgen der Nach­kriegs­zeit zurück. Nicht über­sehen werden darf bei der rück­blickenden Be­ur­teilung aber auch, was für ein sen­sibles und emotions­geladenes Thema die Ent­nazi­fi­zierung in den Nach­kriegs­jahren war – schon allein aus der Tat­sache, dass auch nach 1945 noch Elemente national­sozia­listi­schen Denkens vor­handen waren und man be­sonders hier vor der Auf­gabe stand, nicht un­er­heb­liche Teile der Be­völkerung nach­haltig in ein demo­kra­tisches System zu inte­grieren.

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Der Historiker Gerhard Jagschitz über die Ent­nazi­fi­zierung in Öster­reich
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Vernehmung des Angeklagten Arthur Seyß-Inquart und Verkündung des Todesurteils

Zusammenschnitt aus dem Nürnberger Prozess

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Rede von Bundes­präsident Karl Renner 1948
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Rede Theodor Körners 1951

Bundespräsidentschaftswahlkampf.
Strich unter die Vergangenheit

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01:01:42 (00:00:00 bis 00:07:33) video
Der Historiker Gerhard Jagschitz über das Nebeneinander von Täter/innen und Opfern

2. Der Umgang mit den Opfern, Emigrant/innen und Widerstandskämpfer/innen

1947 wurde das Opferfürsorgegesetz erlassen, das eine geringe soziale Unter­stützung und Privi­legien bei Ämtern und Be­hörden vor­sah. Das Gesetz teilte die Opfer in folgende zwei Kategorien: ehe­malige (partei‑)poli­tisch aktive Wider­stands­kämpfer/innen und Opfer von Ver­folgung aus rassis­tischen, reli­giösen, natio­nalen oder poli­tischen Gründen. Die auf­grund einer Be­hinderung ver­folgten NS-Opfer kamen erst 1995 hinzu und 2005 alle anderen vom NS-Regime ver­folgten Gruppen wie Homo­sexuelle, Opfer der NS-Gesund­heits­politik und jene der Militär­justiz. Sozial be­nach­teiligte Opfer­gruppen wie be­sonders die Roma und Sinti hatten große Schwierig­keiten, ihre An­sprüche durch­zu­setzen. Erst 1988 wurde in einer Novelle des Opfer­fürsorge­gesetzes ver­ankert, dass auch die ehe­maligen Häft­linge der so­genann­ten Zigeuner­lager sowie die aus­ge­siedelt ge­wesenen Slo­weninnen und Slo­wenen An­spruch auf Renten­für­sorge haben. Wider­stand aus Mensch­lich­keit – wie z. B. die Hilfe für Kriegs­ge­fangene oder das Ver­bergen be­drohter Per­sonen – wurde von den Be­hörden nicht als aktiver Ein­satz gegen das NS-Regime ge­wertet. Mili­tärische Delikte wurden nur dann als Wider­stand akzep­tiert, wenn die Be­troffenen partei­politische Bindungen oder Motive nach­weisen konnten.

Außerdem waren die meisten der Leistungen des Opfer­fürsorge­gesetzes an eine auf­rechte öster­reichi­sche Staats­bürger­schaft ge­bunden. Emi­gran­tinnen und Emi­granten, die bereits die Staats­bürger­schaft des Landes, in das sie ge­flüchtet waren, an­ge­nommen hatten, er­hielten nur Ein­mal­zahlun­gen und konnten, wenn über­haupt, nur wenige der Ent­schädi­gungs­leistun­gen aus dem Opfer­fürsorge­gesetz be­an­spruch­en. Erst 2001 wurde diese Be­nach­teili­gung der 1938 und danach Ver­triebenen und Ge­flüchteten durch eine Novelle be­seitigt. Emi­grantinnen und Emi­granten wurden auch von offi­zieller Seite nie ein­ge­laden, nach Öster­reich zu­rück­zu­kehren. (vgl. Doku­men­tations­archiv des öster­reichi­schen Wider­stands)

Die Wider­stands­kämpferinnen und ‑kämpfer er­hielten weder An­er­kennung für ihre ge­fähr­lichen Aktionen gegen das NS-Regime, noch ließ man sie in der Politik eine Rolle spielen.

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Interview mit dem Zeit­zeugen Friedrich Zawrel

über sein Zusammen­treffen mit dem be­rüch­tig­ten Arzt Heinrich Gross 1975

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Der Historiker Gerhard Jagschitz über die Last der Geschichte

3. Der Opfermythos

Lange wurde die nationalsozialistische Vergangenheit des Landes in der öster­reichi­schen Gesell­schaft ver­drängt, ver­gessen und tabuisiert. Schon 1945 präsen­tierte sich Öster­reich als Opfer des national­sozia­lis­tischen Deutsch­lands. Ge­stützt wurde diese Inter­pre­ta­tion des „An­schlusses“ durch die am 1. November 1943 ver­öffent­lichte „Moskauer Deklara­tion“, in der die Alliierten das Ziel eines freien und un­ab­hängigen Öster­reichs er­klärten. Öster­reich wurde in diesem Doku­ment tat­säch­lich als „erstes Opfer der typi­schen An­griffs­politik Hitlers“ be­zeich­net, gleich­zeitig wurde je­doch fest­ge­halten, dass Öster­reich „für die Teil­nahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutsch­lands eine Ver­ant­wortung trägt, der es nicht ent­rinnen kann, und dass an­läss­lich der end­gültigen Ab­rech­nung Be­dacht­nahme da­rauf, wie viel es selbst zu seiner Be­freiung bei­ge­tragen haben wird, un­ver­meid­lich sein wird.“ Die Moskauer Dekla­ra­tion war eine der Grund­lagen der Ver­hand­lungen, die zum Staats­ver­trag im Mai 1955 und damit zur Wieder­her­stellung des souve­ränen Staates Öster­reich führten. Der „Opfer­mythos“ als Gründungs­mythos der Zweiten Republik wurde bei­be­halten.

Doch nach einer Reihe von Skandalen, die in der Waldheim-Affäre 1986 ihren Höhe­punkt fanden, konnte das Tabu der öster­reichi­schen Be­teili­gung am national­sozia­listi­schen Regime nicht mehr gehalten werden, und die Gesell­schaft be­gann, sich mit ihrer Ver­gangen­heit aus­ein­ander­zu­setzen.

Wie schwer man sich in Österreich mit der Aufarbeitung der national­sozia­listi­schen Ver­gangen­heit tat und wie wider­sprüch­lich mit dieser Ver­gangen­heit um­ge­gangen wurde, zeigen die folgenden „Affären“.

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Der Historiker Gerhard Jagschitz zur Moskauer Deklaration

4. Die „Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre“

Bruno Kreisky, selbst in einer assimilierten jüdischen Wiener Familie auf­ge­wachsen und schon vor dem Krieg poli­tisch als Sozial­demokrat enga­giert, musste 1938 emi­grieren und war seit seiner Rück­kehr nach Öster­reich 1951 in der Politik tätig. 1970 wird er Bundes­kanzler einer SPÖ-Minder­heits­re­gierung unter Duldung der FPÖ. Simon Wiesenthal, Leiter des Doku­men­ta­tions­zentrums (des Bundes Jüdischer Ver­folgter des Nazi­regimes) und als solcher durch die Aus­forschung des Auf­ent­haltes national­sozia­listi­scher Kriegs­ver­brecher/innen inter­natio­nal an­er­kannt, kriti­sierte die Nomi­nie­rung mehrerer Minister des Kabi­netts Kreiskys, weil sie NS-Orga­ni­sa­tionen an­ge­hört hatten.

Vor der Wahl 1975 stellte sich Kreisky darauf ein, dass die SPÖ die abso­lute Mehr­heit, die sie bei den Wahlen 1971 erlangt hatte, nicht mehr er­reichen und somit eine Koali­tion mit der FPÖ unter deren Bundes­partei­ob­mann Friedrich Peter not­wendig sein würde. Wiesen­thal erfuhr, dass Friedrich Peter einer Ein­heit der SS an­ge­hört hatte, die für Massen­morde an der Zivil­be­völke­rung ver­ant­wort­lich ge­wesen war. Erst nach der Wahl, bei der die SPÖ die abso­lute Mehr­heit be­hielt, machte Wiesen­thal den Vor­wurf öffent­lich. Peter wies zurück, an Mord­ak­tionen be­teiligt ge­wesen zu sein. Bundes­kanzler Bruno Kreisky stellte sich hinter Peter, unter­stellte Wiesen­thal „Mafia­methoden“ und warf ihm vor, selbst mit dem NS-Regime kolla­bo­riert zu haben. Wiesen­thal klagte den Bundes­kanzler, der darauf­hin seine An­schuldi­gungen zu­rück­nehmen musste.

Auch in der österreichischen Bevölkerung, von der die meisten gerne einen Schluss­strich unter die NS-Zeit ge­setzt hätten, löste der Streit hitzige, teils anti­semitisch ge­färbte Dis­kussio­nen aus.

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Bruno Kreisky
Bruno Kreisky
00:44:42 (00:12:49 bis 00:17:46) audio
Pressekonferenz Simon Wiesen­thals über Friedrich Peters Ver­gangen­heit bei der SS sowie die Reak­tionen Peters und Kreiskys
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1978 kandidierte Friedrich Peter nicht mehr als Bundesparteiobmann der FPÖ, zog aber weiterhin die Fäden in seiner Partei. Mit seinem Fürsprecher Bruno Kreisky handelte er 1983 die Kleine Koalition unter Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) und Vizekanzler Norbert Steger (FPÖ) aus, nachdem die SPÖ die absolute Mehrheit verloren hatte. Unter der rot-blauen Regierung sollte Peter 1983 dritter Nationalratspräsident werden, zog jedoch nach heftigen Protesten aufgrund seiner SS-Vergangenheit seine Kandidatur zurück. Er blieb bis zu seinem Ausscheiden aus dem Nationalrat 1986 Klubobmann der FPÖ und starb 2005 in Wien. (vgl. Artikel im Standard vom 28. September 2005)

5. Der Fall Walter Reder

Walter Reder war als SS-Sturmbannführer unter anderem für ein Massaker im italieni­schen Marzobotto ver­ant­wort­lich, bei dem 1800 Be­wohner/innen ums Leben kamen. 1951 wurde Reder in Italien zu lebens­langer Haft ver­ur­teilt. Öster­reich sah sich als „Schutz­macht“ für den Kriegs­ver­brecher, ob­wohl er bereits 1934 die öster­reichi­sche zu­gunsten der deutschen Staats­bürger­schaft auf­ge­geben hatte. 1956 wurde Reder wieder die öster­reichi­sche Staats­bürger­schaft ver­liehen und Anfang der 1960er Jahre stellte das Außen­minis­terium fest, dass Reder als Kriegs­ge­fangener im Sinn der Genfer Kriegs­gefangenen­konvention zu be­handeln sei. Für seine Frei­lassung setzten sich im Laufe der Jahr­zehnte viele öster­reichi­sche Spitzen­politiker/innen, aber auch Persönlich­keiten wie Kardinal König ein.

1984 schrieb Reder an die Bürger/innen von Marzabotto einen Brief, in dem er seine tiefe Reue aus­drückte. Nach­dem er im Jänner 1985 aus dem Gefäng­nis ent­lassen und nach Öster­reich über­stellt worden war, wider­rief er seine Reue­be­kundungen.

Bei seiner Ankunft am Grazer Flughafen wurde er vom da­maligen Ver­teidigungs­minis­ter Fried­helm Frischen­schlager (FPÖ) be­grüßt. Dieser Hand­schlag löste eine Protest­welle im In- und Aus­land aus. Scharf kritisiert wurde auch, dass dem ver­ur­teilten Kriegs­ver­brecher nach seiner Rück­kehr vom ÖVP-Politiker Wilhelm Gorton Unter­kunft ge­währt wurde. In Öster­reich be­wirkte der Fall Walter Reder eine breite Aus­ein­ander­setzung mit der national­sozia­listi­schen Ver­gangen­heit – manche meinen, zum ersten Mal.

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ÖVP-Obmann Alois Mock zur Affäre Reder-Frischenschlager

Ausschnitt aus der ORF-Presse­stunde vom 27. Jänner 1985

6. Die Waldheim-Affäre

Kurt Waldheim zählte zu den bedeutendsten, gleich­zeitig aber auch zu den um­stritten­sten Politikern Öster­reichs. Seine politi­sche Karriere begann er 1947 als Sekretär des da­maligen Außen­minis­ters Karl Gruber. Da­nach war er lange als Diplo­mat tätig. Von 1968 bis 1970 war Wald­heim Außen­minis­ter. 1971 wurde er zum General­sekretär der Ver­einten Nationen ge­wählt und übte dieses Amt bis 1981 aus. Von 1986 bis 1992 war Wald­heim öster­reichi­scher Bundes­präsident.

Während des Wahlkampfs zur Bundes­präsidenten­wahl 1986 lösten im öster­reichi­schen Nach­richten­maga­zin „profil“ publi­zierte Infor­ma­tionen zur NS-Ver­gangen­heit des von der ÖVP auf­ge­stellten Kandi­daten Wald­heim so­wie die Ver­öffent­lichung dessen Wehr­machts­karte heftige politi­sche Aus­ein­ander­setzungen aus. Aber auch inter­natio­nal wurde Wald­heims NS-Ver­gangen­heit zum Thema. Der ehe­malige An­ge­hörige des SA-Reiter­korps und des NS-Studenten­bundes hatte in seiner offi­ziellen Bio­grafie ver­schwiegen, dass er bereits im März 1942 nach Saloniki zur Heeres­gruppe E der Deutschen Wehr­macht ver­setzt worden war, einer Ein­heit, die an der Depor­ta­tion der jüdischen Be­völkerung be­teiligt ge­wesen war.

Mit Aussagen wie „Ich habe im Krieg nichts anderes getan als hundert­tausende Öster­reicher auch, näm­lich meine Pflicht als Soldat erfüllt“, zeigte er einen un­sen­siblen und ober­fläch­lichen Um­gang mit seiner Ver­gangen­heit, sprach aber, wie nicht nur sein Wahl­sieg ver­muten lässt, damit tausenden ehe­maligen Wehr­machts­soldaten aus der Seele.

Im Zuge der Auseinandersetzung um Waldheim wurden anti­semiti­sche Ressenti­ments be­dient, auch von Wald­heim selbst, wie die folgende in der französi­schen Tages­zeitung „Le Monde“ ver­öffent­lichte Be­merkung Wald­heims zeigt: „[Die inter­natio­nale Presse] ist von dem jüdischen Welt­kongress domi­niert. Das ist wohl be­kannt.“ (Le Monde, 3. Mai 1986, zitiert nach Ruth Wodak u. a.)

Kurt Waldheim
Kurt Waldheim
01:00:01 (00:13:40 bis 00:19:39) audio
Interview mit Waldheim nach seiner Wahl zum UNO-Generalsekretär

Beitrag im Mittags­journal vom 22. Dezember 1971

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1987 wurde Waldheim vom US-amerikanischen Justiz­minis­terium auf die „Watch­list“ ge­setzt. Das be­deu­tete, dass er als Privat­person bis zur Ent­kräftung der Vor­würfe gegen ihn nicht mehr in die Ver­einig­ten Staaten ein­reisen durfte.

00:54:11 (00:00:16 bis 00:03:22) audio
Waldheim auf der Watchlist

Beitrag aus dem Abend­journal vom 27. April 1987 der mit einer Ein­spielung der Head­line von CNN beginnt.

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00:59:39 (00:01:55 bis 00:06:02) audio
Reaktionen auf die Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten

Beitrag im Mittags­journal vom 9. Juni 1986

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Auf Kurt Waldheims Wunsch setzte die österreichische Bundes­re­gie­rung eine inter­natio­nale His­toriker­kommis­sion zur Über­prüfung der An­schul­di­gungen ein. Diese konnte zwar keine Be­teili­gung oder Mit­täter­schaft nach­weisen, stellte aber fest, dass Wald­heim – ent­gegen seiner Aus­sagen – von den Kriegs­ver­brechen am Balkan gewusst haben musste. Darauf­hin forderte Simon Wiesen­thal, der Leiter des Jüdischen Doku­men­ta­tions­zentrums, Wald­heims Rück­tritt. Wald­heim blieb im Amt, doch seine „Gedächt­nis­lücken“ ließen die Kritik nie ver­stum­men und die inter­natio­nale Iso­la­tion hielt weiter an. Die Be­zeich­nung „Lügen­präsi­dent“ des Schrift­stellers Thomas Bernhard wurde in der aus­ländi­schen Presse zu einem ge­läufigen Aus­druck. Zurück blieb das Bild eines Landes, das sich mit der eigenen national­sozia­listi­schen Ver­gangen­heit nicht aus­ein­ander­gesetzt hatte. Der um­strittene Bundes­präsident polari­sierte die Gesell­schaft und löste eine öffent­liche Dis­kus­sion über den „Opfer­mythos“ aus.

00:59:54 (00:10:54 bis 00:18:11) audio
„The Times“ ver­öffent­licht Brief der Wald­heim be­lastet und Presse­schau

Bericht im Mittags­journal vom 5. Februar 1988 kurz vor der Ver­öffent­lichung des Berichts der His­toriker­kommission

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7. Das Gedenkjahr 1988 und seine Folgen

Das Gedenkjahr 1988 (50 Jahre „Anschluß“) war geprägt von zahl­reichen Dis­kus­sions­ver­an­stal­tungen und Publi­kationen zum Thema Ver­gangen­heits­be­wälti­gung und Opfer­mythos. Der längst fällige Prozess der Auf­ar­bei­tung hatte ein­ge­setzt und führte nach wie vor zu teil­weise heftigen Aus­ein­ander­setzungen. Als Bei­spiele seien die Dis­kus­sionen um die Auf­führung des Theater­stücks „Helden­platz“ von Thomas Bernhard am Wiener Burg­theater oder um die Er­richtung des „Mahn­mals gegen Krieg und Faschis­mus“ auf dem Platz vor der Albertina durch den öster­reichi­schen Bild­hauer Alfred Hrdlicka genannt.

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00:01:36 video
Aufregung um Thomas Bernhards „Heldenplatz“

Bericht in der Wochen­schau vom 10. Oktober 1988

00:59:49 (00:17:14 bis 00:29:35) audio
Reaktionen auf Thomas Bernhards „Heldenplatz“

Bericht im Mittags­journal vom 11. Oktober 1988

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00:59:16 (00:12:06 bis 00:34:25) audio
Diskussion zum Hrdlicka-Denkmal

Bericht im Mittags­journal vom 26. Juli 1988

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International blieb Österreich weiterhin isoliert. Bundes­kanzler Franz Vranitzky (SPÖ) über­nahm Re­prä­sen­ta­tions­auf­gaben, die unter anderen Um­ständen der Bundes­präsident wahr­ge­nommen hätte. Dabei ging Vranitzky auf Dis­tanz zu Wald­heim und drohte sogar mit seinem Rück­tritt. Kritiker/innen warfen Vranitzky aller­dings vor, dass er die Situa­tion des Bundes­präsi­denten aus­nütze, um von den partei­internen Problemen der SPÖ ab­zu­lenken. Vranitzky gelang es, die Be­ziehungen zu den USA und zu Israel, dessen Bot­schafter nach der Wahl Wald­heims ab­ge­zogen worden war, zu normali­sieren. Innen­politisch ging er auf Dis­tanz zu Jörg Haider (FPÖ) und dessen Politik.

00:59:55 (00:12:36 bis 00:16:20) audio
Presseschau zur Konfrontation Vranitzky – Waldheim

Beitrag im Mittags­journal vom 15. Februar 1988

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Im langen Prozess der Aufarbeitung der national­sozia­listi­schen Ver­gangen­heit Öster­reichs ist die Rede Vranitzkys vor dem National­rat am 8. Juli 1991 be­merkens­wert. Vranitzky nahm die Aus­sage des Kärntner Landes­haupt­manns und FPÖ-Vor­sitzenden Jörg Haider, dass es im Dritten Reich eine „ordent­liche Be­schäftigungs­politik“ ge­geben habe, zum An­lass, um sich kritisch mit der Rolle Öster­reichs in der Ver­gangen­heit aus­ein­ander­zu­setzen. Der Bundes­kanzler rela­ti­vierte nicht nur die bis dahin auch von offi­zieller Seite hoch­ge­haltene These von Öster­reich als erstem Opfer des national­sozia­listi­schen Regimes, sondern be­kannte auch die Mit­schuld der Öster­reicher/innen am Zweiten Welt­krieg und dessen Folgen ein.

Zwei Jahre später hielt Vranitzky im Rahmen seiner Israel­reise eine Rede an der Uni­versi­tät in Jerusalem, in der er die Opfer des National­sozia­lis­mus im Namen der Republik um Ver­zeihung bat. Mit seinen Worten gab er zu ver­stehen, dass sich Öster­reich von den politi­schen Mythen der Nach­kriegs­zeit ver­ab­schiedete, und signa­li­sierte die Orien­tie­rung an einem euro­päischen Ge­schichts­be­wusst­sein. Das Be­kenntnis des offi­ziellen Öster­reichs zur Mit­ver­ant­wortung am Holo­caust demon­striert so auch den politi­schen Willen, gegen Rechts­extremis­mus und Rassis­mus vor­zu­gehen. (http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissensstationen/opfermythos.html)

1994 besuchte Bundespräsident Thomas Klestil als erster öster­reichi­scher Präsi­dent Israel und hielt eine Rede vor der Knesset, dem israeli­schen Parla­ment, in der er sich zum „schweren Erbe der Ge­schichte“ bekannte.

00:02:35 audio
Staatsbesuch von Bundes­kanzler Franz Vranitzky in Jerusalem

Ausschnitt aus dem Abend­journal vom 9. Juni 1993

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00:55:58 (00:31:52 bis 00:34:19) audio
Staatsbesuch von Bundes­­präsident Thomas Klestil in Israel

Bericht im Mittags­journal vom 16. November 1994

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Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der öster­reichi­schen Ver­gangen­heits­be­wälti­gung war 1998 die Ein­setzung einer His­toriker­kommis­sion, die den Themen­komplex „Raub von jüdischem Eigen­tum durch das NS-Regime und die Ver­suche der Wieder­gut­machung“ auf­arbei­tete. 2003 präsentierte sie ihren End­be­richt und zeigte er­neut auf, dass sich Öster­reich hinter der Opfer­these ver­steckte und bei der Ent­schädi­gung an Opfer des NS-Regimes „oft nur halb­herzig und teil­weise recht zöger­lich“ agierte.

Im selben Jahr wurde die „Zentrale österreichische Forschungs­stelle Nach­kriegs­justiz“ ge­gründet, die staats­an­walt­schaft­liche Unter­suchungen und Gerichts­ver­fahren auf­grund von NS-Ver­brechen doku­men­tiert. Auf Be­treiben Simon Wiesen­thals wurde 2000 das „Mahn­mal für die öster­reichi­schen jüdischen Opfer der Schoah“ am Wiener Juden­platz, ge­staltet von Rachel Whiteread, ent­hüllt.

00:55:52 (00:47:32 bis 00:52:45) audio
Kontroverse um das Mahnmal am Judenplatz

Bericht im Mittagsjournal vom 2. Dezember 1996

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Dass die Vergangenheitsbewältigung nach wie vor nicht ab­ge­schlossen ist, zeigten die Aus­ein­ander­setzungen an­läss­lich der ab 1995 ge­zeigten so­genannten Wehr­machts­aus­stellung („Ver­nichtungs­krieg. Ver­brechen der Wehr­macht 1941 bis 1944“), die bei der zweiten, stark über­ar­bei­teten und ab 2002 ge­zeigten Neu­fassung teil­weise so­gar gewalt­tätig waren. In der Aus­stellung wurde das Bild der „sauberen Wehr­macht“ als vom NS-Staat ge­trennter, un­poli­ti­scher Ein­richtung wider­legt. Die Gegner/innen sprachen von einer „Pauschal­ver­ur­teilung aller Wehr­macht­an­ge­hörigen“.

00:55:47 (00:31:52 bis 00:34:16) audio
Diskussion um die Wehrmachtausstellung in Kärnten

Bericht im Mittags­journal vom 5. September 1996

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Ebenfalls für heftige Debatten sorgte ein Interview mit Bundes­kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), das am 9. November 2000, dem Gedenk­tag der Reichs­pro­grom­nacht 1938, in der israelischen Tages­zeitung „Jerusalem Post“ er­schienen war. Darin ließ er die Opfer­these wieder­auf­leben und be­kannte sich erst auf Nach­frage zur morali­schen Ver­ant­wor­tung Öster­reichs für seine NS-Vergangenheit.

Kritisch wurde auch das „Jubiläumsjahr 2005“ gesehen. Während in Europa die Be­freiung von der NS-Herr­schaft und das Jahr 1945 im Zentrum standen, feierte man in Öster­reich die „Erfolgs­story“ der Zweiten Republik.

Im Gedenkjahr 2008, das im Zeichen der Erinnerung an eine Viel­zahl his­tori­scher Er­eignisse stand – darunter die Aus­rufung der Repu­blik 1918, die Aus­schaltung des Parla­ments 1933, der „An­schluss“ an das national­sozia­listi­sche Deutsch­land 1938 –, er­wähnte mit Aus­nahme von Otto Habs­burg bei einer Gedenk­ver­an­staltung der ÖVP im offiziellen Rahmen die „Opfer­these“ niemand mehr.

Der Prozess der Vergangenheits­bewältigung hält bis heute an. Erst 2013 präsen­tierte eine Kommis­sion aus drei His­torikern und einer His­torikerin ihre Unter­suchungs­er­gebnisse über die Ver­gangen­heit von Per­sonen, nach denen Plätze oder Straßen in Wien benannt sind.

Weitere Archivlinks zum Thema Vergangenheitsbewältigung

00:02:55 video
Anschuldigungen gegen beide Präsi­dent­schafts­kandi­daten. Bericht in der „Zeit im Bild 1“ vom 26. April 1986
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Antrittspressekonferenz von Kurt Waldheim
Online nicht verfügbar
Presse­konferenz von Zeit­zeug/innen der Studenten- und Kriegs­jahre Waldheims
00:59:55 audio
ÖVP-Obmann Alois Mock über Franz Vranitzkys Rück­tritts­drohung und die Waldheim-Affäre
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00:44:42 audio
Im Brennpunkt – Antisemitismus in Österreich
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01:00:00 audio
Kurzer Beitrag zu Simon Wiesenthal
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8. Arbeitsblätter

Recherche zum historischen Hintergrund – Arbeitsblatt 1
bietet Anregungen für die Recherche zum historischen Hintergrund. Die Schüler/innen sollen zu vor­ge­gebenen Themen auf den Seiten der Media­thek recher­chie­ren und die Er­gebnisse in der Form eines (Markt‑)Standes präsen­tieren. Die selbst zu er­stellende Time­line zur Ver­gangen­heits­be­wälti­gung hilft jeder Schülerin und jedem Schüler, sich einen Über­blick zu ver­schaffen.

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Schreibwerkstatt – Arbeitsblatt 2
bietet Ideen zur Textproduktion, in der die Schüler/innen das erworbene Wissen kreativ umsetzen. Das Angebot reicht von alternativen Biografien der damaligen Akteure über alternative Geschichtsschreibung bis zu fiktiven Telefonaten.

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„Theater der Unterdrückten“ – Arbeitsblatt 3
beschreibt eine Methode des „Theater der Unter­drückten“, das der Theater­praktiker und ‑theoretiker Augusto Boal ent­wickelte, und zeigt Mög­lich­keiten der Um­setzung.

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Mahnmale – Arbeitsblatt 4
bietet Vorschläge, um sich mit Holocaust­denk­mälern aus­ein­ander­zu­setzen. Die Schüler/innen er­arbeiten die Hinter­grund­geschichte zweier exemp­larisch aus­ge­wählter Mahn­male in Wien und präsen­tieren sie als Reise­führer/innen der Klasse. 

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Redeanalyse – Arbeitsblatt 5
enthält einen kurzen Auszug aus der 1991 im Nationalrat ge­haltenen Rede des öster­reichi­schen Bundes­kanzlers Franz Vranitzky. Die Ana­lyse der Rede bietet sich als Ab­schluss des Themen­pakets an, wobei vor allem die Be­deu­tung der Rede im Kon­text der Ver­gangen­heits­be­wältigung in Öster­reich themati­siert werden soll. 

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(Text und Inhalt: Julia Müller, 2014)