Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen erinnerte in seiner Neujahrsansprache am 1. Jänner 2018 an die „großen lichten Augenblicke“ der österreichischen Geschichte, mahnte aber auch, die „dunkelsten Aspekte“ nie zu vergessen. Einer davon war das Jahr 1938, als Österreich durch den „Anschluß“ Teil des Deutschen Reichs wurde und sich an Verbrechen des NS-Regimes beteiligte, dazu zählte auch die Vertreibung hunderttausender Menschen.
80 Jahre nach dem „Anschluß“ kommen in diesem Themenpaket jene Menschen zu Wort, die aus Österreich flüchten mussten und jahrelang im Exil lebten.
Was bedeutet Flucht? Welche Emotionen sind damit verbunden? Welche Einzelschicksale stecken hinter den Vertreibungen des Jahres 1938? Wie geht es den Menschen viele Jahre später, nachdem sie sich im Exil eine neue Existenz aufgebaut haben?
Den Schwerpunkt des Themenpakets bildet Oral History als Methode der Geschichtswissenschaft und das Arbeiten mit Biografien. Schülerinnen/Schüler erfahren von Zeitzeuginnen/Zeitzeugen, wie diese ihre Flucht aus der Heimat in Erinnerung behalten haben. Die Unterrichtsvorschläge beinhalten Vorschläge zur Analyse von Zeitzeugeninterviews, Kreativarbeiten zur Aufarbeitung von Emotionen und die Anleitung, selbst ein Zeitzeugenvideo zu drehen. Abschließend werden zwei Aufnahmen präsentiert, in denen sich Wissenschaftler die Frage nach den langfristigen Auswirkungen von Flucht und den Möglichkeiten eines Lebens im Exil stellen.
Lehrplanverortung: 7. Klasse OST (NOST: Kompetenzmodul 5) und/oder 8. Klasse OST (NOST: Kompetenzmodul 7)
historische Kompetenzen: historische Fragekompetenz, historische Methodenkompetenz, historische Orientierungskompetenz, politische Urteilskompetenz
Konzepte: Belegbarkeit, Handlungsspielräume, Diversität, Perspektive, Auswahl
Unterrichtsprinzipien: Subjektorientierung, Lebensweltbezug, Handlungsorientierung, Problemorientierung, exemplarisches Lernen, Prozessorientierung
Der Einstieg ins Thema „Flucht und Exil” wird über drei unterschiedliche Kanäle angeregt: erstens über persönliche Reflexionen, zweitens über die Erinnerung einer den Schülerinnen/Schülern unbekannten Person und drittens über ein Gedicht von Bertolt Brecht.
Tipp: Grundkenntnisse zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust sollten bekannt sein.
Interview mit Alfred Bader [Ausschnitt]
Einführung in die Oral History-Methode: In einem Lehrer/innen-Schüler/innen-Gespräch wird auf die Vor- und Nachteile dieser Methode hingewiesen. Anschließend entwickeln die Schülerinnen/Schüler unter Anleitung der Lehrperson einen Leitfaden zur Analyse von Zeitzeugeninterviews. Das Arbeitsblatt 3 „Oral History: Auswertung von Zeitzeugeninterviews” bietet einen möglichen Erwartungshorizont. Dieser Leitfaden kann für unterschiedliche Zeitzeugeninterviews herangezogen werden, eine Vielzahl an Vorschlägen dafür finden Sie in der Rubrik „Weiterführende Töne zum Thema”.
Das Anhören persönlicher Lebensgeschichten stellt die Menschen und ihre individuellen Schicksale in den Vordergrund. Durch das Aufzeichnen von Interviews lassen sich Erinnerungen nachhaltig bewahren und führen die Schülerinnen/Schüler zu emotionalem Lernen. In dieser Unterrichtssequenz setzen sich die Schülerinnen/Schüler arbeitsteilig mit Langversionen von Zeitzeugeninterviews auseinander und lernen auf diese Weise verschiedene Fluchtgeschichten kennen.
Beispiel: Elfchen zum Thema Flucht
Flucht
meine Heimat
für immer verloren
Sehnsucht Hoffnung Einsamkeit Angst
zerrissen
Wahrnehmen mit allen Sinnen: Dieser Unterrichtsvorschlag leitet Schülerinnen/Schüler an, die Unterschiede zwischen einem schriftlichen Zeitzeugenbericht und einer audiovisuellen Quelle herauszuarbeiten.
Welchen Unterschied macht es, ob man ein Interview hört oder sieht? Wie beeinflusst das Bild eines Menschen ihre Wahrnehmung in Bezug auf Inhalt, Art der Erzählung, Emotionen der Person bzw. die eigenen Emotionen?
Es gibt zahlreiche Berichte über die Fluchtgeschichte von Menschen, die aus ihrem Heimatland vertrieben worden sind. Es gibt allerdings nur wenige Stellungnahmen, die sich mit den Traumata, die mit diesen Schicksalen oft ein Leben lang verbunden sind, auseinandersetzen.
Dieses Unterrichtsbeispiel widmet sich den Aussagen zweier Wissenschafter, die aus unterschiedlicher Perspektive zu diesem Thema Stellung nehmen:
– der US-amerikanische Wissenschaftshistoriker Gerald James Holton (geb. 1922 in Berlin)
– der österreichische Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler (geb. 1951 in Zeltweg, Steiermark)
Interview mit Gerald Holton
Interview mit Friedrich Stadler
Arbeitsblatt 1: Flucht – ein Thema, das uns alle betrifft!
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 2: Über die Bezeichnung Emigranten
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 3: Oral History: Auswertung von Zeitzeugeninterviews (Erwartungshorizont)
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 4: Flucht aus Österreich im Jahr 1938
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 5: Textproduktion zum Aufarbeiten der Interviews
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 6: Zeitzeugenbericht von Kurt Menasse
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 7: Zeitzeugenvideo von Kurt Menasse
Herunterladen (PDF)Arbeitsblatt 8: Traumatisiert im Exil
Herunterladen (PDF)UNHCR und ÖIF (Hrsg.): Aufbrechen. Ankommen. Bleiben. Bildungsmaterial zu Flucht und Asyl. 2016. Zugriff am 30. Jänner 2018.
Kindernothilfe (Hrsg.): Flucht und Migration. 2015. Zugriff am 30. Jänner 2018.
Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.): Flucht. Zugriff am 30. Jänner 2018.
Alois Ecker, Klaus Edel, Alfred Germ, Bettina Paireder, Hanna-Maria Suschnig (Hrsg.): Asyl & Migration. (historische politische bildung. Themendossiers zur Didaktik von Geschichte, Sozialkunde und Politischer Bildung. Band 6). Wien. Edition Fachdidaktikzentrum Geschichte und Politische Bildung. 2014.
Hans-Jürgen Pandel: Geschichtstheorie. Eine Historik für Schülerinnen und Schüler, aber auch für ihre Lehrer. Schwalbach. Wochenschauverlag. 2017.
(Text und Inhalt: Julia Müller, Bettina Paireder, 2018)