Radioerinnerungen

Das Radio hat als frühes Medium des 20. Jahrhunderts mehrere Generationen geprägt. So finden sich in den lebensgeschichtlichen Interviews der Sammlung MenschenLeben vielfältige und persönliche Geschichten darüber, auf welche Weise und was im Radio gehört wurde. Dabei erinnern sich Menschen an historische Ereignisse, die sie via Radiowellen erreicht haben ebenso, wie an Rituale des einsamen und gemeinsamen Hörens. Auch die Bedeutung des Mediums, beispielsweise in Kriegs- und Krisenzeiten oder für das eigene Heranwachsen, spiegelt sich in den biografischen Erzählungen wider. Hören Sie, welche Faszination das Radio in technischer wie inhaltlicher Hinsicht über Jahrzehnte hinweg ausgestrahlt hat.

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Ursula W. spricht über die Vorstellung ihres Vaters, wie ein Radio funktioniert. (Ausschnitt)

Das erste Radio

Ob die erste Erinnerung ans Radio­hören, oder das erste eigene Radio. In lebens­geschicht­lichen Inter­views mit Menschen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahr­hunderts geboren sind, gibt es lebendige Erzählun­gen zu den ersten Apparaten und der Anziehungs­kraft, die das neue Medium ausgeübt hat. Noch in den 1950er Jahren war das Leit­medium in den Haus­halten, das von allen Familien­mit­glie­dern gehört wurde.

Da muss ein Mandl drin sein!
Ursula W., geboren 1935
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Helga Baum (Pseudonym), geboren 1914 in Wien

Die zum Zeitpunkt des Interviews 100-Jährige Wienerin erinnert sich, wie sie als Kind ihr erstes Radio selbst gebaut hat.

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Wolfgang Kos, geboren 1949 in Mödling

Der spätere Radiojournalist erzählt, welche Faszination der Radio­aparat auf ihn als Kind aus­ge­übt und welche Rolle das Medium in seinem Eltern­haus gespielt hat.

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Ursula W., geboren 1935 in Abtenau

erinnert sich an das erste Radio der Familie und die Reaktion ihres Vaters.

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Ursula W. beim Sandschaufeln, 1950er Jahre ©
Ursula W. beim Sandschaufeln, 1950er Jahre

Radio als kostbares Gut

Der Wert des Radios drückt sich in den Erzählungen der Menschen sehr unter­schiedlich aus. Während manche Menschen gar nicht über das Radio sprechen, berichten andere über ihre große Leidenschaft für dieses unmittel­bare Medium. In der Kriegs- und Nach­kriegs­zeit war das Radio für viele Familien ein unersetz­barer Informations­träger und darüber hinaus auch ein wertvolles technisches Gerät.  

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Rosa Edinger, geboren 1939 in Saalfelden

schildert eine Kindheitserinnerung, als ein amerikanischer Besatzungssoldat ihrer Familie das Radio wegnahm.

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Jedes Mal, wenn das Radio ausgeschaltet wurde, habe ich richtig geweint.
Simon INOU, geboren 1972
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Simon INOU, geboren 1972 Bafang (Kamerun)

Der Journalist erzählt, dass er schon als Kind leidenschaftlich gern Radio hörte und dafür von seiner Mutter einen Spitznamen erhielt.

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Rosa Edinger als Kind, 1940er Jahre ©
Rosa Edinger als Kind, 1940er Jahre

Historische Ereignisse empfangen

Als erstes direktes Übertragungs­medium spielte Radio in der politi­schen Ge­schich­te der Ersten und Zweiten Republik eine zentrale Rolle. Die Stimmen jener, die die verschiede­nen historischen Ereignisse via Radio miterlebt haben, sind jedoch seltener zu hören. In den Oral History-Interviews der Sammlung MenschenLeben berichten Menschen, je nach Generation, von sehr unterschiedlichen medien­geschicht­lichen Ereig­nissen – von Kurt Schuschniggs letzter Radio­ansprache 1938 bis zur Besetzung der Hainburger Au 1984.

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Rosa Schlöglmann, geboren 1926 in Sigharting

erinnert sich, wie sie ihre Großmutter im März 1938 auf den Nach­barhof mitge­nommen hat, um den den Bericht über Hitlers Ein­marsch nach Öster­reich im Radio zu „losen“ (hören).

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Rosa Schlöglmann (links), 1950er Jahre ©
Rosa Schlöglmann (links), 1950er Jahre
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Helmuth Piplits, geboren 1944 in Stegersbach

erzählt, wie 1955 die Übertragung der Unter­zeichung des Öster­reichischen Staats­vertrags, das ganze Dorf bewegt hat.

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01:07:41 (00:05:36 bis 00:07:47) audio
Peter Weish, geboren 1936 in Wien

spricht darüber, wie eine via Autoradio über­tragene Presse­konferenz rund um die Ereignisse in der Hainburger Au 1984 die Menschen auf der Straße zusammen­kommen ließ. 

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Zeltlager im Zuge der Besetzung der Stopfenreuther Au, 1984 ©
Zeltlager im Zuge der Besetzung der Stopfenreuther Au, 1984
Er ist herausgekommen und hat links und rechts seinen Hitlergruß gespendet. Das war wie ein Kasperl.
Helga Baum, geboren 1914
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Helga Baum, geboren 1914

erzählt, wie sie im März 1938 den Ein­marsch der deutschen Wehr­machts­truppen in Wien erlebt und die letzte Rede von Kurt Schuschnigg im Radio gehört hat.

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Magda Kalnoky, geboren 1928 in Baden

lebte 1956 in Budapest und erzählt, wie sie den Ungarischen Volksaufstand übers Radio verfolgt hat.

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Magda Kalnoky beim Schneeschaufeln, 1944 ©
Magda Kalnoky beim Schneeschaufeln, 1944

Radio hören im Krieg

Eine der häufigsten Erzählungen in lebens­geschichtlichen Interviews zum Krieg mit Menschen, die in den 1920er und 1930 Jahren geboren sind, dreht sich um das Hören von soge­nannten „Feinsendern“. Diese von den National­sozia­listen seit 1939 verbotenen ausländischen Radio­sender wurden vor allem gegen Kriegs­ende von großen Teilen der Bevölkerung heimlich empfangen. „Schwarz­gehört“ – wie es auch hieß – wurde vor allem der „Engländer“ die BBC aus London. Die wichtigste Moti­va­tion ausländische Sender zu hören war, sich über den Verlauf des Krieges zu infor­mieren, der von den NS-Medien im Sinne der Propaganda verzerrt dargestellt wurde. Nur wenige folgten schon von Kriegs­beginn an aus ideologischer Über­zeugung inter­natio­nale Bericht­erstattung. Durch das „Schwarz­hören“ wurde Radio zum persönlichen Risiko, da ein Verstoß gegen die national­sozialistische „Verord­nung über außerordentliche Rundfunk­maßnahmen“ teilweise schwer bestraft wurde. Das Aufpassen und „Schmiere­stehen“ als Kind, während die Erwachsenen „Feind­sender“ hörten und die Signation des „Engländers“ sind damit Teil indivi­dueller, wie kollektiver Erinnerung der öster­reichischen Kriegs­generation geworden.

„Hier ist England, hier ist England.“ Und das war dreimal, glaub ich.
Cäcilia M.
01:33:12 (00:58:19 bis 00:59:59) audio
Cäcilia M., geboren 1926 in Neudorf

erinnert sich an das gemeinsame „Schwarz­hören“ mit ihrer Freundin zu Kriegsende.

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Cäzilia M. als junge Frau, 1940er Jahre
Cäzilia M. als junge Frau, 1940er Jahre
00:42:40 (00:18:43 bis 00:19:44) audio
Regina Stelzel, geboren 1925 in Wien

erzählt, wie ihr Vater, Franz Stelzel, beim Hören des „Engländers“ von den National­sozialisten verhaftet wurde.

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Franz Stelzel war Mitglied der im National­sozialismus ver­bote­nen Kommu­nisti­schen Partei Österreichs und als solcher an Aktionen des Wider­stands beteiligt. Er wurde 1942 wegen „Vor­be­reitung zum Hoch­verrat“ verurteilt und hingerichtet.

Die Naderei war arg.
Getrud Schneider, geboren in den 1920er Jahren
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Gertrud Schneider, geboren in den 1920er Jahren in Wien

thematisiert in ihrem Bericht über das „Schwarz­hören“ die Gefahr von anderen dafür an­ge­zeigt zu werden.

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Herma Riecke als Kind, 1930er Jahre ©
Herma Riecke als Kind, 1930er Jahre
01:33:12 (00:11:03 bis 00:12:33) audio
Herma Riecke, geboren 1929 in Wien

erinnert sich ans „Schmierestehen“ als Kind, während ihre sozialis­tisch orientierte Familie im Krieg regel­mäßig den von den National­sozialisten verbotenen „Feind­sender“ hörte. 

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01:06:01 (00:14:47 bis 00:17:22) audio
Hannes Schrattenecker, geboren 1933 in Suben

erzählt, wie schwierige es war, einen Volksempfängers beim Radio­händler in Schärding zu ergattern und wie er und seine Geschwis­ter beim gelegentlichen „Feind­sender“-Hören des Vaters vor dem Haus auf- und abgehen mussten.

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Im Gegensatz zum „Schwarzhören“ ist der „Volks­empfänger“ nur in wenigen Erzählungen Thema. Der 1933 erstmals vorgestellte Radio­apparat gilt heute als eines der maß­geb­lichsten Instru­mente der NS-Propaganda.

01:33:12 (00:51:39 bis 00:57:35) audio
Peter Schauer, geboren 1930 in Wien

beschreibt, wie er als Jugendlicher ab 1944 zuhause mit dem Kopf unter der Decke die Nach­richten der aus­ländischen Mittel­wellen empfangen hat, um diese dann auf geschickte Weise in der Straßen­bahn unter die Leute zu bringen.

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Hans Ulrich als Soldat in Russland, 1940er Jahre ©
Hans Ulrich als Soldat in Russland, 1940er Jahre
01:27:19 (00:34:04 bis 00:38:59) audio
Hans Ulrich, geboren 1923 in Wien

erzählt, wie er als Jugendlicher gemeinsam mit einem Freund auf einem Flach­dach im burgen­ländische Poders­dorf „Aus­land“ gehört hat.

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Radiorituale

Bei den Erzählungen über das Radiohören spielen Rituale eine wichtige Rolle. Diese sind oft in der Kindheit ange­siedelt und mit bestimmten Sendungen ver­bunden. Die Rezep­tions­erlebnisse sind dabei scheinbar individuell, werden jedoch von sehr vielen Menschen ähnlich erinnert.

Plakat zur Sendung „Autofahrer unterwegs“ ©
Plakat zur Sendung „Autofahrer unterwegs“
„Autofahrer unterwegs“ habe ich immer zu zweit gehört.
Wolfgang Kos, geboren 1949
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Wolfgang Kos, geboren 1949 in Mödling

erinnert sich an ein spezielles Ritual, das er als Kind mit seiner Großmutter während der Sendung „Autofahrer unterwegs“ vollzogen hat.

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Leo Truchlar, geboren 1939 in Obersdorf

spricht über Radiosendungen aus seiner Kind­heit in den 1950er Jahren.

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Helmut Mörwald, geboren 1965 in Werfen

sinniert darüber, welche Radiosendungen er als Kind mochte und welche nicht.

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Wolfgang Kos, geboren 1949 in Mödling

spricht über das Radio in der Nachkriegs­zeit als Möbel­stück und Struktur­geber.

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Radio als Tor zur Welt

Radio macht die Welt größer – seit Jahrzehnten über­trägt das Radio Infor­ma­tionen, Musik, Literatur und Unter­haltung in die Arbeits­stätten, Küchen, Wohn- und Jugend­zimmer der Menschen. In einigen lebens­ge­schicht­lichen Erzählungen wird darüber gesprochen, dass das Medium den eigenen Horizont erweitert hat und damit persönliche wie auch gesellschaftliche Entwicklungen mitgeprägt hat.

Milan Malecek (ganz links) mit Freunden bei einem Ernteeinsatz, 1974 ©
Milan Malecek (ganz links) mit Freunden bei einem Ernteeinsatz, 1974
01:12:47 (00:32:00 bis 00:35:34) audio
Milan Malecek, geboren 1957 in Šumperk (Tschechien)

berichtet, wie in seiner frühen Kindheit in der Tschecho­slowakei der 1950er Jahre via Draht­radio ausschließ­lich zwei staat­liche Sender empfangen werden konnten.

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So erste Anfänge einer Politisierung – da ist das Radio schuld.
Manfred Schindler, geboren 1954
01:33:12 (01:06:10 bis 01:07:51) audio
Manfred Schindler, geboren 1954 in Wien

erinnert sich, wie er als Jugendlicher die Sendung „Music­box“ auf Ö3 gehört hat und wie diese zum Ausgangs­punkt seiner Emanzipation vom Elternhaus wurde.

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Wolfgang Kos, geboren 1949 in Mödling

Der spätere Radio­jounalist berichtet, wie wichtig seinem Vater die Nachrichten im Radio waren.

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01:33:12 (00:40:31 bis 00:41:44) audio
Erika Aloisia Nietsche, geboren 1954 in St. Thomas am Blasenstein

erinnert sich an das Hören von amerikanischer Pop­musik Ende der 1960er Jahre auf der Alm.

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00:03:00 audio
Wolfgang Kos, geboren 1949 in Mödling

erzählt über die welterweiternde Rolle, die Popmusik und das Radio für ihn als Heran­wachsenden gespielt haben, und wie er später als Redakteur der Music­box Gelegen­heit hatte, diese Faszination weiter­zugeben.

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Radio machen

01:33:12 (00:09:45 bis 00:14:39) audio
Elisabeth Losbichler, geboren 1984

erzählt über ihre Arbeit bei Freak Radio – einem Sender der sich seit 1997 der Leben­swelt von Menschen mit Behinderung sowie sozialen und gesell­schafts­politischen Themen widmet.

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00:04:48 (00:01:59) audio
Franz Zigon, geboren 1924 in Linz

erzählt von seiner Ausbildung als Radiotechniker nach dem Krieg.

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00:03:48 audio
INOU, geboren 1972 in Bafang (Kamerun)

erzählt vom Radiohören und Radiomachen.

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00:08:10 audio
Wolfgang Kos, geboren 1949 in Mödling

erinnert sich an seine Anfänge in der Jugendredaktion von Ö3.

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Franz Zigon mit seiner zweiten Frau, 1957 ©
Franz Zigon mit seiner zweiten Frau, 1957