Der Krieg in Ex-Jugoslawien 1991–1995 in den Ö1-Journalen

von Eva Reder

1. Abstract

The aim of this paper is to examine the coverage of the Yugoslav Wars (1991–1995) in the holdings of the “Ö1-Journale” by the Austrian Broadcasting Corporation (ORF), catalogued and digitised by the Österreichische Mediathek—and the specific audio-visual information conveyed by it. While printed press material is used vastly as a scientific source, this is not the case with audio-visual media. Due to radio’s ability to transfer sentiment and atmosphere, the thematic priority of the paper is on the situation of war refugees, as well as narratives of war crimes and “ethnic cleansing”, which soon turned out to be inherent to this war. Of special interest are direct quotes (“O‑Töne”) of high-rank politicians, military commanders, intellectuals, but also random civilians, who often stay anonymous but give deep insights into mind-sets and emotions, sharing their subjective opinions with radio listeners. The fact that both “the man on the street” as well as persons representing political and military authorities are recorded, gives the broadcast a grass-root, democratising factor. This paper provides a survey over particularly crucial pieces of radio broadcast and intends to give the interested user an idea of the ORF news coverage on the Yugoslav wars in these particular years. Within the online-edition, this impression is underlined by providing direct access to the referring audio sources, which have been examined for this paper. This also illustrates the additional information conveyed by audio-sources, which makes them a valuable source for historical research. It is much to be hoped, that the “Journale” broadcasts may serve as a very worthwhile addition to written sources and could be used by many scientific disciplines—e.g. historians, social scientists or media researchers—as a new source for further research.

2. Einleitung

Nach der Einnahme Vukovars durch die jugoslawische Volksarmee im November 1991 gab der serbische Reservist und Kleinunternehmer Dragan Vojcic in einem kleinen Dorf nahe der Stadt dem Journalisten Phillip Pekul ein Interview. Vojcic zieht jeden Tag in den Krieg, die Front ist nur wenige Kilometer weit entfernt, er beharrt auf einem guten Zusammenleben zwischen Serben und Kroaten, man habe immer friedlich zusammengelebt und er wolle dies auch weiter so halten. Verantwortlich für die Eskalation des Konflikts macht er den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und dessen Partei HDZ. Auch die Rolle der Medien als Informationsquelle sieht Vojcic sehr kritisch: „Seit der Krieg begonnen hat, ich höre nix gern Radio, ist egal welche Station und lese auch nicht Zeitung“ und begründete dies so: „Wenn der Krieg beginnt, die erste was stirbt, ist das Wahrheit, alles andere ist Propaganda“ (Audioquelle 1; Mittagsjournal vom 20. November 1991). Vojcics Skepsis punkto der Glaubwürdigkeit der Medien war berechtigt. Gleichzeitig wird mit seiner Wortmeldung eines der Hauptmerkmale von Audioquellen sichtbar: Audioquellen imitieren, konstruieren Realitäten, was sie für den Benutzer zu einer verführerischen, aber auch nicht völlig problemlosen Informationsquelle macht, die es genau wie andere Quellen, kritisch zu prüfen gilt.

Immer wieder wurde die Rolle von Medien im Krieg in Ex-Jugoslawien betont, vor allem die des Fernsehens als Mittel der Propaganda durch die jeweiligen politischen Machthaber. Darüber hinaus wurden auch wiederholt und intensiv Printmedien als wissenschaftliche Quelle herangezogen, um den Diskurs über den Krieg in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens zu beleuchten. Die Berichterstattung des Radios über diesen grausamen bewaffneten Konflikt wurde dabei weitgehend ausgespart. Hörfunk ist bis dato, im Unterschied etwa zu Printmedien, eine von der Wissenschaft kaum genutzte Mediengattung. Dies hat mehrere Ursachen: einerseits liegt die mangelnde Verwendung von Audioquellen an deren sehr eingeschränkter Zugänglichkeit und mangelnder technischen Aufbereitung, um die Sendungen abhörbar zu machen. Die Digitalisierung und archivarische Aufbereitung von Audioquellen ist mühsam und teuer, dazu kommt die begrenzte Überlebensdauer der Tonträger. Zudem ist Audiomaterial komplizierter  in der Handhabung als schriftliche Quellen: ihre Beschaffenheit erlaubt es dem Benutzer nicht, sie zu überfliegen, man muss sie wiederholt anhören, vorspielen, zurückspielen, gegebenenfalls transkribieren, um an die gewünschte Information zu gelangen.

Audioquellen vermitteln jedoch über die faktische Inhaltsebene hinaus Sinneseindrücke, Emotionen und Stimmungen, was ihren Inhalten unter Umständen eine plastische, ja literarische Qualität verleihen kann. Kaum ein anderes journalistisches Format ist in der Lage, Stimmungsbilder so extensiv zu beschreiben, wie es sonst nur literarische Formen erlauben (in einer Tageszeitung würde dies wohl aufgrund von Platzmangel nur bedingt möglich sein). Die Vorzüge des Formats liegen genau in der kompromisslosen Subjektivität der zu Wort Kommenden. Gerade hier, beim Jugoslawienkonflikt, einem Thema bei dem es einer zeitgemäßen Geschichtswissenschaft doch stark um die Erlebnisse der Menschen, ihren Alltag in Krieg und Frieden und ihre Emotionen gehen muss, erschließt sich der eigentliche Quellenwert von Tonaufnahmen dieser Art.

Ziel des folgenden Beitrages ist es daher, dies deutlich zu machen: Die Journalbeiträge, die den Jugoslawienkrieg behandeln, werden hier beschrieben, mit dem Schwergewicht auf Inhalten, die eben nur hier, in den Journalen, zu finden sind. Dadurch soll zukünftigen Benutzern, die Audioquellen zu diesem Thema verwenden möchten, eine Einführung und Hilfestellung gegeben werden. So kann der Benutzer einfacher eine Vorauswahl bei der Suche nach thematisch geeigneten Datensätzen treffen. Die große Menge an Datensätzen zu diesem Thema erschwert es, einen Überblick über Themenfelder und Schwerpunkte der ORF-Berichterstattung zu bekommen, auch insofern, da das Durchklicken und Anhören der Beiträge auf der von der Österreichischen Mediathek zur Verfügung gestellten Homepage zeitintensiv ist. Bei den Beiträgen wird ein besonderes Augenmerk auf Interviews und Originaltöne (O-Töne) von beteiligten Personen gelegt. Die O-Töne sind das Kapital dieser Radiosendungen, welche Quelle und Medium zugleich sind. Sie sind das Herzstück und Spezifikum dieser Quellengattung und eröffnen dem Hörer eine plastische, emotionale, wenn auch flüchtige Welt des Krieges.

Zeitlich fokussiert sich diese Arbeit bis auf wenige Ausnahmen auf die Jahre 1991 bis 1995. In diesen Zeitraum fallen der sogenannte 10-Tagekrieg in Slowenien (Juni/Juli 1991), der Kroatienkrieg (1991–1995) sowie der Krieg in Bosnien (1992–1995), wobei sich die Berichterstattung auf die beiden letzteren militärischen Konflikte konzentrierte. Besonderes Augenmerk wird hier einerseits auf die etwa einstündigen Mittagsjournale gelegt, die das Herzstück der Katalogisierungsarbeit beim FWF-Projekt „Journale -The Radio News of ORF 1990–1999“ bilden. Das Mittagsjournal stellt die wichtigste Sendung im Tagesablauf des Radiosenders Ö1 dar und verfügt auch über die höchste Hörerfrequenz. In den Jahren 1991 bis 1995 wird in der Sendung meist mit einem,  je nach Kriegsverlauf und Nachrichtenlage auch mit mehreren Beiträgen über den Bürgerkrieg am Balkan berichtet. Einen zweiten Schwerpunkt bilden die Journal-Panorama-Sendungen, die sich im Rahmen des Abendjournals in ungefähr halbstündigen Beiträgen inhaltlich vertiefend einem speziellen Thema widmen und sich in jenen Jahren auch häufig auf Thematiken zum Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien konzentrierten. Dabei handelt es sich meist um Reportagen von Kampfschauplätzen oder aus Frontstädten, oder Interviews mit am Kriegsgeschehen beteiligten Personen. Aus Zeitgründen werden der Krieg im Kosovo 1999 sowie auch die späteren Nachkriegsjahre in diesem Aufsatz nicht behandelt. Durch die große Anzahl der Meldungen zu der Jugoslawienproblematik ist auch eine quantitative Analyse, also etwa statistische Angaben über Themenschwerpunkte, in der Bearbeitungszeit nicht zu bewerkstelligen: ungleich zu schriftlichen Quellen sind Audioquellen nicht zum Querlesen geeignet.

Das Jahr 1991 weist bei weitem die meiste Beiträge zu diesem Themenkomplex auf. Die große Anzahl an Beiträgen, verglichen mit den anderen Kriegsjahren, hängt vermutlich sowohl mit dem Beginn der Kampfhandlungen in Slowenien und Kroatien zusammen, als auch mit der Tatsache, dass der Krieg zu diesem Zeitpunkt noch „neu“ war und medial großes Aufsehen erregte, während in den nachfolgenden Jahren, aller Brutalität zum Trotz, eine gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten sein muss, was den Nachrichtenwert betraf.

Die Redakteure, die über die Kriegshandlungen berichteten: Veronika Seyr, die meist über Serbien berichtete, Karl Jirkovsky, Fritz Orter, Fritz Pesata sowie auch Hans-Christian Unger. Korrespondent aus Belgrad war Zoran Opra.

Gedenkstätte in Vukovar 938 Marmorkreuze zur Erinnerung an die Opfer des Kroatienkrieges
Gedenkstätte in Vukovar
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Audioquelle 1

aus dem Mittagsjournal vom 20. November 1991
Interview mit Dragan Vojcic

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3. Inhaltliche Schwerpunkte

Nach einem historischen Abriss über den Kriegsverlauf werden die Themenbereiche der Berichterstattung vorgestellt. Aufgrund der Kompetenz von Audioquellen, emotionale Inhalte und Stimmungen zu transportieren, sollen in diesem Beitrag besonders die Beiträge mit O‑Tönen behandelt werden, welche die Thematiken der „ethnischen Säuberungen“, des Kriegsalltages sowie die Situation der Flüchtlinge im Kriegsgebiet, aber auch in Österreich behandeln.

Die Meldungen der Journale spiegeln sehr anschaulich den Beginn und Verlauf des Krieges wider: so wurde neben den Kämpfen in Bosnien und Kroatien detailliert über den Ausbruch des Krieges in Slowenien im Juni 1991 und seine Auswirkungen auf das slowenisch-österreichische Grenzgebiet berichtet. In Bezug auf den Kroatienkrieg wurde besonders über die Belagerung Vukovars sowie über die Kampfhandlungen in der Krajina berichtet, weniger über die kroatische Hauptstadt Zagreb, die nicht belagert wurde und im Vergleich zur Krajina kaum Kriegsschäden davontrug. Ein Schwerpunkt der Kriegsberichterstattung des Bosnienkrieges war die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, Sarajewo, die vom April 1992 bis November 1995 von der bosnisch-serbischen Armee belagert wurde. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass das multi-ethnische Sarajewo für die Toleranz des alten Jugoslawiens stand, was es zu einem besonderen Ziel der Aggressoren machte, aber auch, dass es durch sein tragisches Schicksal die ungeteilte Aufmerksamkeit der Journalisten fand. Doch nicht nur Kriegsverbrechen und der Kriegsverlauf an sich waren immer wieder Thema der ORF-Berichterstattung, auch das Schicksal der Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten sowie der Alltag an der Front wurde Gegenstand zahlreicher Reportagen. Die Thematik der Kriegsverbrechen wird von anonymen Personen, meist Flüchtlingen oder der Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet sowie lokalen politischen Entscheidungsträgern angesprochen – in häufigen Fällen in einer weitaus vielsagenderen, konkreteren und unverblümteren Weise, die dem Hörer weitaus mehr Vorstellung über das Geschehen gibt, als die offizielle Kriegspropaganda.

Diese Audioquellen zeigen, dass nicht nur „große Männer“ wie Militärs und Politiker Geschichte machen, sondern auch anonyme Passanten, Flüchtlinge und Zivilisten: in kaum einem anderen journalistischen Format kommen vermutlich so viele Unbekannte zu Wort. Nicht ihr Status zählt, sondern was und wie sie es sagen, was dem Medium einen nahezu demokratischen Charakter verleiht und dazu einlädt, Geschichte „von unten“ zu schreiben.

Hier werden eingehend Stimmungen, Geisteshaltungen und Einstellung medial eingefangen: sei es von hohen Militärs, einfachen Soldaten, Politikern, Oppositionellen, Schriftstellern, Geistlichen und Zivilpersonen, die aus allen gesellschaftlichen Schichten und unterschiedlichen politischen Lagern stammten. In den Journal-Sendungen tauchen Originalaufnahmen von Literaten wie Milo Dor (Audioquelle 2, Mittagsjournal vom 5. August 1995: Beitrag 6), Politikern wie Franjo Tuđman (Audioquelle 3, Mittagsjournal vom 5. November 1990: Beitrag 6), Slobodan Milošević (Audioquelle 4, Mittagsjournal vom 18. Dezember 1992: Beitrag 3 sowie Audioquelle 5, Mittagsjournal vom 19. Dezember 1992: Beitrag 6), Alija Izetbegović (Audioquelle 6, Mittagsjournal vom 17. Juni 1993: Beitrag 8 sowie Audioquelle 7, Mittagsjournal vom 28. Februar 1992: Beitrag 12), Vuk Drašković (Audioquelle 8, Mittagsjournal vom 12. Juli 1996: Beitrag 15), Slavko Goldstein (Audioquelle 9, Mittagsjournal vom 13. Jänner 1990: Beitrag 7), Haris Silajdžić (Audioquelle 10, Mittagsjournal vom 9. September 1991: Beitrag 5), Zvonimir Šeparović (Audioquelle 11, Mittagsjournal vom 2. Oktober 1991: Beitrag 10) oder religiösen Vertretern wie Tomo Knežević, dem Caritas-Direktor in Sarajewo, (Audioquelle 12, Mittagsjournal vom 23. Oktober 1993: Beitrag 8) auf.

Auch Interviews später gesuchter, angeklagter und verurteilter Kriegsverbrecher sind zu finden. Beispielsweise Interviews mit Vojislav Šešelj, dem Führer der Serbischen Radikalen Partei, Milan Martić, oder mit Željko Ražnatović, besser bekannt als „Arkan“, Anführer der paramilitärischen Kampfeinheit Srpska dobrovoljačka garda (dt. Serbische Freiwilligengarde), die man „Arkans Tiger“ nannte. Arkan, ursprünglich Zuckerbäcker und Belgrader Unterweltgröße, Führer der Partei der serbischen Einheit, forderte im Wahlkampf in Serbien ein Jahr später die Ansiedlung von Serben im Kosovo und eine Vertreibung der Ungarn aus der Vojvodina sowie der Albaner aus dem Kosovo (Audioquelle 13, Mittagsjournal vom 7. Dezember 1993: Beitrag 9)

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Audioquelle 2

aus dem Mittagsjournal vom 5. August 1995
Interview mit Milo Dor

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Audioquelle 4

aus dem Mittagsjournal vom 18. Dezember 1992
Bericht vom Wahlkampf Miloševićs

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Audioquelle 6

aus dem Mittagsjournal vom 17. Juni 1993
Izetbegović in Bonn

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Audioquelle 8

aus dem Mittagsjournal vom 12. Juli 1996
Vuk Drašković über Milošević

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Audioquelle 10

aus dem Mittagsjournal vom 9. September 1991
Der bosnische Außenminister Haris Silajdžić über die Krise

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Audioquelle 12

aus dem Mittagsjournal vom 23. Oktober 1993
Interview mit dem ehemaligen Caritas-Direktor in Sarajewo Tomo Knežević

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Audioquelle 3

aus dem Mittagsjournal vom 5. November 1990
Interview mit Franjo Tuđman

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Audioquelle 5

Mittagsjournal vom 19. Dezember 1992
Milošević über die Sanktionen

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Audioquelle 7

aus dem Mittagsjournal vom 28. Februar 1992
Interview mit Izetbegović über das Referendum in Bosnien

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Audioquelle 9

aus dem Mittagsjournal vom 13. Jänner 1990
Slavko Goldstein zu Jugoslawien

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Audioquelle 11

aus dem Mittagsjournal vom 2. Oktober 1991
Der kroatische Außenminister Zvonimir Šeparović in Wien

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Audioquelle 13

aus dem Mittagsjournal vom 7. Dezember 1993
„Arkan“ im Wahlkampf

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4. Überblick über den Kriegsverlauf

Kriegsziele, Verlauf und Akteure

Folgender Abschnitt soll einen kurzen Überblick über den Ablauf der bewaffneten Konflikte in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens liefern. Hauptaugenmerk soll dabei auf den Frontverlauf des Krieges und seine Hauptschauplätze sowie seine militärischen Akteure gelegt werden und weniger auf Interpretationsversuche einzelner Entscheidungen oder zum Vorgehen einzelner politischer Entscheidungsträger, also etwa der Motivationen Serbiens und Kroatiens in Bosnien-Herzegowina. Ebenso wenig kann hier die Frage nach dem Grund für die verübten Grausamkeiten befriedigend beantwortet werden. Nur soviel: es war weniger „alter Hass“ zwischen den Ethnien Jugoslawiens, der nach jahrzehntelanger Unterdrückung der interethnischen Konflikte durch das kommunistische Regime sich nun seinen Weg brach. Ebenso wenig war es die alleinige Verantwortung krimineller Paramilitärs oder machthungriger Politiker, die durch den Krieg Probleme im eigenen Land verschleiern wollten (Mann 2007: 528–530).

Gleichzeitig legt ein genaueres Betrachten der Kriegsverbrechen mehrere Schlüsse nah: dass die ungeheuren Verbrechen einiger weniger Bewaffneter ausreichten, um Dörfer oder Regionen nachhaltig zu radikalisieren. Dies gelang durch Einschüchterung der Bevölkerung und sozialen Druck, bis diese bereit war, sich an den Verbrechen zu beteiligen. Viele Zivilisten und Soldaten beteiligten sich jedoch freiwillig, sei es aus Rachegefühlen, Hass, dem Wunsch nach Aufstieg in der Armee oder weil sie sich an geplündertem Gut bereichern wollten. Warnte man die Opfer bevorstehender Vertreibungen, musste man selbst mit schweren Repressalien rechnen, wurde in den Untergrund oder ins Exil gezwungen. Soldaten, die sich an den Morden nicht beteiligen wollten, konnten an die Front geschickt oder exekutiert werden (Mann 2007: 658 f.; 626 f.). Sowohl die Eliten, die Durchschnittsbevölkerung, als auch militante Kräfte waren an den Kriegsereignissen beteiligt. Die Eliten bewaffneten militante Kräfte und schürten den Nationalismus im eigenen Volk. Die politischen und militärischen Machthaber nahmen ethnische Säuberungen als Mittel zur Erreichung ihrer Kriegsziele in Kauf. Der Soziologe Michael Mann benennt fünf Phasen der Eskalation in Jugoslawien: das Auseinanderbrechen der jugoslawischen Föderation, die Bildung von Nationalstaaten mit dem Anspruch auf ethnische Homogenität, Konflikte zwischen diesen Staaten und ihren Minderheiten, Eskalation dieser Konflikte zum Krieg zwischen ethnisch definierten Staaten und Kleinstaaten und zuletzt „ethnische Säuberungen“, in die der Krieg mündete (Mann 2007: 532).

Brennendes Parlamentsgebäude 1992 in Sarajevo
Brennendes Parlamentsgebäude (1992)

5. Der Zerfall Jugoslawiens

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Audioquelle 14

aus dem Mittagsjournal vom 4. Mai 1990
Bruderkrieg

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„Ein Bruder greift den anderen an. Es wird schlimmer sein als im letzten Weltkrieg“
(Audioquelle 14, Mittagsjournal vom 4. Mai 1990: Beitrag 8)

Im Zuge der ökonomischen Schwierigkeiten in den 1980er Jahren, mit dem Tod von Staatschef Tito und mit dem Streit um die Verteilung finanzieller Mittel zwischen den einzelnen jugoslawischen Teilrepubliken stiegen die Animositäten innerhalb Jugoslawiens und führten zu einem Ansteigen des Nationalismus auf allen Seiten. Hinzu kamen eine hohe Arbeitslosenquote und Hyperinflation. Besonders die serbischen Kommunisten unter Slobodan Milošević sprachen von einem vermutlich bevorstehenden Genozid am serbischen Volk und strebten eine Stärkung der serbischen Position an, was 1989 durch die Aufhebung des Autonomiestatus der Provinzen Kosovo und Vojvodina erreicht wurde. Die Serben, im kommunistischen Jugoslawien bei Polizei, Verwaltung, Militär und Politik ohnehin zahlenmäßig stark repräsentiert, besaßen mit den Stimmen von Serbien, Kosovo, Vojvodina und Montenegro im Staatspräsidium nun dasselbe Gewicht wie die vier übrigen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Makedonien gemeinsam und höhlte so den jugoslawischen Föderalismus aus.

In seiner Rede zum 600. Jahrestag der Schlacht auf am Amselfeld (Kosovo Polje) am 28. Juni 1989 beschwor Milošević die serbische nationale Einheit und schloss bewaffnete Kämpfe in Zukunft nicht aus (Rüb 2007: 331 f.). In Kroatien kam es zu einem Aufleben faschistischer Ustascha-Symbole, einer Verharmlosung der Verbrechen der kroatischen Faschisten an Serben, Juden und Roma während des Zweiten Weltkrieges sowie einer stärker werdenden Stimmung gegen serbische Mitbürger. Das kommunistische Jugoslawien wurde immer unbeliebter, verband man es vor allem in Kroatien und Slowenien mit serbischer Vorherrschaft. Im Zuge der Demokratisierung kam es 1990 zu Wahlen in den jeweiligen Teilrepubliken. In Slowenien und Kroatien wurden diese von nicht-kommunistischen Parteien gewonnen, die sich für die Unabhängigkeit der beiden Teilrepubliken aussprachen, was den Wahlsieger Milošević und seine Sozialisten in Belgrad politisch herausforderte. Serbische Machthaber in Belgrad gaben vor, den Zerfall Jugoslawiens verhindern zu wollen, strebten aber tatsächlich eine Schaffung „Großserbiens“, also eines einheitlich serbischen Staatsterritoriums auf Kosten von kroatischem und bosnischem Gebiet, an.

Im Kriegsverlauf wuchsen vermehrt paramilitärische Verbände heran, die in einem oft guerillamäßigen Kampf kleinräumig agierten, was es dem Beobachter erschwert, die militärischen Akteure zu durchschauen. Anders als die regulären Armeen waren sie militärisch wenig geschult. Die paramilitärischen Verbände waren insofern wesentlich, da die Jugoslawische Volksarmee (JVA) durch Desertionen und Übertritte zu nicht-serbischen Kriegsparteien zahlenmäßig dezimiert war. Mangelte es den paramilitärischen Einheiten an Disziplin, so zeigten sie oft besondere Gewaltbereitschaft gegenüber Zivilisten. Meist kannten sie das Gebiet, in dem sie militärisch operierten sowie die ethnische Herkunft der Bewohner gut. Das zahlenmäßige Anwachsen dieser oft spontan gebildeten paramilitärischen Verbände ging paradoxerweise einher mit dem Abzug der regulären Truppen aus dem Kampfgebiet, der häufig von internationalen Organisationen durchgesetzt wurde. Teilweise wurden die regulären Armeen der Kriegsteilnehmer abgezogen, teilweise meldeten sich deren Soldaten einfach als „Freiwillige“ zu einer paramilitärischen Einheit.

Gerade dieser Bürgerkrieg, der mit zahlreichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung einherging, wurde weniger von einer regulären Armee, die einem Ehrenkodex unterlag, geführt, sondern von freiwilligen Zivilpersonen, denen man Waffen in die Hand gegeben hatte. Diese paramilitärischen Verbände verhielten sich oft weitaus brutaler gegenüber Zivilisten als reguläre Einheiten, da sie meist aus fanatisierten Freiwilligen oder Kriminellen bestanden. Die mangelnde Mobilisierung der Jugendlichen, wie sie etwa im Falle der JVA im Sommer 1991 beim Ausbruch des Krieges vor allem in Serbien zu beobachten war, führte zu einer „Privatisierung“ des Krieges (Ther 2011:243 f.). Formal waren diese Milizen in die Kommandostruktur der Volksarmee integriert, praktisch agierten sie aber autonom und führten Befehle von oben nach eigenem Ermessen aus, wobei die Rolle der Volksarmee bei den Verbrechen der Milizen eine zwiespältige war, die zwischen aktiver Beteiligung und (folgenlosem) Protest schwankte (Mann 2007: 580–582). Über weite Strecken kooperierte die JVA mit paramilitärischen Einheiten wie Arkans berüchtigten „Tigern“, deren Männer aus einem vornehmlich kriminellen Umfeld stammten.

6. Der „Zehn-Tage-Krieg“ in Slowenien und die Eskalation des serbisch-kroatischen Konflikts

Mit dem Austritt der Teilrepublik Slowenien aus dem jugoslawischen Staatsverband und der kurzen militärischen Intervention der Jugoslawischen Volksarmee im Juni 1991 war das Ende Jugoslawiens besiegelt (Ther 2011: 244 f.). Anders als Kroatien hatte sich Slowenien im Herbst 1990 den Zugriff auf die eigenen territorialen Verteidigungs­streit­kräfte gesichert und diese unter den Befehl der Regierung gestellt und war somit militärisch besser auf einen Zugriff der JVA vorbereitet (Rathfelder 2007: 345). Angriffs­ziele der JVA, die ihre Offensive am 27. Juni 1991 startete, wurden der Flughafen in Ljubljana sowie die Grenzübergänge, offiziell unter dem Vorwand, die Grenze sichern zu wollen, was eine Gegenwehr der slowenischen Territorialverteidigung (Teritorijalna Obramba TO) zur Folge hatte, die die Kasernen der JVA umstellte und im Laufe der folgenden Tage mehrere hundert JVA-Soldaten gefangen nahm. Besonders heftig waren die Schießereien an den Grenzen zu Österreich und Italien, wovon auch ein Bericht des Mittagsjournals vom 3. Juli 1991 zeugt, der die Situation der steirischen Familie Petzold in Bad Radkersburg schildert (Audioquelle 15: Mittagsjournal vom 3. Juli 1991: Beitrag 7). Nach nur zehn Tagen gab die JVA ihren Kampf um Slowenien auf. Eindrucksvoll schildert auch eine Reportage den Kriegsalltag in Slowenien und berichtet über ein Spital in Ljubljana, in dem verwundete Serben, Slowenen, Kroaten und Mazedonier, die zuvor gegeneinander gekämpft hatten, nun gemeinsam liegen (Audioquelle 16: Mittagsjournal vom 4. Juli 1991: Beitrag 10).

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Audioquelle 15

aus dem Mittagsjournal vom 3. Juli 1991
Situation in Bad Radkersburg

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Audioquelle 16

aus dem Mittagsjournal vom 4. Juli 1991
Reportage aus einem Spital in Ljubljana

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Während man Slowenien, das weniger als ein Prozent serbischen Bevölkerungsanteil besaß, in die Unabhängigkeit entließ, wehrten sich die serbischen Eliten in Kroatien gegen eine Unabhängigkeit Kroatiens, das über eine serbische Minderheit von etwa 600.000 Personen, von denen die meisten in den Regionen Slawonien, Gorski kotar und dem Hinterland Dalmatiens um Knin lebten, verfügte (Friemann 2006: 172–177). Im unabhängigen Kroatien sollten die Serben mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 12 Prozent nicht mehr zweites Staatsvolk, sondern lediglich eine nationale Minderheit sein. Zur Angst vor Verlust von Einfluss, Macht und Arbeitsplatz wurden die Serben in Kroatien, die einen erheblichen Anteil in staatlichen Institutionen, Administration, Armee und kommunistischen Parteikadern stellten, ab 1990 mit einer immer stärker werdenden nationalistischen Kroatisierungskampagne unter der nun regierenden HDZ (Kroatische Demokratische Union) unter Franjo Tuđman konfrontiert, die in eine stark anti-serbische Stimmung im Land mündete. Diese hatte die Entfernung zahlreicher Serben von ihrem Arbeitsplatz zur Folge. Auch Kroaten, die sich in den Augen der Regierung nicht ausreichend patriotisch gegenüber dem kroatischen Staat zeigten, waren Diskriminierungen und Schikanen ausgesetzt. Auf den Regimewechsel und die erlebte soziale Deprivation reagierten gerade die Serben aus der rückständigen, ländlich geprägten historischen Region Krajina, also dem südlichen Grenzgebiet Kroatiens entlang der Save, welches Norddalmatien, das Kordun, die Banja und Slawonien umfasst, äußerst negativ. Sie hatten sich dem kommunistischen Jugoslawien sehr verbunden gefühlt und nun ihre Machtpositionen im Staatsapparat und ihre Privilegien eingebüßt, ohne Chance, in der kroatischen Privatwirtschaft weiter beschäftigt zu werden. Im Juli 1990 gründete sich in der Region um Knin ein „Serbischer Nationalrat“, der ein Referendum über die Autonomie der Krajina anstrebte, welches aber von kroatischen Behörden für verfassungswidrig erklärt wurde (Friemann 2006: 178 f.). Dies hatte zur Folge, dass serbische Freischärler sowie serbische Soldaten der TO kroatische Polizeistationen überfielen, sich bewaffneten und lokal die Macht übernahmen. Das Gebiet wurde zudem im August und September von bewaffneten Zivilisten im Zuge der „Baumstamm-Revolution“ abgeriegelt. Das Referendum ergab eine Mehrheit für die Autonomie der Krajina, worauf im Dezember 1991 die Republik Serbische Krajina in Knin ausgerufen wurde.

Zu ersten Zusammenstößen zwischen der kroatischen Polizei und serbischen nationalistischen Paramilitärs kam es im März 1991 bei den Plitvicer Seen (hier gab es auch die ersten Toten dieses serbisch-kroatischen Krieges) sowie bei Borovo Selo nahe Vukovar im Mai 1991. Serbische nationalistische Freischärler starteten darauf im Sommer 1991 bewaffnete Angriffe auf zahlreiche Orte Ostlawoniens und der restlichen Krajina und wurden dabei von der Jugoslawischen Volksarmee immer unverhohlener unterstützt. Dabei kam es zu Massakern an der kroatischen Bevölkerung aber auch zu einem gewaltsamen Vorgehen gegen jene Orte mit serbischer Bevölkerungsmehrheit, die sich nicht freiwillig dem Kampf der Krajina-Serben anschließen wollten, wie etwa Korenica. Im Sommer 1991 kontrollierten die Serben ein Drittel des kroatischen Staatsgebietes durch serbische Freischärler, Milizen und Soldaten der TO. Hier muss betont werden, dass eine kroatische Armee zu diesem Zeitpunkt erst in Gründung begriffen war und auch die kroatischen TOs kaum über Waffen verfügten, da diese von der JVA konfisziert worden waren und ab 5. Juli 1991 ein Waffenembargo für ganz Ex-Jugoslawien herrschte (Rathfelder 2007: 347 f.).

Vukovar wurde im Herbst 1991 angegriffen und von der Jugoslawischen Volksarmee fast völlig zerstört. Nach dem Fall der Stadt kam es zu zahlreichen Kriegsverbrechen durch serbische paramilitärische Einheiten. Als im Herbst 1991 die kroatische Gegenoffensive in Ostslawonien begann, gingen Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee, die sich immer mehr zu einer de facto serbischen Armee gewandelt hatte, sowie serbische Milizen zu „ethnischen Säuberungen“ in der Krajina über, bei denen etwa 200.000 Kroaten vertrieben wurden (Friemann 2006: 180). Im November 1991 war die militärische Aktion Serbiens in Kroatien abgeschlossen.
Im August 1995 eroberte die kroatischen Armee die Krajina zurück, was nach 1991 eine zweite große Flüchtlingswelle auslöste, wobei es diesmal serbische Zivilisten waren, die vertrieben wurden oder aus Angst vor Vertreibung flohen. An die 200.000 Serben verließen die Krajina. Entgegen offiziellen Angaben der kroatischen Seite, die Serben seien auf Anraten ihrer eigenen Regierung geflohen, gingen kroatische Einheiten unter ihrem General Ante Gotovina gegen die serbische Bevölkerung vor: dies reichte vom Beschuss von Wohngegenden, um die Zivilbevölkerung von einer möglichen Rückkehr absehen zu lassen, von Übergriffen kroatischer Zivilisten auf serbische Flüchtlingskonvois, bei denen kroatische Armee und Polizei nicht einschritten und sich zum Teil der Gewalt anschlossen, bis hin zu Folterungen und „ethnischen Säuberungen“, bei denen bis zu 600 Serben ermordet wurden (Mann 2007: 525).

7. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina

„Jugoslawien im Kleinen“ zerbricht

Ähnlich wie zuvor in Kroatien kamen im Fall von Bosnien vergleichbare Mechanismen der Konflikteskalation zum tragen: in Bosnien kämpften drei rivalisierende ethnische Gemeinschaften um ihren jeweiligen Anspruch auf ein Gebiet, das jedoch ethnisch nicht homogen war (Mann 2007: 563 f.). Hier kämpften serbische, kroatische und muslimische Befehlshaber um ihre politische Visionen von Bosnien-Herzegowina, die in einem derart ethnisch heterogenen Gebiet, nicht umsonst nannte man Bosnien „Jugoslawien im Kleinen“, zwangsläufig auf Kosten von Gebietsansprüchen anderer Ethnien gehen mussten.

Im Frühjahr 1992, nach der internationalen Anerkennung der Unabhängigkeit der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik, brach der Krieg in Bosnien-Herzegowina aus. Die politische Führung der Serben in Bosnien lehnte diese Unabhängigkeit ab und sprach sich für einen Verbleib bei Restjugoslawien aus. Sie forderte die serbische Bevölkerung auf, das Referendum über die Unabhängigkeit Bosniens zu boykottieren. Bereits im Mai 1990 waren die Waffen der TO in Bosnien-Herzegowina eingesammelt und in JVA-Bestände integriert worden (Rathfelder 2007: 351–353). Mit diesen Waffenbeständen versorgte man ab Sommer 1991 die Armee der Republika Srpska, zudem kamen ab 1992 mit den sich zurückziehenden JVA-Truppen aus Kroatien kampferfahrene Soldaten nach Bosnien, während Kroaten und muslimische Bosnier bis zum Herbst 1991 die JVA weitgehend verlassen hatten. Zu dieser „Jugoslawischen Armee“, wie die Militärführung der bosnischen Serben die JVA zu Kriegsbeginn umbenannt hatte, kamen im Winter 1991/92 die Einheiten der „Roten Barette“, welche dem serbischen Innenminister unterstanden. Darüber hinaus kamen Freischärler von Arkan, Šešelj, Jović sowie weitere Einheiten wie die „Monarchisten“, die „Serbische Garde“, die „Vukovarci“ (Männer die um Vukovar gekämpft hatten), oder die Einheiten von Milan Martić aus Knin. Die bosnische Staatsführung unter Präsident Alija Izetbegović ging 1991 daran, sich gegen die militärische Aufrüstung der bosnischen Serben zu verteidigen. Im Winter 1991/92 entstanden die „Grünen Barette“ und weitere Kampfgruppen, die aber militärisch äußerst dürftig ausgestattet waren. In der bosnischen Territorialverteidigung kämpften freilich nicht nur bosnische Muslime, sondern auch Kroaten und Serben, vor allem in Sarajewo. In der Westherzegowina bildete sich im Sommer 1991 der Kroatische Verteidigungsrat (Hrvatsko vijeće obrane HVO), der besser ausgerüstet war als die bosnischen Streitkräfte, die von vornherein durch das geltende Waffenembargo militärisch im Nachteil waren. Kurz vor Kriegsausbruch wurde die bosnisch-serbische Republik, die Republika Srpska, von der serbischen Nationalversammlung in Banja Luka ausgerufen. Zu ersten bewaffneten Zusammenstößen kam es im März 1992 an der bosnisch-kroatischen Grenze, in Bosanski Brod und Brčko, das eine Korridorfunktion zu den mehrheitlich serbischen Gebieten rund um Banja Luka sowie zur serbischen Krajina in Kroatien erfüllen sollte. Anfang April 1992 verübten serbische Arkan-Truppen Angriffe auf die nichtserbische Zivilbevölkerung in der ostbosnischen Stadt Bijeljina. Ende April fiel Brčko, das von einigen dürftig ausgerüsteten Kroaten und Muslimen verteidigt worden war.

Ziel von Radovan Karadžić, dem Präsidenten der Republika Srpska, war es, zwei Drittel des Territoriums zu erobern und die bereits von Serben kontrollierten Gebiete in Bosnien mit Serbien und Montenegro durch Korridore zu verbinden. Schon nach wenigen Tagen des Kampfes kontrollierten serbische Einheiten wichtige Punkte im Land. Anfang April 1992 eroberten die Serben Zvornik und attackierten Foča, die ostbosnischen Gebiete um Srebrenica und Žepa wurden eingeschlossen, ebenso wie Bihać und die bosnische Hauptstadt Sarajewo. Trotz der internationalen Anerkennung von Bosnien-Herzegowina als unabhängiger Staat blieben die EU, USA sowie die UNO militärisch passiv und in einer Beobachterposition. Im Mai und Juni 1992 rückten diverse serbische Einheiten nach Nordwestbosnien vor, um von dort aus das Hinterland Dalmatiens rund um Knin sowie die in Kroatien liegenden serbischen Einflusszonen nordöstlich von Bihać mit einem Korridor zu versorgen (Rathfelder 2007: 354). Dabei kam es wie zuvor in Kroatien zu zahlreichen Vertreibungen und „ethnischen Säuberungen“ an der nicht-serbischen Zivilbevölkerung, vor allem durch paramilitärische Truppen, um vollendete Tatsachen für spätere Gebietsansprüche zu schaffen. Im Spätsommer 1992 befanden sich 70 Prozent Bosniens in serbischer Hand, allerdings hielten kroatische Truppen der HVO die Westherzegowina. Ab Herbst 1992 kamen UNPROFOR-Truppen nach Bosnien, deren Aufgabe es war, „friedenserhaltende Maßnahmen“ zu ergreifen und humanitäre Hilfe zu leisten.

Die Kroaten in Bosnien wünschten sich vielfach eine Anbindung an den neuen unabhängigen kroatischen Staat oder eine eigene kroatische Republik innerhalb Bosniens, die die Gebiete in der Herzegowina mit kroatischen Bevölkerungsmehrheiten umfassen sollte und in der kurzlebigen Republik Herceg-Bosna (1993–1996) mit der Hauptstadt Mostar realisiert wurde. Anfangs kämpften die HVO und die muslimischen Streitkräfte gemeinsam gegen die serbischen Einheiten in der Herzegowina, wodurch es ihnen gelang, Mostar im Juni 1992 zurück zu erobern (Rathfelder 2007: 356). Ende 1992, nach der Eroberung von Jajce durch die serbischen Truppen, wurde die kroatisch-bosnische Allianz brüchig. Im Zuge der Verhandlungen über eine Unterteilung des Landes gemäß dem Vance-Owen-Plan in zehn territoriale Einheiten kam es zu Uneinigkeiten über die Machtverteilung in ethnisch gemischten Gebieten in Zentralbosnien (Ther 2011: 248). War es schon vorher vereinzelt zu Kämpfen zwischen der HVO, der bosnisch-kroatischen Armee und den bosnischen Regierungstruppen (ABiH) gekommen, verschärften sich die militärischen Auseinandersetzungen ab April 1993 im strategisch wichtigen Lašva-Tal in Mittelbosnien, aber auch in der Region um Mostar, symbolisiert durch die Sprengung der jahrhundertealten Brücke über dem Fluss Neretva durch die HVO, die den muslimischen und den kroatischen Stadtteil verbunden hatte. 
Ziel der kroatischen Militäreinheiten war ein einheitlich kroatisches Siedlungsgebiet in der Westherzegowina. Im Juni 1993 fügte die bosnische Regierungsarmee der HVO eine Reihe an Niederlagen zu, was nicht zuletzt auch an der zahlenmäßigen Überlegenheit der bosnischen Armee lag, die durch den Zuzug bosnischer Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes und die Beteiligung ausländischer islamistischer Kämpfer noch vergrößert wurde, was die wesentlich schlechtere Bewaffnung der ABiH teilweise ausglich (Rathfelder 2007: 356). Der bosnischen Armee gelang es, 30 Prozent des zuvor von Kroaten eroberten Gebietes einzunehmen, wobei es hier erstmals zu Übergriffen an der kroatischen Zivilbevölkerung kam, vor allem in Zentralbosnien (Rathfelder 2007: 357 f.). Ziel der bosnisch-muslimischen Truppen war ein von ihnen dominiertes Gebiet, das von Zentralbosnien bis Mostar und weiter zur Küste reichen sollte (Ivankovic/Melcic 2007: 428). Vor allem das Gebiet zwischen Tuzla, Sarajewo und Zenica sollte rein muslimisch besiedelt werden. Die muslimischen Einheiten ließen die Serben weitgehend unbehelligt und konzentrierten sich auf die Vertreibung von kroatischen Zivilisten in diesen Gebieten, wobei es auch zu Massenmorden kam.

Landkarte von Bosnien-Herzegowina. The Cartographic Section of the United Nations (CSUN)
Bosnien-Herzegowina

1993/94 verstärkten sich die bosnisch-kroatischen Kämpfe um Mostar, was zu gegenseitigen Vertreibungen und Massakern der muslimischen und kroatischen Bevölkerung durch die jeweiligen Armeen führte. Kroatische Truppen kooperierten im Herbst offen mit serbischen Streitkräften in der zentralbosnischen Enklave Žepče. Zugleich attackierten serbische Truppen die ostbosnischen Enklaven Srebrenica und Žepa, die im April 1993 gemeinsam mit Sarajewo, Tuzla, Bihać und Goražde von der UNO zu „Sicherheitszonen“ erklärt wurden, wobei in den beiden ersten Orten bosnischen Truppen die Waffen abgenommen wurden, unter dem Versprechen, dass serbische Einheiten diese Enklaven nicht mehr militärisch angreifen würden. Diese Enklaven waren von der Außenwelt abgeschlossen und konnten kaum von internationalen Hilfsorganisationen oder Reportern betreten werden, was zu einer extrem prekären Versorgungslage für die dort ansässige Bevölkerung führte. Zusätzlich begannen innerhalb des Lagers der Muslime Kämpfe um Bihać herum, wo Fikret Abdić, regionaler bosnischer Führer den Staat „Westbosnien“ ausgerufen hatte und dabei von Kroatien als auch von den Krajina-Serben unterstützt wurde. Der kroatische Präsident Tuđman strebte Ende 1993 auf internationalen Druck einen Frieden mit den bosnischen Muslimen an und setzte im Dezember Mate Boban, den Präsidenten der Republik „Herceg-Bosna“ ab. Mostar kam unter die Verwaltung der EU, die für den Wiederaufbau und Frieden in einer gemeinsamen bosnisch-kroatischen Föderation sorgen sollte (Audioquelle 17, Mittagsjournal vom 22. Juli 1995: Beitrag 7).

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Audioquelle 17

aus dem Mittagsjournal vom 22. Juli 1995
Fragiler Friede in Mostar

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Ein Granatenangriff auf den Marktplatz in Sarajewo am 5. Februar 1994, der über sechzig Personen tötete und über hundert verwundete, führte zu einem Ultimatum der NATO, die mit einer Bombardierung serbischer Stellungen drohte, sollten sich die serbischen Truppen bis Ende des Monats nicht 20 Kilometer von Sarajewo zurückziehen. Die HVO und die bosnische Armee konnten ihre Positionen sichern und Gebiete zurückgewinnen, während die bosnischen Serben militärisch zunehmend stagnierten. Nachdem der serbischen Seite die Eroberung Bihaćs im Dezember 1994 nicht geglückt war, vereinbarte man einen Waffenstillstand bis Ende April 1995, während die HVO und die bosnische Armee ihre militärische Kooperation optimierten und die Bosnier verstärkt mit Uniformen, Munition und Handfeuerwaffen von kroatischer Seite versorgt wurden.
Nach der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien versuchten bosnische Truppen Mitte Juni 1995 eine Offensive auf Sarajewo, um so den Belagerungsring um die Stadt zu sprengen, was jedoch an der im Vergleich schlechteren militärischen Ausstattung der bosnischen Truppen scheiterte (Rathfelder 2007: 358 f.). Am 6. Juli begannen bosnisch-serbische Truppen auf Befehl Ratko Mladićs die Offensive auf Srebrenica und Žepa. Die UN-Truppen lehnten eine Verteidigung der Enklaven ab, auch wiederholte Bitten um NATO-Luftunterstützung wurden von der UNPROFOR abgewiesen. Erst nach dem Massaker an über 7.000 Menschen in Srebrenica und Žepa drohte die NATO bei einem Angriff auf Goražde mit Luftangriffen. Unterdessen hatten Anfang August kroatische Truppen Knin attackiert und nahmen die bosnische Enklave Bihać ein, während NATO-Flugzeuge serbische Stellungen in Kroatien und Bosnien bombardierten. Kroatische und bosnische Truppen stießen immer weiter nach Bosnien vor, während die serbischen Truppen immer weniger Widerstand leisteten. Die Offensive stoppte am 19. September 1995, am 10. Oktober 1995 wurde ein Waffenstillstand vereinbart.

Bosnien-Herzegowina besteht nun aus zwei Entitäten: der bosniakisch-kroatischen Föderation (51 Prozent des Territoriums) sowie der Republika Srpska (49 Prozent des Territoriums). Die Angaben über die Gesamtzahl der Todesopfer schwanken von 100.000 bis zu 300.000 Personen, wobei geschätzt wird, dass zwei Drittel davon Zivilisten oder Kriegsgefangene waren. Vier Millionen Menschen mussten fliehen (Mann 2007: 524; 627). Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Dayton endeten zwar die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Bosniern, Kroaten und Serben, jedoch eskalierte 1999 der serbisch-albanische Konflikt im Kosovo, bei dem bis zu 800.000 Kosovo-Albaner und an die 200.000 Serben vertrieben wurden.

8. Ethnische Säuberungen und Kriegsverbrechen

7. Ethnische Säuberungen und Kriegsverbrechen

„Sag Bruder, warum wirst du mich ermorden?“
Aus einem Gedicht eines bosnischen Flüchtlings mit dem Titel „Freiheit“
(Audioquelle 18, Mittagsjournal vom 4. August 1992: Beitrag 5)

Besonders kompliziert gestaltet sich im Zusammenhang mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien die Sachlage der militärischen handelnden Akteure, deren Kriegsführung hauptsächlich auf die Zivilbevölkerung des Gegners und weniger auf dessen bewaffnete Streitkräfte abzielte (Szabo 2004: 14). Insofern waren diese Verbrechen an der Zivilbevölkerung keine Nebenerscheinung, sondern Ziel des Krieges:
„Die Kriege von heute werden immer seltener von Armeen geführt, deren Offiziere von Ehrenkodizes geleitet werden, sondern von Kämpfern, unter ihnen viele Kinder, die im klassischen Sinne des Wortes gar keine Soldaten sind. Ziel dieser Konflikte ist in vielen Fällen die ethnische Säuberung – die gewalttätige Vertreibung der zum Gegner gehörenden Zivilbevölkerung – und nicht der Sieg über die andere Armee.“ (Guttmann/Rieff 2002: 13).

Besondere Aufmerksamkeit gebührt dem Terminus der „ethnische Säuberung“. Bezeichnenderweise prägte der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien diesen Begriff, der aus dem Serbokroatischen übernommen wurde. Durch die mediale Berichterstattung popularisierte er sich weiter und breitete sich schließlich auch in der Wissenschaft aus. Das Phänomen an sich, obwohl eine moderne Erscheinung, ist jedoch älter und seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachten. Als „ethnische Säuberung“ definiert die UNO eine „vorsätzliche Politik, die von einer ethnischen oder religiösen Gruppe verfolgt wird, um die Zivilbevölkerung einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe durch gewaltsame und terroristische Mittel aus bestimmten geographischen Gebieten zu entfernen“ (Calic 2006: 125). Häufig wurde der Terminus als ein Euphemismus für Völkermord angesehen, ist aber mit diesem nicht automatisch ident, wobei eine ethnische Säuberung im Extremfall in einen Genozid übergehen kann (Brunnbauer/Esch 2006: 9). Häufig finden ethnische Säuberungen und Kriegsverbrechen besonders im 20. Jahrhundert im Rahmen von Bürgerkriegen statt. Die Täter sind oft ehemalige Schulfreunde, Nachbarn oder Bekannte, die die Schwächen der Opfer gut kennen. Die frühere Intimität setzt ein vermehrtes Maß an Emotionen frei (Calic 2006: 135).

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Audioquelle 18

aus dem Mittagsjournal vom 4. August 1992
Gedicht eines bosnischen Flüchtlings

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Gedenkstätte in der Nähe von Srebrenica.  Auf dem Gedenkstein in Potočari sind Namen der Opfer des Massakers von Srebrenica aufgelistet.
Gedenkstätte in der Nähe von Srebrenica

Der Begriff wird nicht umsonst meist unter Anführungszeichen verwendet, beschreibt er doch die zynische, ethno-nationalistische Vorstellung von einem bevölkerungsmäßig reinen (Staats‑)Gebiet – das in der Praxis kaum irgendwo existiert – sowie von Nation als homogener Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft. Besonders angesichts der interethnischen Verwobenheit Jugoslawiens, in dem die Kriterien der Sprache, Konfession, Religion und Verwandtschaft keineswegs immer so einwandfrei einer Ethnie zugeordnet werden konnten – wie von Nationalisten auf allen Seiten gerne suggeriert –, erscheint die Vorstellung eines ethnisch „reinen“ Gebietes als besonders grotesk, nicht zuletzt angesichts der zahlreichen Eheschließungen zwischen Serben, Bosniern und Kroaten vor dem Bürgerkrieg. Wenn, wie in dieser Vorstellung, aber Nation und Staat identisch sind, fällt es umso leichter, Personen, die nicht zur eigenen Volksgruppe gehören, auszugrenzen, schließlich stellen sie demzufolge eine potentielle Gefährdung der Einheit des eigenen Staatsgebildes dar (Calic 2006: 131–133). Die „ethnische Säuberung“ verspricht zudem eine Lösung realer oder vermeintlich bestehender Konflikte durch eine Homogenisierung multiethnischer Siedlungsgebiete, nach dessen Logik mit der Beseitigung des Feindes auch der Konflikt beseitigt ist.

„Ethnische Säuberungen“ beinhalten systematische Vertreibung einer ethnischen Gruppe und sind auch inszenierte symbolische Gewalt. So atavistisch die Gewaltexzesse auf Beobachter wirken mögen, verfolgen sie jedoch bestimmte Zwecke, die auf Demoralisierung, Einschüchterung und Erhöhung des Leids, etwa durch Folter, öffentliche Hinrichtungen und Verstümmelung hinauslaufen (Calic 2006: 132 f.). Zudem verfügen diese Verbrechen über ein starkes Mobilisierungspotential, das in einer pervertierten Form demokratisch ist: jeder, der mitmachen will, kann an der Gewalt partizipieren, Zuschauer sein, die Täter anfeuern, Täter werden. Sie wird so zu einer Allerwelts- und Allzweckressource: Die Täter verübten diese Verbrechen, weil sie es konnten. Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sondern eben auch Mörder.
Man verunmöglicht durch die Zerstörung von Häusern, Eigenheimen und Privatbesitz den Verbleib der Zivilbevölkerung, entwurzelt diese und stellt sicher, dass diese nie wieder in ihre alte Heimat zurückkehren, während die Zerstörung religiöser und kultureller Bauwerke wie Kirchen, Moscheen, Bibliotheken und Museen auf die nationale Identität und das kulturelle Gedächtnis einer ethnischen Gruppe abzielen. Vergewaltigung hingegen setzt auf die Verletzung ethno-kultureller Familienbeziehungen, stigmatisiert das Opfer und sein Umfeld und stellt eine gravierende Zerstörung der öffentlichen Ordnung dar. In vielen Kulturen, in denen der weibliche Körper als Sinnbild einer Nation gilt, symbolisiert die Vergewaltigung die Auslöschung der Gemeinschaft. Vergewaltigung wurde als Teil der Kriegsführung und Mittel zur Einschüchterung betrachtet, als dessen Opfer unbewaffnete, physisch unterlegene Frauen im Krieg ein leichtes Ziel waren (Kaser 2007: 411 f.).

Die Daten zu den Tätern dieser Verbrechen sind nicht umfangreich, jedoch lassen sich einige Spezifika benennen: ein proportional hoher Anteil der Täter stammt aus ethnisch gemischten, meist ländlichen Grenzgebieten, in denen Bedrohungsszenarien durch die geographische Randlage vermutlich stärker präsent sind (Mann 2007: 618–622). Überrepräsentiert waren Männer aus Miliz, Geheimpolizei, oder anderen Polizeieinheiten, weniger aus regulären Armeeeinheiten und es waren häufig junge Männer von bis zu 30 Jahren. Frauen beteiligten sich nur sehr wenige aktiv an den Verbrechen, auch wenn sie sich an Plünderungen beteiligten und die Menschenmengen aufhetzten. Die meisten der vom Haager Tribunal Angeklagten verübten die Verbrechen in ihrem Heimatgebiet, was den Eindruck, dass viele der Opfer ihre Peiniger (er‑)kannten, bestätigt. Ein besonderes Täterpotenzial scheinen Flüchtlinge gehabt zu haben, die sich an ihren neuen Aufenthaltsorten für die an ihnen begangenen Verbrechen rächen wollten und ihre neuen serbischen, kroatischen oder muslimischen Nachbarn beraubten, vertrieben oder ermordeten. Dass vor allem arme und arbeitslose Männer die Täter „ethnischer Säuberungen“ waren, lässt sich nicht bestätigen, sondern es kann eher von einer Beteiligung aller sozialen Schichten ausgegangen werden, jedoch hatten in einigen paramilitärischen Einheiten Kriminelle einen herausragenden Anteil.

Serben begingen zahlenmäßig die meisten Morde, bildeten aber die größte Gruppe unter den Flüchtlingen (Mann 2007: 525). Der Grund für den Überhang serbischer Täter bei Vertreibungen und Morden an der Zivilbevölkerung lag nicht an einem vermeintlich kriegerischen Charakter dieser Gruppe oder einem stärkeren Nationalismus, sondern daran, dass der Kriegsverlauf und die strategische Position der serbischen Einheiten mehr Möglichkeit für diese Verbrechen bot, als bei anderen Kriegsparteien. Geographische Schwerpunkte der Gewaltexzesse lagen in der kroatischen und bosnischen Krajina, Slawonien, dem Drina-Tal in Ostbosnien sowie Nordbosnien (Ther 2011: 245; 145). In diesen Regionen hatte es bereits im Zweiten Weltkrieg besonders viele Todesopfer durch Morde der Ustascha und der serbischen Tschetnik-Einheiten gegeben. 
Die „ethnischen Säuberungen“ hingen untrennbar mit dem Kriegsverlauf und dem exklusiven Ethno-Nationalismus der Befehlshaber der Kriegsparteien zusammen, wobei die bosnische Regierung in Sarajewo die einzige Partei war, die für einen multi-ethnischen Staat eintrat. Die „ethnischen Säuberungen“ hatten die Gebietsansprüche der jeweiligen Kriegsparteien quasi legitimiert: wenn in einem Territorium auf Grund der Vertreibungen keine Mitglieder der anderen Ethnien mehr ansässig waren, schuf dies eine de-facto Berechtigung, dieses Gebiet für sich zu beanspruchen. Die Verbrechen wurden so zum Selbstläufer und schufen zusammen mit der Ankunft von Flüchtlingen neue ethnische Realitäten und vollendete Tatsachen.

Die Kriegsverbrechen verdichten sich in der ORF-Berichterstattung besonders in bestimmten Phasen des Krieges. Thematisiert wurden die Verbrechen sowohl von überlebenden Flüchtlingen, hohen Militärs, Lokalpolitikern, gewöhnlichen Zivilisten, die im Kriegsgebiet verblieben waren, aber auch von Journalisten vor Ort sowie Mitarbeitern von NGOs, was der Thematik eine Mehrdimensionalität an Narrativen verleiht, schließlich berichteten die Personen je nach Standpunkt sehr unterschiedlich über die Ereignisse.

9. Berichterstattung über Kriegsverbrechen in Kroatien

O-Töne aus dem Kriegsgebiet

Zwischen Sommer 1991 und Anfang 1992 wurden an die 200.000 Kroaten aus der von den Serben beanspruchten Krajina und aus Ostslawonien vertrieben (Calic 2006: 130 f.). Meldungen dazu finden sich etwa über Osijek und Erdut (Audioquelle 19, Mittagsjournal vom 6. August 1991: Beitrag 3 sowie Audioquelle 20, Mittagsjournal vom 3. August 1991: Beitrag 9). Im Dezember 1991 gab es Meldungen, wonach die serbische militärische Führung in Slawonien begann, in den von ihr eroberten Gebieten Ortsnamen zu serbisieren und Serben in ehemals kroatischen Dörfern anzusiedeln (Audioquelle 21, Mittagsjournal vom 13. Dezember 1991: Beitrag 5).

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Audioquelle 21

aus dem Mittagsjournal vom 13. Dezember 1991
Friedrich Orter zu Vertreibungen

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Audioquelle 19

aus dem Mittagsjournal vom 6. August 1991
Kriegsverbrechen in Erdul

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Audioquelle 20

aus dem Mittagsjournal vom 3. August 1991
Kämpfe in Slawonien

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Der Reporter Friedrich Orter schildert eindrucksvoll in einem Moderatorengespräch die Lage im kroatischen Kampfgebiet (Audioquelle 22, Mittagsjournal vom 29. Juli 1991: Beitrag 3). Serbische Tschetnik-Banden sollen Kroaten aus den Dörfern, etwa aus Struga Banska zirka 100 Kilometer südlich von Zagreb, vertreiben. Verletzte kroatische Polizisten sollen dort von den serbischen Freischärlern ermordet worden sein. Die Bevölkerung wurde als lebendes Schutzschild missbraucht, der Verbleib der Leute ist unklar. Auch die Lage für Journalisten ist dort gefährlich, die serbischen Freischärler hätten sie mit dem Tode bedroht, so Orter. Man dürfe nicht pauschalieren und alle Serben verurteilen, aber derzeit würden Söldnertruppen ihr Unwesen treiben, die meistens alkoholisiert plündernd und mordend von Dorf zu Dorf ziehen. Die Volksarmee würde auf Seite der serbischen Aufständischen stehen. Ein weiterer Bericht Orters zum Krieg in der Krajina liegt über die Stadt Kostajnica an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina vor (Audioquelle 23, Mittagsjournal vom 31. Juli 1991: Beitrag 3). Die triste Lage im dalmatischen Hinterland im November 1991 beschrieb die ORF-Journalistin Veronika Seyr in einem Moderatorengespräch (Audioquelle 24, Mittagsjournal vom 28. November 1991: Beitrag 5). Kaum ein Haus sei heil geblieben. In den Dörfern selbst sieht man Zerstörung und Zeichen der Plünderungen, Matratzen und Möbel liegen auf der Straße, das Obst auf den Bäumen verfault, weil niemand in den Dörfern da ist, um es zu ernten. Zerschossene Autos, Bombenkrater … Hunde und Katzen streunen umher, die Soldaten hausen in den noch halbwegs heil gebliebenen Häusern. Es stehen halbleere und zerschossene Weinflaschen herum, die Armee würde sich zwar Jugoslawische Volksarmee nennen, aber dem Aussehen nach ist sie keine reguläre Armee. Sie sah Soldaten ohne Schuhbänder, mit schmutzigen Stiefeln halb zivil, halb in Uniform, aber alle schwer bewaffnet.

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Audioquelle 22

aus dem Mittagsjournal vom 29. Juli 1991
Friedrich Orter zu serbischen Tschetniks

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Audioquelle 23

aus dem Mittagsjournal vom 31. Juli 1991
Situation in Kostajnica/Kroatien

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Audioquelle 24

aus dem Mittagsjournal vom 28. November 1991
Kriegsschäden in Dalmatien

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Die kroatische Bevölkerung wurde aus den serbisch deklarierten Gebieten vertrieben und ermordet. Viele der Häuser – nachdem sie geplündert worden waren – wurden in Brand gesteckt, Kirchen, Museen und Friedhöfe zerstört (Rathfelder 2007: 348 f.). Hier gelangten vor allem die paramilitärischen Truppen von Arkans „Tigern“, die „Tschetniks“ von Vojslav Šešelj, die „Weißen Adler“ von Mirko Jović und anderen zu einer unrühmlichen Bekanntheit, obwohl es später auch zur Ermordung serbischer Zivilisten durch kroatische Einheiten in Slawonien kam. Šešelj, Vorsitzender der Serbischen Radikalen Partei und Anführer der „Tschetnik“-Freischärler, gegen den zwischen 2006 und 2016 ein Verfahren in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen Kriegsgesetze lief, meinte auf die Frage der Journalistin Agate Zupan, warum die Tschetniks derart brutal mit Kriegsgefangenen und Zivilisten verfahren würden: „So ist eben der Krieg“, außerdem sei vieles von den Kroaten übertrieben dargestellt (Audioquelle 25 & 26, Abendjournal vom 1. August 1991, JA-910801: Beitrag 9). Wer als Unbeteiligter von den Tschetniks beschossen werde, sei selbst schuld. Serbien sei da, wo Serben leben, aber im Gegenzug sei das Kosovo nicht albanisch, weil die Albaner das primitivste Volk Europas seien, so Šešelj. Anders als Kroaten würden sich Serben nie einem anderen Volk freiwillig unterwerfen. Auf die Frage nach seiner persönlichen Zukunft und ob er nicht serbischer König oder Kaiser werden wolle, antwortet Šešelj, der im alten Jugoslawien jüngster Doktor der Rechtswissenschaften war: „(…) Ich wünsche mir, wieder Universitätsprofessor zu sein und Verfassungsrecht zu unterrichten“, und fügte hinzu, nicht ganz, er habe etwas vergessen, zuerst müsse er mit Kroatien fertig werden, dann habe er sein Lebensziel erreicht.

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Audioquelle 25

aus dem Journal-Panorama im Abendjournal vom 1. August 1991
Großserbische Ideen des Tschetnik-Führers Šešelj

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Audioquelle 26

aus dem Journal-Panorama im Abendjournal vom 1. August 1991
Šešeljs Lebensziele

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Interview mit dem Vizebürgermeister von Knin, Lazar Macura (Audioquelle 27, Abendjournal vom 1. Februar 1991: Beitrag 8): Macura meint, die Serben hätten nichts gegen den kroatischen Staat, aber die Serben in dieser Region wollten kein Teil eines kroatischen Staates sein. Aber er würde verhaftet, wenn er nach Zagreb kommen würde. „Nur mit einem Panzer würde ich nach Zagreb fahren“. „Wir haben den Kroaten hier in Knin nichts getan, sie sind 10 Prozent der Bevölkerung. Wir könnten ein Massaker anrichten, aber niemandem ist etwas geschehen.“ Knin im Hinterland Norddalmatiens wird mehrheitlich von Serben bewohnt, bei den Serben in der Region wird die Erinnerung an die Verfolgung unter dem faschistischen Ustascha-Regime während des Zweiten Weltkrieges hochgehalten. In Knin verdichten sich kroatisch-serbische Probleme, es handelt sich um einen der wichtigsten kulturellen Orte Kroatiens, weshalb ihn viele Kroaten als untrennbaren Teil des kroatischen Staates sehen und betonen, dass Serben erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Mehrheit in der Stadt stellten.

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Audioquelle 27

aus dem Abendjournal vom 1. Februar 1991
Journal-Panorama: Interview mit dem Vizebürgermeister von Knin

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Auch der Kommandant einer serbischen paramilitärischen Tschetnik-Einheit, Dragan Vasiljković (auch „Kapitän Dragan“ genannt), ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher, verteidigte das Vorgehen der Volksarmee und der Tschetnik-Truppen in Kroatien. Der Söldner, der auf zahlreichen Kriegsschauplätzen gekämpft haben soll, spricht nicht vom Töten, sondern vom neutralisieren feindlicher Truppen. (Audioquelle 28, Mittagsjournal vom 24. September 1991: Beitrag 7).

Die Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung der multiethnischen Vojvodina an der Grenze zu Südungarn, wo Kroaten, Serben, Slowaken, Ungarn, Roma und Rumänen seit Jahrhunderten zusammengelebt hatten, thematisiert ein Beitrag des Mittagsjournals vom 24. August 1992 (Audioquelle 29, Mittagsjournal vom 24. August 1992: Beitrag 4). Die massive Ansiedelung serbischer Kriegsflüchtlinge spaltet die Dorfgemeinschaften, die anfängliche Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen ist in Ablehnung umgeschlagen, da diese ihre Hegemonialansprüche allzu energisch angemeldet hätten. Alteingesessene Kroaten, Ungarn, aber auch Serben wurden von Politikern der radikalen Šešelj-Partei, die im Gemeinderat sitzen und von der Miliz aufgefordert, das Dorf zu verlassen. Wer dem Druck nicht weicht, erhält telefonische Drohungen. Oft müssen die Menschen einen Blankoscheck unterschreiben, dass sie auf ihren Besitz freiwillig verzichten.

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Audioquelle 28

Mittagsjournal vom 24. September 1991
Söldnerführer „Dragan“ zu Kriegsverbrechen

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Audioquelle 29

aus dem Mittagsjournal vom 24. August 1992
„Ethnische Säuberungen“ in der Vojvodina

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Auch 1995 berichtete Ö1 über Vertreibungen von Kroaten aus der Vojvodina, die Täter waren dem Bericht zufolge demobilisierte serbische Freischärler und neu ankommende serbische Flüchtlinge, was sehr anschaulich die Gewaltspirale beschreibt, die Kriegsverbrechen auslösen (Audioquelle 30, Mittagsjournal vom 11. August 1995: Beitrag 4). In den oft ethnisch gemischten Dörfern, in denen Serben, Kroaten, Ungarn und Slowaken zusammenleben, werden kroatische Zivilisten vertrieben, oft von demobilisierten serbischen Freischärlern und Flüchtlingen aus der Krajina. In vielen Dörfern verstecken sich die Kroaten, um nicht Opfer der Rache zu werden, andere nehmen freiwillig serbische Flüchtlinge auf, in der Hoffnung, so in Ruhe gelassen zu werden. Oft wurden diese serbischen Flüchtlinge auf ihrem Weg von Kroaten beschimpft, bespuckt oder beschossen. Libarica, ein quasi rein kroatisches Dorf, wurde bereits „ethnisch gesäubert“. Vor Ort verteilt die Serbische Radikale Partei Listen mit Adressen der Kroaten. Auch Serben, die als Gegner der radikalen Nationalisten gelten, bringen sich in Gefahr, so der Beitrag.

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Audioquelle 30

aus dem Mittagsjournal vom 11. August 1995
Vertreibung von Kroaten

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Serbische Flüchtlinge hatten freilich eine andere Sichtweise auf den Krieg, als die in den meisten westlichen Medien verbreitete, was in einem Beitrag des Mittagsjournals vom 21. September 1991 zum Ausdruck kommt: die hier befragten serbischen Flüchtlinge, die vermutlich aus Ostslawonien stammten, sahen die Kroaten als „Terroristen“, die sie aus ihrer Heimat vertreiben oder umbringen wollten (Audioquelle 31, Mittagsjournal vom 21. September 1991: Beitrag 4). In Vukovar, so eine serbische Frau, sei wahllos auf Serben geschossen und ihre Autos beschlagnahmt worden. Ihr Mann kämpfe bei der Territorialverteidigung, die sich gegen die „kroatischen Terroristen“ und „Aggressoren“ verteidigen würden. Ziel der Kroaten sei es, die Serben aus den ethnisch gemischten Gebieten zu vertreiben. Die serbischen Flüchtlinge, die man in dem Beitrag befragte, sahen kaum noch Möglichkeiten für ein friedliches Zusammenleben mit den Kroaten und waren nach eigenen Angaben nur dann bereit, in ihre Heimat zurückzukehren, sollten diese an Serbien fallen. Die Aussage dieser Frau ist insofern aufschlussreich, da sie trotz ihrer subjektiven Meinungsäußerung ein Tabu der post-jugoslawischen, kroatischen Geschichtsschreibung anspricht, nämlich dass in Vukovar, dem „kroatischen Stalingrad“ nicht nur Kroaten eingekesselt waren, sondern auch Serben, was das oft verklärte Geschichtsbild komplexer erscheinen lässt. Vukovar war extrem von Kriegsverbrechen betroffen, die sowohl von serbischer Seite begannen wurden, etwa dem Massaker an rund 400 Krankenhauspatienten sowie weiteren Massakern, die nach Eroberung der Stadt geschahen, als auch Kriegsverbrechen, die von kroatischen Einheiten an serbischen Zivilisten begannen wurden, etwa unter den Einheiten der „Kroatischen Verteidigungskräfte“ (HOS) des Dobroslav Paraga und seiner Partei, der „Kroatischen Partei des Rechts“ (HSP), die offen an den faschistischen Ustascha-Staat anknüpften (zu Dobroslav Paraga: Audioquelle 32, Mittagsjournal vom 4. November 1991: Beitrag 10; zu den Verbrechen serbischer Freischärler in Vukovar: Audioquelle 33, Mittagsjournal vom 5. November 1992: Beitrag 12).

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Audioquelle 31

aus dem Mittagsjournal vom 21. September 1991
Serbische Flüchtlinge zu ihren Erlebnissen in Vukovar

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Audioquelle 32

aus dem Mittagsjournal vom 4. November 1991
Kroatische Kriegsverbrechen in Vukovar

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Audioquelle 33

aus dem Mittagsjournal vom 5. November 1992
Massengräber bei Vukovar

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Nach Eroberung der Stadt durch die Krajina-Serben wurde Vukovar beinahe ethnisch homogen, nur vereinzelt lebten noch Kroaten hier, die meist einen serbischen Ehepartner hatten, während sich die Stadt vermehrt mit serbischen Flüchtlingen füllte. Jeder in der Stadt sei bewaffnet, so eine Reportage über Vukovar aus dem Sommer 1993, nachts werde geraubt und geplündert, noch immer würden in den Gärten Leichen entdeckt (Audioquelle 34, Mittagsjournal vom 17. Juli 1993: Beitrag 6). Die politischen Stars seien die radikalen Miliz-Führer Arkan und Šešelj, während man dem serbischen Präsidenten Milošević misstraute, aus Angst, er könnte Vukovar an Kroatien zurückgeben, was bereits die innerserbischen Zerwürfnisse zwischen Belgrad und den Krajina-Serben andeutete.

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Audioquelle 34

aus dem Mittagsjournal vom 17. Juli 1993
Vukovar unter serbischer Herrschaft

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Die Flucht von Serben aus größeren kroatischen Städten thematisiert ein Beitrag vom 4. Oktober 1991 (Audioquelle 35, Mittagsjournal vom 4. Oktober 1991: Beitrag 6). Die Serben würden etwa Zagreb verlassen, weil sie die Aggression der Kroaten fürchten, und sie lassen oft alles zurück und verlieren ihren Arbeitsplatz. Flüchtlinge berichten von aufgebrochenen, geplünderten Wohnungen, nächtlichen Anrufen mit Morddrohungen, Verhaftungen. Die kroatischen Behörden würden teilnahmslos reagieren. Jahrelange Bekannte hätten sie „Tschetniks“ genannt und sie gemieden, dabei hätten sie nie jemandem etwas getan. 17 Jahre hätten sie in Zagreb gelebt, so die serbischen Flüchtlinge. Zurück dorthin wollen sie nie mehr.

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Audioquelle 35

aus dem Mittagsjournal vom 4. Oktober 1991
Schwierigkeiten serbischer Flüchtlinge

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Das häufig angespannte Verhältnis zwischen den verbliebenen Alteingesessenen und neuankommenden Flüchtlingen in den Dörfern beschreibt ein Bericht über das westslawonische Okučani (Audioquelle 36, Mittagsjournal vom 12. August 1995: Beitrag 6). 1995 war die Mehrheit der Serben aus der Stadt geflohen, nur alte oder arme Menschen sind geblieben. 1991 wurden die Kroaten aus der Stadt vertrieben, jetzt kehren kroatische Flüchtlinge, allerdings aus Bosnien, wieder zurück. Vor allem aus Banja Luka fliehen Kroaten vor der Gewalt der aus der Krajina kommenden Serben. Der Spannungen zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen bzw. rückkehrenden Flüchtlingen sei groß. Eine serbische Frau aus Okučani sagt: „Wo soll ich hingehen? Ich kenne niemanden in Serbien, hier sind meine Kinder geboren, hier hab ich alle gekannt. meine Kinder sind in Ljubljana. Wo soll ich hin? Ich hab kein Geld, ich hab kein Auto“. Eine alte Frau, Serbin, erzählt, dass sie von den Neuankömmlingen beschimpft werden und nach 7 Uhr abends nicht mehr aus dem Haus gehen, weil sie sich nicht sicher fühlen.

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Audioquelle 36

aus dem Mittagsjournal vom 12. August 1995
Kroaten und Serben in Westslawonien

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Weitere Vertreibungen und Kriegsverbrechen an der serbischen Bevölkerung durch kroatische militärische Einheiten geschahen bei der kroatischen Rückeroberung der Krajina im Rahmen der Operationen „Sturm“ – hier wurden etwa 180.000 kroatische Serben vertrieben – und „Blitz“ im Sommer 1995 (Ther 2011: 250). Die Ö1-Beiträge zu diesem Thema beschreiben die Massenflucht der Serben, die nach Nordbosnien oder Serbien flohen (Audioquelle 37, Mittagsjournal vom 7. August 1995: Beitrag 4). Viele Zivilisten, darunter zahlreiche alte Menschen, Frauen und Kinder, mussten den Weg zu Fuß zurücklegen und waren oft tagelang ohne Nahrung und Wasser unterwegs. Berichtet wird in den Journale-Sendungen von vereinzelten Plünderungen in Knin durch kroatische Truppen. Die Durchführung ethnischer Säuberungen wie in Bosnien wird jedoch im Beitrag verneint, was sich im Nachhinein betrachtet als unrichtig erweisen sollte, auch wenn das Ausmaß und die Intensität freilich viel geringer waren. Allerdings berichtet UNO-Sprecher Chris Gunness, dass die serbische Zivilbevölkerung aufgrund der Kampfhandlungen freiwillig ihre Häuser verlassen würde, da sie sich nicht sicher fühle (Audioquelle 38, Mittagsjournal vom 7. August 1995: Beitrag 6). Berichtet wird auch von Übergriffen kroatischer Zivilisten auf die serbischen Flüchtlinge mit Billigung der kroatischen Polizei, die sich an den Übergriffen in manchen Fällen auch selbst beteiligte. In einem Beitrag des Mittagsjournals vom 16. August 1995 berichteten geflohene Krajina-Serben, dass sie nur wenige Minuten hatten, um ihre Sachen zu packen und ihre Häuser zu verlassen (Audioquelle 39, Mittagsjournal vom 16. August 1995: Beitrag 4). Die Kroaten (unklar ob Zivilisten oder Militär) beschimpften sie auf ihrem Weg, sie wurden mit Steinen und Flaschen beschossen und verprügelt. Die kroatischen Polizeibeamten, die die serbischen Flüchtlinge um Hilfe baten, hätten gelacht, den Serben die Koffer weggenommen und sie bestohlen. Einer der Polizisten, so eine serbische Frau, hätte auf die Bitten der Flüchtlinge erwidert: „Was soll ich machen? Das sind doch nur Kinder. Wir wollen uns nur austoben.“ 

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Audioquelle 37

aus dem Mittagsjournal vom 7. August 1995
Flucht der Serben aus der Krajina

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Audioquelle 38

aus dem Mittagsjournal vom 7. August 1995
Gespräch mit dem UNO-Sprecher in Zagreb Chris Gunness

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Audioquelle 39

aus dem Mittagsjournal vom 16. August 1995
Serbische Flüchtlinge aus der Krajina

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Interessant im Zusammenhang mit der serbischen Republik Krajina ist ein Interview mit dem Präsident der international nicht anerkannten Republik Serbische Krajina, Milan Martić im Juli 1995 (Audioquelle 40, Mittagsjournal vom 10. Juli 1995: Beitrag 6). Martić, Führer paramilitärischer Verbände und 2007 zu 35 Jahren Haft verurteilt, beschuldigt die UNO sowie den Westen für den Krieg in Jugoslawien verantwortlich zu sein. Er beteuert, seine Armee habe in Zagreb keine Zivilisten treffen wollen, das seien Artilleriefehler gewesen. Zum kroatischen Präsidenten Tuđman, der Martić als Kriegsverbrecher bezeichnete, meinte Martić, nicht nur Tuđman sei ein Kriegsverbrecher, auch westliche Politiker wie Helmuth Kohl, Hans-Dietrich Genscher oder Alois Mock seien für die Situation, wie sie jetzt herrsche, verantwortlich. Mock sei für seine kroatienfreundliche Politik von diesen bezahlt worden. Ein Licht auf die Situation der Serben in Kroatien nach Kriegsende wirft das Journal-Panorama „Die letzten Serben von Kroatien“, über die Lage in Ostslawonien (Audioquelle 41, Abendjournal, JA-970410: Beitrag 14).

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Audioquelle 40

aus dem Mittagsjournal vom 10. Juli 1995
Interview mit Milan Martić, Präsident der Republik Serbische Krajina

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Audioquelle 41

aus dem Abendjournal vom 10. April 1997
Journal-Panorama: Serben in Ostslawonien

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10. Berichterstattung über Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina

O-Töne von Flüchtlingen

Ihr größtes Ausmaß erreichten die „ethnischen Säuberungen“ und Vertreibungen in Bosnien-Herzegowina, wo ab dem Frühjahr 1992 ebenfalls ein Bürgerkrieg ausbrach. Begingen zunächst vor allem bosnische Serben diese Kriegsverbrechen zumeist in den Gebieten, die an Serbien und die Republik Serbische Krajina grenzten, gingen im Laufe des Krieges auch kroatische und bosnische militärische Einheiten dazu über, Angehörige der gegnerischen Ethnien aus den eroberten Gebieten zu vertreiben oder zu ermorden.

Berichte bosnischer Flüchtlinge finden sich dem Verlauf des Bosnienkrieges entsprechend am häufigsten, forderte der Krieg dort doch aufgrund seiner territorialen und zeitlichen Ausdehnung sowie der großen ethnischen Heterogenität des Landes die meisten zivilen Opfer. Ihren auch medialen Höhepunkt fanden die ethnischen Säuberungen im Massaker von Srebrenica 1995, bei dem 6.975 Angehörige der männlichen muslimischen Bevölkerung in Massenerschießungen ermordet und anschließend verscharrt wurden. Im Anschluss an das Massaker wurden noch Personen exekutiert, die in die umliegenden Wälder geflohen waren, sowie Bosnier aus der Enklave Žepa vertrieben.

Meldungen zu Massakern und Vertreibungen in den muslimischen Enklaven und UNO-Schutzzonen Srebrenica (Audioquelle 42, Mittagsjournal vom 22. März 1933: Beitrag 8; Audioquelle 43, Mittagsjournal vom 11. August 1995: Beitrag 5; Audioquelle 44, Mittagsjournal vom 9. Juli 1993: Beitrag 6), Tuzla (Audioquelle 45, Mittagsjournal vom 13. Juli 1995: Beitrag 3) und Žepa (Audioquelle 46, Mittagsjournal vom 19. Juli 1995: Beitrag 6; Audioquelle 47, Mittagsjournal vom 20. März 1993: Beitrag 3). Die Beiträge beschreiben einerseits detailliert das Vordringen der bosnischen Serben, den Ablauf der Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen durch die bosnisch-serbischen Truppen, Reaktionen der bosnischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft, also der EG, UNO und NATO, sowie die Situation der aus den gestürmten Enklaven geflohenen Menschen, die sich unter schwierigsten Bedingungen in Sicherheit bringen konnten.

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Audioquelle 42

aus dem Mittagsjournal vom 22. März 1993
Srebrenica-Flüchtlinge

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Audioquelle 44

aus dem Mittagsjournal vom 9. Juli 1993
Ex-Bürgermeister von Srebrenica in Kärnten

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Audioquelle 46

aus dem Mittagsjournal vom 19. Juli 1995
Die Lage in Žepa und Goražde

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Audioquelle 43

aus dem Mittagsjournal vom 11. August 1995
Amnesty International zu Srebrenica

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Audioquelle 45

aus dem Mittagsjournal vom 13. Juli 1995
UNO zu Vertreibungen

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Audioquelle 47

aus dem Mittagsjournal vom 20. März 1993
UNO-Offizier zu bosnischen Enklaven

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Stellvertretend dafür können zwei Audioquellen stehen: Der Bürgermeister von Tuzla, Selim Bešlagić, gibt in einem Interview Auskunft über die Probleme der Flüchtlinge (Audioquelle 48, Mittagsjournal vom 21. Juli 1995: Beitrag 4). Die Stadt ist voll mit Flüchtlingen aus Srebrenica und anderen Städten, so Bešlagić, die Spannung zwischen der einheimischen und zugezogenen Bevölkerung steigt, da Flüchtlinge oft Racheaktionen an der verstreut lebenden serbischen Bevölkerung verüben. Ein Terroranschlag im Stadtzentrum im Mai, als eine Bombe mehr als 70 junge Menschen tötete, hat die Bewohner völlig verstört, auch wenn die Stadt bis dato vergleichsweise wenig zerstört wurde.

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Audioquelle 48

aus dem Mittagsjournal vom 21. Juli 1995
Der Bürgermeister von Tuzla zu Flüchtlingen

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Bosnische Flüchtlinge, die sich aus dem Raum Srebrenica nach Tuzla über die Berge durchgeschlagen haben, berichten von serbischen Hinterhalten und Granatbeschuss, viele Flüchtlinge wurden durch diesen getötet, manche wurden vor Angst wahnsinnig (Audioquelle 49, Mittagsjournal vom 22. Juli 1995: Beitrag 6). Frauen und Mädchen mussten ihren Schmuck abgeben. Berichtet werden Gräueltaten serbischer Soldaten, Raub der persönlichen Habe, Misshandlungen. Der Bericht erwähnt auch Gerüchte von Massakern an 1600 bosnischen Männern, was auch britische Nachrichtendienste vermelden.

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Audioquelle 49

aus dem Mittagsjournal vom 22. Juli 1995
Der Bürgermeister von Tuzla zu Flüchtlingen

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Eines der wohl erschütterndsten Zeugnisse über Kriegsverbrechen an der muslimischen Zivilbevölkerung ist ein Journal-Panorama des bosnischen Journalisten und Regisseurs Predrag Pocrnja, der muslimische Flüchtlinge in Wien zu ihren Erfahrungen im Krieg befragte (Audioquelle 50, Abendjournal vom 7. April 1994: Beitrag 13). In dem Beitrag wird beschrieben, wie die ethnische Säuberung durch serbische Freischärler in Ostbosnien in der Praxis aussah. Die Flüchtlinge schildern ausführlich die furchtbaren Kriegsverbrechen, die an Männern, Frauen und Kindern begangen wurden und veranschaulichen, dass die Veränderung der interethnischen Beziehungen und die fortschreitende Ethnisierung überraschend kamen und sich ihnen erst im Nachhinein erschloss. In der Situation selbst konnten sie dies nicht erkennen oder vorhersehen, was alle Beteiligte in einen unkontrollierbaren Strudel der Ereignisse riss. Dies hat auch die Südosteuropaforscherin Natalija Basic in ihren Interviews mit Soldaten im serbisch-kroatischen Krieg festgestellt (Basic 2006: 148).

In dem Bericht kommt die Dankbarkeit gegenüber dem Gastland Österreich zum Ausdruck, aber auch das Gefühl der Machtlosigkeit, weil man die Sprache nicht beherrscht und andere für Unterkunft und Ernährung sorgen müssen. Dazu kommt das Gefühl des massiven sozialen Abstiegs, weil man in Österreich vor dem Nichts steht. Viele der Flüchtlinge haben psychische Probleme.

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Audioquelle 50

aus dem Abendjournal vom 7. April 1994
Journal-Panorama über die Erfahrungen bosnischer Flüchtlinge

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Detailliert beschreibt ein Beitrag des Mittagsjournals ethnische Säuberungen in Zvornik, im Nordosten Bosniens in der heutigen Republika Srpska, unter der Beteiligung von Arkan-Milizionären (Audioquelle 51, Mittagsjournal vom 4. Juli 1992: Beitrag 5). Die bosnischen Flüchtlinge berichten über Kriegsverbrechen serbischer „Tschetniks“. Sie erwähnen Lager, in denen man die Flüchtlinge festhielt, Massaker an Zivilisten, bei denen ganze Ortschaften ausgelöscht wurden und bei denen die serbischen Freischärler die Bewohner in die Häuser trieben und diese anzündeten, weiters werden Raub und verstümmelten Leichen erwähnt, die in der Drina trieben. Diese Militäraktion der Serben hatte zwischen April und Juni 1992 stattgefunden (Audioquelle 52, Mittagsjournal vom 8. Juli 1994: Beitrag 8). Zvornik wurde am 8. April 1992 von serbischen Freischärlern erobert. Die serbischen Milizionäre plünderten, vergewaltigten, mordeten, folterten in provisorisch eingerichteten Gefängnissen, etwa im ehemaligen Gerichtsgebäude. Die Soldaten, darunter Männer General Arkans, begannen mit der Verschleppung der Bevölkerung in eine ehemalige Schuhfabrik im Industriegebiet. Geflüchtete Moslems wurden von den Serben aufgerufen, nach Zvornik zurückzukehren, sonst würden sie ihr Eigentum verlieren. Die Heimkehrer wurden festgenommen und in Lager deportiert.

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Audioquelle 51

aus dem Mittagsjournal vom 4. Juli 1992
Kriegsverbrechen in Ostbosnien

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Audioquelle 52

aus dem Mittagsjournal vom 8. Juli 1994
„Ethnische Säuberungen“ in Zvornik

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Direkt thematisiert wurden die Kriegsverbrechen und Lager durch serbische Freischärler in einem Beitrag des Mittagsjournals vom 20. Juli 1992 Audioquelle 53, (Mittagsjournal vom 20. Juli 1992: Beitrag 4). Der genaue Ablauf einer „ethnischen Säuberung“ in Ostbosnien wird beschrieben: zuerst werden die Leute aus ihren Arbeitsstätten entlassen, dann kommen Drohanrufe und Durchsuchungen der Wohnungen durch Uniformierte, die Menschen werden festgebunden und geschlagen, alle Wertsachen werden geraubt. In Ostbosnien wird die moslemische Bevölkerung per Flugblatt, gezeichnet vom Drina-Korps, zum Verlassen ihrer Heimat aufgefordert (Audioquelle 54, Mittagsjournal vom 20. März 1993: Beitrag 4).

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Audioquelle 53

aus dem Mittagsjournal vom 20. Juli 1992
Berichte über Gefangenenlager

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Audioquelle 54

aus dem Mittagsjournal vom 20. März 1993
Praktiken der „ethnischen Säuberungen“ in Ostbosnien

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Ein weiterer Beitrag thematisiert die Vertreibung von Kroaten aus Banja Luka (Audioquelle 55, Mittagsjournal vom 8. Mai 1995: Beitrag 13), darunter auch ein Interview mit dem Bischof von Banja Luka, Franjo Komarica, der unter Hausarrest stand und von Zerstörungen von Kirchen und Klöstern, Vertreibung bzw. Ermordung der Mönche und Ordensschwestern durch serbische Truppen berichtete (Audioquelle 56, Mittagsjournal vom 16. Mai 1995: Beitrag 11).

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Audioquelle 55

aus dem Mittagsjournal vom 8. Mail 1995
Banja Luka

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Audioquelle 56

aus dem Mittagsjournal vom 16. Mai 1995
Interview mit Bischof Komarica

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Interessant sind Stellungnahmen hoher serbischer Politiker und Militärs zum Kriegsverlauf in Bosnien, etwa des Außenministers der Republika Srpska, Aleksa Buha, der sich noch Ende Juni 1995, als sich die bosnischen Serben bereits in der Defensive befanden, siegessicher gab (Audioquelle 57, Mittagsjournal vom 27. Juni 1995: Beitrag 10). Die Moslems könnten in Bosnien nicht siegen, das wäre allein wegen der Übermacht der Serben in Bosnien unmöglich. Buha, Professor für deutsche Philosophie, wünscht sich eine territoriale Verbindung mit Belgrad und einen Staat aller Serben. Granaten auf Zivilisten kämen auch von kroatischer und bosnischer Seite, nicht nur von den Serben, verteidigte Buha die militärische Strategie der bosnischen Serben, das sei ein Bürgerkrieg.

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Audioquelle 57

aus dem Mittagsjournal vom 27. Juni 1995
Interview mit dem Außenminister der Republika Srpska

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General Momir Talić, serbischer Oberkommandierender an der nordbosnischen Front und Kommandant des Ersten Krajina Korps der Republika Srpska, das für zahlreiche Kriegsverbrechen an muslimischen und kroatischen Zivilisten verantwortlich war, leugnete jegliche Übergriffe auf kroatische und muslimische Zivilisten, wie Vertreibung oder Völkermord und verwies auf Verbrechen an Serben in Bosnien (Audioquelle 58, Mittagsjournal vom 14. Oktober 1992: Beitrag 10). Allerdings räumte Talić die Verwendung von Napalm durch seine Einheiten bei den Kämpfen ein. Sich selbst sah er als Kämpfer des christlichen Abendlandes gegen die muslimischen „Mudschahedin“, wie er die bosnischen Truppen bezeichnete, gegen die er einen Befreiungskrieg führe, diesen aber nicht angefangen habe.

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Audioquelle 58

aus dem Mittagsjournal vom 14. Oktober 1992
Interview mit dem Kommandaten des Krajina-Korps

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Im Zusammenhang mit den ethnischen Säuberungen in Bosnien sollen hier auch Lager für Kriegsgefangene und Zivilisten, etwa Omarska, Brčko, Brezovo Polje, Luka, Trnopolje (Audioquelle 59, Mittagsjournal vom 12. Oktober 1992: Beitrag 9) Manjača oder Keraterm erwähnt werden, in denen die Gefangenen meist aufgrund ihrer ethnischen Herkunft systematisch gefoltert und ermordet wurden. Die Lager unterstanden teilweise einer Zivilverwaltung und waren oft in Turnhallen, leer stehenden Fabriken oder Lagerhallen untergebracht, andere wurden von Polizei- und Militäreinheiten befehligt (Gow 2006: 370). Die Lager wurden verhältnismäßig wenig in der Radioberichterstattung behandelt, was damit zusammenhängt, dass der Zugang von Journalisten nur unter sehr schwierigen Umständen möglich war, Fakten über diese Lager oft schwer zu verifizieren waren und die Thematik von den Kriegsgegnern propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Es finden sich beispielsweise von serbischer Seite Berichte von „Konzentrationslagern“, in denen serbische Zivilisten von Kroaten und Muslimen gefangen gehalten werden, wobei die Zahl von 40.000 Gefangenen (die extrem hoch erscheint) genannt und dazu bemerkt wurde, dass sich die Zahl aber nur schwer nachprüfen lasse (Audioquelle 60, Mittagsjournal vom 5. August 1992: Beitrag 5).

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Audioquelle 59

aus dem Mittagsjournal vom 12. Oktober 1992
Lokalaugenschein im serbischen Gefangenenlager Trnopolje

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Audioquelle 60

aus dem Mittagsjournal vom 5. August 1992
Serbische Zivilisten in Lagern

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Ein anderer Beitrag behandelt  den Besuch eines britischen Fernsehteams in zwei Gefangenenlagern in Omarska in Nordbosnien, in denen kroatische und muslimische Zivilisten von serbischen Paramilitärs gefangen gehalten wurden (Audioquelle 61, Mittagsjournal vom 7. August 1992: Beitrag 4). Dem Bericht zufolge seien die Gefangenen kaum bekleidet und extrem schlecht ernährt und abgemagert gewesen. Auf Fragen, ob es Misshandlungen im Lager gäbe, antworteten Gefangene sowie der Lagerarzt extrem ängstlich und ausweichend. Der Lagerarzt gab es nach mehrmaligem Nachfragen zu. Hassan, ein Überlebender von drei Gefangenenlagern, erzählte von systematischen Schlägen mit Knüppeln und Gewehrkolben. Er beobachtete auch mehrfache Vergewaltigungen von weiblichen Häftlingen durch Wachpersonal. Häftlinge mussten Tote bergen und begraben.

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Audioquelle 61

aus dem Mittagsjournal vom 7. August 1992
Bericht aus dem Lager Omarska

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Auch die bosnischen Regierungstruppen begingen im Zeitraum von 1993–1995 während des Kampfes mit der HVO sowie bei der Rückeroberung serbisch besetzter Gebiete zahlreiche Kriegsverbrechen, wie Vergewaltigung, Folter und Massenexekutionen, was aber von der medialen Berichterstattung nur wenig beachtet wurde. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die muslimischen Bosnier von Politik und Medien viktimisiert und weniger als kriegsführende Partei wahrgenommen wurden. Dass jedoch auch muslimisch-bosnische politische Entscheidungsträger klare Vorstellungen von einem Zusammenleben von Serben und Kroaten hatten, zeigt ein O‑Ton des Verwaltungspräsidenten von Hrasnica, einer Gemeinde am Rande Sarajewos, Husein Mahmutović, im Gespräch mit den Journalisten im am 27. August 1992 ausgestrahlten Abendjournal: Er verwendet das Wort „reinigen“ im Zusammenhang mit der Eroberung der Stadt, bei der viele schwere Waffen durch die bosnischen Muslime erbeutet wurden (Audioquelle 62, Abendjournal vom 27. August 1992: Beitrag 11). Die 3.000 Serben aus Hrasnica sind zum Großteil geflohen, wurden vertrieben oder interniert. Im Keller des örtlichen Polizeireviers befindet sich ein provisorisches Gefangenenlager, wo auch Zivilisten unter unklaren Umständen festgehalten werden.

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Audioquelle 62

aus dem Abendjournal vom 27. August 1992
Bericht im Journal-Panorama über die Situation um Sarajewo

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Ein Massaker an 35 kroatischen Zivilisten in einem Dorf in Mittelbosnien erwähnt ein Beitrag vom 16. September 1993, also nach dem Bruch der bosnisch-kroatischen Allianz (Audioquelle 63, Mittagsjournal vom 16. September 1993: Beitrag 10). Die Opfer wurden von den Freischärlern in ihren Betten oder beim Frühstück überrascht. Die Täter brannten die Häuser nieder, fesselten die Leute, erstachen Kinder mit Messern oder schnitten ihnen die Kehlen durch, so ein Überlebender. Im Gegenzug starteten kroatische Verbände in Mostar eine Offensive, bei der unzählige Moslems ermordet wurden.

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Audioquelle 63

aus dem Mittagsjournal vom 16. September 1993
Massaker der bosnischen Armee

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Die kroatischen Einheiten in Bosnien vertrieben die muslimische Bevölkerung aus einer Reihe von ethnisch gemischten Orten, wie Novi Travnik, Vitez, und Busovača, und verübten dabei Massaker an der muslimischen Zivilbevölkerung etwa in Ahmići oder Stupni Do und errichteten Gefangenenlager, was aber von der ORF-Berichterstattung nicht erwähnt wurde (Rathfelder 2007: 356 f.). Ein Beitrag behandelt jedoch die elenden Lebensbedingungen muslimischer Flüchtlinge im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet, die von kroatischen Polizisten und Soldaten terrorisiert wurden, die mit MGs auf sie zielen (Audioquelle 64, Mittagsjournal vom 22. Juli 1992: Beitrag 5). Die Frauen und Kinder wurden nach Österreich gebracht, die Männer in den Kriegsdienst gezwungen oder werden als Deserteure behandelt. „Hunde leben besser“, so ein festgehaltener Bosnier in Bosanski Brod. Die Männer berichten, keinen Schlafplatz und kein Essen zu haben.

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Audioquelle 64

aus dem Mittagsjournal vom 22. Juli 1992
Flüchtlinge in Bosanski Brod

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Auf Seiten der kämpfenden Soldaten konnte man in der Berichterstattung immer wieder hasserfüllte Wortmeldungen vernehmen, die von allen Seiten der Kriegsteilnehmer kamen und sich in ihrem Inhalt wenig voneinander unterschieden: So meinte Ivo, ein kroatischer, von serbischen Tschetniks verwundeter Soldat, im Spital zum Reporter: „Ich will nach dem Krieg weiter hier in Slavonski Brod leben, nachdem wir die Serben eliminiert haben.“ (Audioquelle 65, Abendjournal vom 7. September 1992: Beitrag 10). Im selben Spital werden auch serbische Freischärler behandelt. Das Spital selbst ist Ziel häufigen Granatbeschusses. Einige Tage nach dem Ö1-Bericht wurde es abermals beschossen und 14 Menschen dabei getötet.

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Audioquelle 65

aus dem Abendjournal vom 7. September 1992
Bericht im Journal-Panorama über das Spital von Slavonski Brod

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In Pale, einem kleinen Ort nahe Sarajewo, in dem sich das militärische Hauptquartier der bosnisch-serbischen Armee befindet, traf die ORF-Journalistin Veronika Seyr serbische Soldaten, die sich hier von ihren Kampfeinsätzen erholten (Audioquelle 66, Mittagsjournal vom 7. September 1992: Beitrag 8). Ein serbischer Scharfschütze erzählt, dass seine Angehörigen von Moslems in einem Stadion in Sarajewo gefangen gehalten werden. Die serbischen Tschetniks, die beide aus Sarajewo stammen, erzählen von ihrem Hass auf den bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović und seine „Fanatiker“, die einen „Dschihad“ anstreben würden. Im Stadtteil Grbavica des serbisch dominierten Sarajewo ist kein Haus heil geblieben. Die serbischen Soldaten dort machen einen verwahrlosten Eindruck und tragen unterschiedliche Uniformen und äußern sich feindselig gegenüber den Bosniern.

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Audioquelle 66

aus dem Mittagsjournal vom 7. September 1992
Serbische Tschetniks in Pale

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Wie das Zusammenleben in Orten, die von ethnischen Säuberungen besonders betroffen waren, nach dem Ende der Kampfhandlungen ablief, beleuchtet ein Journal-Panorama über Brčko in Nordbosnien (Audioquelle 67, Abendjournal vom 26. Februar 1997: Beitrag 12). Brčko liegt an der Save in Nordbosnien (Republika Srpska). Moslems und Kroaten wurden zu Beginn des Krieges 1992 vertrieben und ermordet. Im Frühjahr 1992 kam es zu den ersten Massenmorden. Berüchtigt war das Gefangenenlager am Save-Hafen, in dem bis zu 3.000 Leute den Tod fanden. Ein aus Jajce geflohener Serbe erzählt, er würde nun in einem kroatischen Viertel wohnen. Wo die Leute von früher seien, wisse er nicht. „Wir, die Leute, sind am Krieg nicht schuld. Wir haben alles geteilt und sind gut miteinander ausgekommen, haben die Feste der anderen besucht.“ Schuld seien die Politiker der Großmächte, denen es nur darum gehe, sich alles aufzuteilen. Es habe so viele Verbrechen während des Krieges gegeben, dass das Bedürfnis nach Rache und Abrechnung noch lange vorherrschen werde. Die Flüchtlinge wohnen in den von den Moslems verlassenen Häusern und wollen nichts renovieren, da es unsicher ist, ob sie bleiben können. „Jugoslawien ist zerbrochen“, so der serbisch-orthodoxe Priester Slavko Maksimović, „wie hätte dann Bosnien ganz bleiben sollen?“

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Audioquelle 67

aus dem Abendjournal vom 26. Februar 1997
Journal-Panorama: Flüchtlinge in Brčko

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11. Alltag im Krieg

„Die Menschen essen Gras“

Besonderes Augenmerk wurde durch die ORF-Berichterstatter auf Kriegsflüchtlinge gelegt, die entweder von Soldaten der gegnerischen Kriegspartei oder Angehörigen anderer ethnischer Gruppen vertrieben worden waren oder aufgrund von Angst um die eigene Sicherheit von selbst geflohen waren. Hier ist zwischen mehreren Kategorien von Flüchtlingen zu unterscheiden: denen, die sich innerhalb der späteren Grenzen des eigenen Staates ein neues Zuhause suchten, also sogenannte „Binnenflüchtlinge“ waren, Flüchtlingen, die in ihr kriegsführendes „Mutterland“ flohen (etwa Serben oder Kroaten aus Bosnien, die im Laufe des Bosnienkrieges ihre Heimat Richtung Serbien oder Kroatien verlassen mussten), sowie Flüchtlingen, die von der Regierung in kürzlich eroberten Gebieten angesiedelt wurden, aus denen man die autochthone Bevölkerung bereits vertrieben hatte, was zur Konsolidierung der durch „ethnische Säuberungen“ realisierten Gebietsansprüche beitrug.

Bei zahlreichen Reportagen, Features und Interviews blieben diese Menschen häufig aus Angst oder aus Flüchtigkeit anonym, immer wieder war lediglich ein Vorname bekannt. Was diese Menschen oft zwischen Granatenhagel und Feuerpause erzählen, sind ihre persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen, die sich unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit der Betroffenen sehr ähnlich sind: Entbehrung und Hunger, tägliches Anstehen um Lebensmittel und Wasser, schlechte medizinische Versorgung, Schwarzmarktgeschäfte, Sorge um Familienmitglieder, die im Krieg als Soldaten kämpfen, verschleppt wurden und deren Verbleib unklar ist, Verwundung und eigener körperlicher Verfall sowie tendenziell eine De-Personalisierung der Mitglieder der gegnerischen ethnischen Gruppe, auch wenn man die betreffenden Personen schon in der Zeit vor dem Krieg gekannt und zu ihnen freundschaftliche, kollegiale oder nachbarschaftliche Beziehungen gepflegt hatte.

Ein weiteres wichtiges Narrativ ist das erlebte Leid durch die gegnerischen Freischärler und Soldaten, unter denen sich häufig Nachbarn oder Bekannte befanden. Anschaulich fängt diese Atmosphäre der Belagerung und Hoffnungslosigkeit ein Beitrag über den Polizisten und Hobbyfunker Emir Mahmutović in Zagreb ein, der in den Enklaven Bihać und Goražde eingeschlossenen Menschen hilft, mit ihren Verwandten im Ausland Kontakt zu halten (Audioquelle 68, Abendjournal vom 2. März 1995: Beitrag 12). Die Menschen berichten von Morden, die von den serbischen Nachbarn an Moslems verübt wurden, dem eingeschlossen-Sein und von verletzten Menschen, die man aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung nicht retten kann. Im Beitrag werden Briefe eingeschlossener Menschen verlesen; sie berichten von Nächten in Kellern, Hunger, Träume von Essen, Gewalt, Entfremdung und dem Schmerz über die Trennung von der Familie.

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Audioquelle 68

aus dem Abendjournal vom 2. März 1995
Journal-Panorama: Das Ohr nach Goražde

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Eine besonders eindrucksvolle Quelle ist ein Interview mit Sergej Princip, einem Nachfahren des Attentäters von Sarajewo Gavrilo Princip (Audioquelle 69 und 70, Abendjournal vom 28. Juli 1993: Beitrag 12). In dem Beitrag wird das Zusammenleben der Ethnien im kulturell vielschichtigen Bosnien sehr anschaulich beschrieben. Princip, 42 Jahre, Journalist, floh 1992 aus Sarajewo nach Wien. Princip, bosnischer Serbe aus Sarajewo sieht sich als Bosnier und ist ein entschiedener Gegner des Krieges und der serbischen Politik. Er befürchtet aber, dass er das kulturell vielschichtige Bosnien so nie wieder vorfinden werde und glaubt, dass er auf der Seite der Verlierer in diesem Krieg stehen werde, weil er sich keiner Nation zugehörig fühle. In Österreich bekam er aufgrund seiner serbischen Herkunft oder seines Nachnamens nie Ressentiments zu spüren. Die Leute seien einfach über die serbische Politik entsetzt, damit habe er aber kein Problem. Gerade aufgrund seiner multiethnischen Identität werde Sarajewo in den Augen der militärischen Akteure Ziel der Zerstörung zugunsten einer ethnisch homogenen Stadt, die jede Seite für sich beansprucht. Princip betont das Stadt-Land-Gefälle in Bosnien: während die Städte wie Sarajewo, Bihać, Jajce oder Srebrenica ethnisch gemischt seien, präsentiere sich daneben eine eigene ländliche Mentalität, die abgeschlossener sei: am Land gibt es serbische, kroatische, muslimische Dörfer, die jedes für sich blieben und ethnisch segregiert seien. Selbst dort, wo die Dörfer ethnisch gemischt sind, würden die einzelnen Gruppen in unterschiedlichen Stadtteilen leben. So ist Bosnien zwar ethnisch und kulturell vielfältig, am Land, das den größten Teil der Republik ausmacht, sind die Ethnien aber voneinander getrennt.

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Audioquelle 69

aus dem Abendjournal vom 28. Juli 1993
Journal-Panorama: Sergej Princip über Bosnien

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Audioquelle 70

aus dem Abendjournal vom 28. Juli 1993
Journal-Panorama: Sergej Princip über die künftige Aufteilung Bosniens

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Besondere Prominenz nahmen Berichte aus dem belagerten Sarajewo ein: so schildert ein Abendjournal vom 11. Dezember 1992 aus dem seit sieben Monaten belagerten Sarajewo den Beschuss durch Splittergranaten und die Lage der eingeschlossenen Bevölkerung (Audioquelle 71, Abendjournal vom 11. Dezember 1992: Beitrag 5). Die Menschen essen nur Reis und Nudeln, leiden großen Hunger und frieren, weil die Heizungen nicht funktionieren oder es kein Heizöl gibt. Obst oder Milch gibt es seit Monaten nicht mehr. Das Angebot auf den Märkten ist dürftig: Improvisierte „Öfen“ aus Wellblech sind für 300 Mark zu haben. Eine Portion verwelkter Kohlblätter kostet eine Monatsrente. In einem Geschäft sieht der Reporter Seife, Zahnpasta, Hemden und Fernseher. Ein Kilo Zucker kostet zwei Monatsrenten. Auch die Wälder sind fast abgeholzt, Brennholz ist fast so teuer wie Gold und die Menschen verheizen ihre Parkettböden. Auch Kinder werden von den serbischen Belagerern beschossen. Dieser Eindruck von Gewalt setzt sich auch in den Köpfen der Kinder fort, die die propagandistische Sprechweise bereits verinnerlicht haben. Ein bosnisches Kind meint: „Wir müssen uns vor der 5. Kolonne der Tschetniks schützen. Das sind Tschetniks, die hier leben und sich als Zivilisten tarnen. Wenn sich Leute wo versammeln, geben sie den Tschetniks Zeichen, die dann Granaten schicken“. Eine Frau bittet den Reporter Thomas Kruchem, ihr Kind nach Österreich mitzunehmen, damit es wenigstens zu essen bekommt. Der bosnische Wirt Hadžić meint in dem Beitrag, früher habe er mit den Menschen, die nun die Stadt belagern, nächtelang zusammen gesessen und getrunken. Er dachte sie seien seine Freunde, dabei seien sie in Wahrheit die ganze Zeit über seine Feinde gewesen. In den Spitälern operiert man ohne Betäubungsmittel, man hat keine Antibiotika, kein Verbandsmaterial. Aus Sarajewo flüchten nicht nur unzählige Menschen, gleichzeitig wollen Leute aus dem Umland in die Stadt. Die alte Frau Secira Abadžić, Flüchtling aus Širokača, meint, dieser Krieg sei schlimmer als der Zweite Weltkrieg. Da sei Sarajewo nicht so bombardiert worden wie jetzt. Früher habe man mit Serben Kaffee und Schnaps getrunken, sich gegenseitig besucht, es habe keinen Hass gegeben. Nun, so die Großmutter, kenne sie kaum noch Serben. Die Leute seien sehr nervös geworden seit dem Krieg, streiten sich schnell und sind verwirrt, so ihre Tochter Sadeta. Ruzmir, ihr Sohn, zu seinen Spielzeugpanzern: „Das ist doch nur Spielzeug. Ist es nicht besser, damit zu spielen, als wie die Erwachsenen Granaten zu werfen?“ Früher zu Hause hätten sie oft Gewehre aus Holz geschnitzt, Barrikaden gebaut und „Tschetnik, Ustascha und Moslem“ gespielt. Wenn er und seine Freunde jetzt Krieg spielten, dann deshalb, um den wirklichen Krieg auszulachen. Margerita Bajčetić, eine kroatische Bewohnerin Sarajewos, erzählt von den alten Brücken Sarajewos und von ihrem serbischen Ehemann, den sie vor der Hauptpost kennenlernte. Sie hat seit Monaten ihre Wohnung nicht mehr verlassen und denkt an alte Zeiten. Der Beitrag vermittelt das Gefühl, als würde sich die alte Dame das Jugoslawien von früher in ihrer Wohnung konservieren wollen, während draußen der Krieg dieses alte Jugoslawien längst überrollt hat.

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Audioquelle 71

aus dem Abendjournal vom 11. Dezember 1992
Journal-Panorama: Bewohner Sarajewos

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Neben der Angst vor dem Beschuss durch serbische Scharfschützen waren vor allem der Hunger sowie die hohen Lebensmittelpreise und die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln Thema. Noch schlimmer als in Sarajewo, so berichtete Reporter Fritz Pesata, sei die Versorgungslage im Umland , das von jeglichen Hilfslieferungen seit Wochen abgeschlossen ist und wo die Menschen angeblich so hungern, „dass sie tatsächlich Gras essen“ (Audioquelle 72, Mittagsjournal vom 7. Juli 1992: Beitrag 4). Weitere Berichte über Sarajewo finden sich im Mittagsjournal vom 4. März 1992 (Audioquelle 73).

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Audioquelle 72

aus dem Mittagsjournal vom 7. Juli 1992
Ernährungssituation um Sarajewo

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Audioquelle 73

aus dem Mittagsjournal vom 4. März 1992
Stimmungsbild aus Bosnien

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Wie stark der Krieg in das Leben der Menschen eingriff und persönliche, soziale Beziehungen nachhaltig zerstörte, zeigen mehrere Ö1-Nachrichtenbeiträge eindrucksvoll auf. So etwa ein Bericht über das geteilte Pakrac in Slawonien, das zwischen der serbischen Republik Krajina und Kroatien geteilt war (Audioquelle 74, Abendjournal vom 27. Oktober 1993: Beitrag 9). Die serbischen und kroatischen Bewohner sind von gegenseitigen Ressentiments, Wut und Enttäuschung geprägt, die Stadt, ein ehemaliges Barockjuwel, stark zerstört. Schulen, Kirchen und der Busbahnhof wurden von serbischen Freischärlern bombardiert. Ein Kroate meint, niemand habe die Serben nach Pakrac eingeladen, sie hätten richtige Arbeit immer gescheut und seien vor dem Krieg vor allem Polizisten und Soldaten gewesen. Kroaten und Serben werfen einander Schikanen und Gewalt vor. Eine Schülerin erzählt, ihre ehemalige beste Freundin sei Serbin gewesen, zwei Monate vor Beginn des Krieges habe diese aber nicht mehr mit ihr sprechen wollen und sei nur noch mit Serben zusammen gewesen. Zuvor sei das Mädchen wie eine Schwester für sie gewesen, nun wolle sie sie nicht mehr sehen. Wenn sie einen Serben sehe, so das Mädchen, könne sie mit ihm nicht so sprechen, wie mit ihren Freunden, ihre Freunde würden auch so denken wie sie.

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Audioquelle 74

aus dem Abendjournal vom 27. Oktober 1993
Journal-Panorama: Das geteilte Pakrac

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Auch umgekehrt wirkten sich persönliche Beziehungen und Erlebnisse mit der anderen Ethnie auf Kriegsverlauf und politische Meinungen aus. Sehr stark unter dem Krieg litten auch ethnisch-gemischte Ehepaare, die sich unter dem sozialen Druck häufig trennten. So ging der serbisch-kroatische Konflikt durch ganze Familien. Dies macht das Abendjournal vom 8. Oktober 1991 unter dem Titel „Einstellung der Serben zum Krieg“ deutlich und porträtiert das bi-nationale Ehepaar Jovanka und Drago, das in Zagreb lebt (Audioquelle 75, Abendjournal vom 8. Oktober 1991: Beitrag 8). Jovanka hat einen serbischen Vater, ihr Mann Drago ist Kroate. In ihrer Familie war es nie Thema, wer Serbe oder Kroate ist, sie selbst wusste die längste Zeit nicht einmal, dass ihr Vater Serbe ist, weil es nicht wichtig war. Sie selbst fühlt sich weder als Serbin noch als Kroatin, auch die Nationalität ihres Mannes habe nie eine Rolle gespielt. Das Paar hat miteinander keine Probleme. Zweifelsohne sei es für Jovanka mit ihrem „serbischen“ Vornamen derzeit schwer, Arbeit in Kroatien zu finden. Derselbe Beitrag fängt sehr treffend die Geisteshaltung serbischer extremer Nationalisten ein und berichtet über den serbischen Sänger Aleksandr Filipovic. Filipovic singt seit Jahren nationalistische Volkslieder über die Verteidigung Serbiens und verkauft sie auf Kassette in der Belgrader Fußgängerzone unter dem Titel „Danke Gott, dass ich ein Serbe bin“ für 150 Dinar. Filipovic singt von der Verteidigung der Krajina durch die Serben, droht der „kroatischen Ustascha in Zagreb“ mit dem Tod, man werde sie „alle erschlagen“. Und weiter: „Tuđman, du Hundesohn, komm aus Deinem Nest heraus, ich habe Dich schon im Visier. Ich schände Deine Mutter“ (im Originaltext wird ein weitaus vulgäreres Wort verwendet). Die Brutalität des Liedtextes wird durch die kitschige, volkstümliche Melodie geradezu konterkariert und macht dieses Hörerlebnis grotesk und nahezu unfreiwillig komisch.

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Audioquelle 75

aus dem Abendjournal vom 8. Oktober 1991
Journal-Panorama: Serbisch-kroatische Familien im Krieg

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Die Sendungen widmeten sich aber auch dem „anderen“ Jugoslawien, etwa den massiven Demonstrationen in Belgrad zu Kriegsbeginn, sowie den Wehrdienstverweigerern. Vor allem junge Serben entzogen sich dem Kriegsdienst in der JVA, weil sie nicht kämpfen wollten und den Krieg ablehnten. So sagte ein junger serbischer Kriegsdienstverweigerer, die Serben in Kroatien würden von Belgrad manipuliert und bezweifelt, dass sich diese wirklich gegen einen Völkermord seitens Kroatiens verteidigen würden. (Audioquelle 76, Abendjournal vom 8. Oktober 1991: Beitrag 8). Der junge Mann gibt den Präsidenten Milošević und Tuđman Schuld am Krieg. Viele Serben weigern sich auch, in den Krieg zu ziehen, nicht zuletzt auch aufgrund der sehr unsanften Rekrutierungsmethoden der Armee, so ein Beitrag vom 23. September 1991 (Audioquelle 77, Mittagsjournal vom 23. September 1991: Beitrag 11). Viele junge Serben verstecken sich, protestieren gegen die Einberufung, verreisen oder tauchen unter. Sie identifizieren sich mit diesem Krieg nicht. Besonders viele verweigern sich dem Kriegsdienst in der Vojvodina, einer autonomen Region mit einer starken ungarischen Minderheit. „Das ist nicht mein Krieg, wir Jungen habe keine Schuld daran und wollen nicht in den Krieg ziehen“, so ein junger Serbe. Auch Väter und Mütter wollen ihre Söhne vor dem Krieg bewahren. Im Gegensatz dazu melden sich vor allem männliche Flüchtlinge aus Slawonien zum Militär. Sie wollen ihre Heimat zurückerobern: „Wir kämpfen nicht für Serbien, wir kämpfen für uns selbst.“ Sie wollen auch kein Großserbien wie Milošević, sondern in ihre Häuser zurückkehren. Sie fühlen sich von der Armee im Stich gelassen.

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Audioquelle 76

aus dem Abendjournal vom 8. Oktober 1991
Journal-Panorama: Serbische Kriegsdienstverweigerer

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Audioquelle 77

aus dem Mittagsjournal vom 23. September 1991
Rekrutierungsmaßnahmen in Serbien

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Weitere Beiträge beschreiben den Friedensmarsch von Frauen gegen die Volksarmee und deren Kampf gegen Kroatien in zahlreichen jugoslawischen Städten sowie die Versuche von Eltern, ihre Söhne aus der JVA herauszubekommen. (Audioquelle 78, Mittagsjournal vom 30. August 1991: Beitrag 5).

Einen aufschlussreichen Einblick in die Rolle der Medien in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien bietet das Journal-Panorama von 14. Mai 1993, in dem besonders der Einfluss der jeweiligen Regierungen, insbesondere der Präsidenten, auf das staatliche Fernsehen behandelt wird. Das Fernsehen blendet das Leid der Zivilbevölkerung weitgehend aus, Formaten, die nicht im Sinne der herrschenden politischen Klasse berichten, droht das Aus, so wie der kroatischen Zeitung „Slobodna Dalmatija“ (dt. „Freies Dalmatien“) nachdem es in einer Satire-Beilage Präsident Tuđman verspottet hatte (Audioquelle 79, Abendjournal vom 14. Mai 1993: Beitrag 14).

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Audioquelle 78

aus dem Mittagsjournal vom 30. August 1991
Demonstrationen gegen Zwangsrekrutierungen

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Audioquelle 79

aus dem Abendjournal vom 14. Mai 1993
Medienjournal: Pressefreiheit in Kroatien

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12. Flüchtlinge in Österreich

Da es im Falle der Journal-Berichterstattung wesentlich war, auch einen Österreich-Bezug zu schaffen, berichtete man über Flüchtlinge, die im Zuge des Bürgerkrieges in Österreich Zuflucht gefunden hatten. Dabei ging es in den Radiobeiträgen um die Lage der Flüchtlinge sowie immer wieder um das Verhältnis zwischen der autochthonen österreichischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen oder um deren psychische Situation (Audioquelle 80, Abendjournal vom 25. Februar 1993: Beitrag 12 sowie Audioquelle 81, Mittagsjournal vom 8. Juli 1994: Beitrag 9). Die Reportagen beschreiben die oft triste Lage der Flüchtlinge, die Sorge um die Angehörigen im Krieg, die Spannungen zwischen den Menschen in den Flüchtlingslagern sowie die Haltung der Österreicher zu den Flüchtlingen. So schildert ein Journal-Panorama die Situation im Flüchtlingslager Oggau im Burgenland und die Atmosphäre von Langeweile und Tristesse im Lager (Audioquelle 82, Abendjournal vom 1. Februar 1994: Beitrag 11). Nur wenige der Flüchtlinge haben Saisonjobs. Kontakte zu Einheimischen gibt es nur wenige, was auch der Bürgermeister der Gemeinde bestätigt und hinzufügt, es gäbe aber auch keine Probleme: „Es ist, als wären sie nicht da.“ Im Wirtshaus redet man kaum mehr über die Flüchtlinge, sie würden nicht ungut auffallen, auch wenn sie von Natur aus ein lauteres Organ hätten und ein Volksstamm seien, der laut ist, Balkan halt, sonst seien sie gute Kerle, die dankbar gewesen seien am Anfang, dann aber etwas heikler geworden seien. Zukunft hätten die Flüchtlinge hier keine, selbst die eigenen Leute müssten nach Wien pendeln. Es werde so enden, befürchtet der Wirt, dass die Allgemeinheit sie erhalten müsse.

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Audioquelle 80

aus dem Abendjournal vom 25. Februar 1993
Journal-Panorama: Bosnisches Flüchtlingsschicksal

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Audioquelle 81

aus dem Mittagsjournal vom 8. Juli 1994
Die psychische Situation bosnischer Flüchtlinge in Wien

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Audioquelle 82

aus dem Abendjournal vom 1. Februar 1994
Journal-Panorama: Das Leben bosnischer Flüchtlinge im Burgenland

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Die Diskussionen über den Krieg und welche ehemalige Teilrepublik daran schuld hatte, machten auch vor den Migranten in Wien nicht halt, wie ein Beitrag über eine Diskussion jugoslawischer Gastarbeiter in einem Wiener Wirtshaus zeigt, in dem die Anschauungen von Kroaten, Serben und Österreichern zum Krieg, seinen Ursachen und Auswirkungen sehr gut transportiert werden (Audioquelle 83, Abendjournal vom 9. September 1991: Beitrag 10).

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Audioquelle 83

aus dem Abendjournal vom 9. September 1991
Journal-Panorama: Diskussion über Krieg in einem Wiener Beisl

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Klarerweise waren die Reaktionen der österreichischen Bevölkerung sehr unterschiedlich und reichten von unglaublicher Hilfsbereitschaft und Aufopferung bis zu totaler Ablehnung der Flüchtlinge. Die meisten Beiträge behandeln das Zusammenleben von Flüchtlingen und Österreichern, so etwa die Lage von privatversorgten, meist bosnischen Flüchtlingen, die im Rahmen von Bürgerinitiativen betreut wurden, etwa in Wöllersdorf in Niederösterreich, wo die Flüchtlinge in der Kaserne und in den Häusern der Bewohner Zuflucht fanden (Audioquelle 84, Mittagsjournal vom 4. August 1992: Beitrag 5).

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Audioquelle 84

aus dem Mittagsjournal vom 4. August 1992
Flüchtlingsinitiative in Wöllersdorf

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Eine extreme, wenn auch in dieser drastischen Formulierung in der Berichterstattung keineswegs häufig erscheinende Meinung war die Wortmeldung eines unbekannten Passanten aus dem Großraum Wien auf die Frage, ob er denn Flüchtlingen aus Jugoslawien helfen oder sie bei sich zu Hause aufnehmen würde: „Ich habe den Krieg erlebt und wer ist geflüchtet? Nicht die guten Leute. Das was wir bekommen, ist in der Regel der Abschaum und ich wohne in Vöslau in der Nähe des Flüchtlingslagers. Ich habe auch in Wien eine Wohnung und könnte jemanden aufnehmen, aber ich lasse mir nicht alles zusammenhauen, was ich mir im Lauf des Lebens aufgebaut habe.“ Andere Passanten drücken ihr Mitgefühl mit den Kriegsflüchtlingen aus und zeigen sich auch bereit, Hilfe zu leisten (Audioquelle 85, Mittagsjournal vom 3. Juli 1992: Beitrag 5).

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Audioquelle 85

aus dem Mittagsjournal vom 3. Juli 1992
Straßenbefragung zu Flüchtlingen

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13. Schluss

Im Interview gab der zu Beginn dieses Beitrags erwähnte serbische Reservist und Kleinunternehmer Dragan Vojcic in einem kleinen slawonischen Dorf zu bedenken: „Jugoslawien als Land ist schon klein genug als Land in Europa. […] Die Kroaten sind unsere Nachbarn, die haben mit uns gelebt und die müssen auch weiter mit uns leben. Wir können unsere Häuser nix auf Schulter tragen und in irgendein anderes Land gehen.“ Vojcic sollte traurigerweise nur zum Teil recht behalten: weniger als vier Jahre nach diesem Interview, im Frühjahr 1995, nach der Rückeroberung der Krajina in der Operation „Sturm“ floh ein Großteil der Serben aus Slawonien oder wurde von kroatischen Militäreinheiten vertrieben. Ihre Häuser mussten sie freilich zurück lassen. (Audioquelle 1, Mittagsjournal vom 20. November 1991: Beitrag 5)

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Audioquelle 1

aus dem Mittagsjournal vom 20. November 1991
Interview mit Dragan Vojcic

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14. Verwendete Literatur

Ulf Brunnbauer, Michael Esch, Einleitung: Ethnische Säuberungen in Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert. In: Dies. Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. „Ethnische Säuberungen“ im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts. Berlin 2006. S. 7–20.

Natalija Basic, Die Akteursperspektive. Soldaten und „ethnische Säuberungen“ in Kroatien und Bosnien-Herzegowina (1991–1995). In: Definitionsmacht, S. 144–168.

Marie-Janine Calic, Die „ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien. In: Definitionsmacht, S. 125–143.

Andrea Friemann, „Brennpunkt Krajina“. Ethnische Säuberungen im Kroatien der neunziger Jahre. In: Definitionsmacht, S. 169–186.

James Gow, Strategien und Kriegsziele. In: Dunja Melcic (Hg.), Der Jugoslawienkrieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 362–376.

Zeljko Ivankovic, Dunja Melcic, Der bosniakisch-kroatische „Krieg im Kriege“. In: Dunja Melcic (Hg.), Der Jugoslawienkrieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 415–438.

Karl Kaser, Das ethnische „engineering“. In: Dunja Melcic (Hg.), Der Jugoslawienkrieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 401–414.

Michael Mann, Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung. Hamburg 2007.

Erich Rathfelder, Der Krieg an seinen Schauplätzen. In: Dunja Melcic (Hg.), Der Jugoslawienkrieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 344–361.

Matthias Rüb, Jugoslawien unter Milosevic. In: Dunja Melcic (Hg.), Der Jugoslawienkrieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 327–343.

Ferenc A. Szabo, Die demographischen Konsequenzen der „ethnischen Säuberung“ auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie Wien 2004, Bd. 4.

Philip Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa. Göttingen 2011.

15. Verwendete Ö1-Journal-Sendungen

14. Verwendete Ö1-Journal-Sendungen

Chronologische Reihung (Archiv-Signaturnummern der Österreichischen Mediathek):

Mittagsjournal vom 13.1.1990 (JM-900113)
Mittagsjournal vom 4.5.1990 (JM-900504)
Mittagsjournal vom 5.11.1990 (JM-901105)
Abendjournal vom 1.2.1991 (JA-910201)
Mittagsjournal vom 3.7.1991 (JM-910703)
Mittagsjournal vom 4.7.1991 (JM-910704)
Mittagsjournal vom 29.7.1991 (JM-910729)
Mittagsjournal vom 31.7.1991 (JM-910731)
Abendjournal vom 1.8.1991 (JA-910801)
Mittagsjournal vom 3.8.1991 (JM-910803)
Mittagsjournal vom 6.8.1991 (JM-910806)
Mittagsjournal vom 30.8.1991 (JM-910830)
Mittagsjournal vom 9.9.1991 (JM-910909)
Abendjournal vom 9.9.1991 (JA-910909)
Mittagsjournal vom 21.9.1991 (JM-910921)
Mittagsjournal vom 23.9.1991 (JM-910923)
Mittagsjournal vom 2.10.1991 (JM-911002)
Mittagsjournal vom 4.10.1991 (JM-911004)
Abendjournal vom 8.10.1991 (JA-911008)
Mittagsjournal vom 4.11.1991 (JM-911104)
Mittagsjournal vom 20.11.1991 (JM-911120)
Mittagsjournal vom 28.11.1991 (JM-911128)
Mittagsjournal vom 13.12.1991 (JM-911213)
Mittagsjournal vom 28.2.1992 (JM-920228)
Mittagsjournal vom 4.3.1992 (JM-920304)
Mittagsjournal vom 3.7.1992 (JM-920703)
Mittagsjournal vom 4.7.1992 (JM-920704)
Mittagsjournal vom 7.7.1992 (JM-920707)
Mittagsjournal vom 20.7.1992 (JM-920720)
Mittagsjournal vom 22.7.1992 (JM-920722)
Mittagsjournal vom 4.8.1992 (JM-920804)
Mittagsjournal vom 5.8.1992 (JM-920805)
Mittagsjournal vom 7.8.1992 (JM-920807)
Mittagsjournal vom 24.8.1992 (JM-920824)
Abendjournal vom 27.8.1992 (JA-920827)
Mittagsjournal vom 7.9.1992 (JM-920907)
Abendjournal vom 7.9.1992 (JA-920907)
Mittagsjournal vom 12.10.1992 (JM-921012)
Mittagsjournal vom 14.10.1992 (JM-921014)
Mittagsjournal vom 5.11.1992 (JM-921105)
Abendjournal vom 11.12.1992 (JA-921211)
Mittagsjournal vom 18.12.1992 (JM-921218)
Mittagsjournal vom 19.12.1992 (JM-921219)
Abendjournal vom 25.2.1993 (JA-930225)
Mittagsjournal vom 20.3.1993 (JM-930320)
Mittagsjournal vom 22.3.1993 (JM-930322)
Abendjournal vom 14.5.1993 (JA-930514)
Mittagsjournal vom 17.6.1993 (JM-930617)
Mittagsjournal vom 9.7.1993 (JM-930709)
Mittagsjournal vom 17.7.1993 (JM-930717)
Abendjournal vom 28.7.1993 (JA-930728)
Mittagsjournal vom 16.9.1993 (JM-930916)
Mittagsjournal vom 23.10.1993 (JM-931023)
Abendjournal vom 27.10.1993 (JA-931027)
Mittagsjournal vom 7.12.1993 (JM-931207)
Abendjournal vom 1.2.1994 (JA-940201)
Abendjournal vom 7.4.1994 (JA-940407)
Mittagsjournal vom 8.7.1994 (JM-940708)
Mittagsjournal vom 24.9.1994 (JM-940924)
Abendjournal vom 2.3.1995 (JA-950302)
Mittagsjournal vom 8.5.1995 (JM-950508)
Mittagsjournal vom 16.5.1995 (JM-950516)
Mittagsjournal vom 27.6.1995 (JM-950627)
Mittagsjournal vom 10.7.1995 (JM-950710)
Mittagsjournal vom 13.7.1995 (JM-950713)
Mittagsjournal vom 19.7.1995 (JM-950719)
Mittagsjournal vom 21.7.1995 (JM-950721)
Mittagsjournal vom 22.7.1995 (JM-950722)
Mittagsjournal vom 5.8.1995 (JM-950805)
Mittagsjournal vom 7.8.1995 (JM-950807)
Mittagsjournal vom 11.8.1995 (JM-950811)
Mittagsjournal vom 12.8.1995 (JM-950812)
Mittagsjournal vom 16.8.1995 (JM-950816)
Mittagsjournal vom 12.7.1996 (JM-960712)
Abendjournal vom 26.2.1997 (JA-970226)
Abendjournal vom 10.4.1997 (JA-970410)