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Inhalt
Judith: Andrea Eckert, Holofernes: Ingold Wildenauer, Ephraim: Thomas Evertz, Achior: Günther Wiederschwinger, Samuel: Fritz Holzer, Enkel Samuels: Werner Wawruschka, Ammon: Wolf Dähne, Hosea/Gesandter Lybiens: Wolfgang Klivana, Ben: Wolfgang Lesky, Assad: Alfred Rupprecht, Daniel: Andreas Schlager, Samaja/Bote: Klaus Rohrmoser, Der Älteste: Peter Uray, Erster Priester/Gesandter Mesopotamiens: Peter Vilnai, Zweiter Priester: Harald Sommer, Oberpriester: Uwe Falkenbach, Kämmerer: Ronald Seboth
Was kann heute an „Judith“ – diesem von Nestroy 1849 gnadenlos parodierten Schulbuchklassiker, der bis heute selten gespielt wird – interessieren? Sicher nicht in erster Linie die Schein-Aktualität, die das Stück durch den Golfkrieg gewonnen hat. Wenn auch der schrankenlose, menschenverachtende Machtanspruch des Holofernes, Phantasieprodukt eines deutschen Bürgers des Vormärz, durch die jüngsten Ereignisse wieder eine Art Beglaubigung erfahren hat. Doch daß diese Übermenschen aus den Köpfen in die Wirklichkeit überspringen können, wissen wir spätestens seit Hitler.
Was in „Judith“ so präzise und überzeitlich aktuell abgehandelt wird wie in kaum einem anderen Drama, ist die Situation des Individuums, das, aus religiösen und gesellschaftlichen Zusammenhängen entlassen, selbst den Grad und die Art seiner Bindungen definieren, selbst Sinn schaffen muß. Judith und Holofernes sind hybride Übermenschen, weil sie Außenseiter sind. Durch eigene Kraft oder Geschick aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang ausgestoßen, in die Individualität gezwungen, findet das männliche Individuum nur in der Selbstvergottung, das weibliche Individuum nur in der göttlichen Berufung Lebenssinn. Doch in einer Zeit, in der die Götter von den Altären gestoßen werden, in der das Eingreifen des einen Gottes unsicher geworden ist, muß dieser Lebenssinn eine unsichere, täglich neu zu erkämpfende Zielvorstellung bleiben, werden mit dem Sinn auch alle Motive und Beziehungen unsicher und schwankend. Hebbel erfährt und macht deutlich, daß „das Leben als Vereinzelung, die nicht Maß zu halten weiß, die Schuld nicht bloß zufällig erzeugt, sondern sie notwendig mit einschließt und bedingt“, aber auch, „daß die Schuld nicht erst aus der Richtung des menschlichen Willens entspringt, sondern unmittelbar aus dem Willen selbst, aus der starren, eigenmächtigen Ausdehnung des Ichs“.
Hebbel erzählt nicht, wie die Dichter der Aufklärung und der Klassik, von Triumph und Untergang des Individuums in einer hierarchisch geordneten Gesellschaft, er erzählt vielmehr von der Not, Einsamkeit und existentiellen Verzweiflung des Individuums in einer gott- und wertelosen Welt. Er schuf in „Judith“ ein eher todtrauriges als tragisches Stück, in dem sich unsere eigene Verzweiflung wiedererkennen kann.
Premiere [15.09.1991]