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Inhalt
In Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ tritt ein moderner Charakter in die Märchenwelt des Wiener Zaubertheaters. Rappelkopf ist auf der Flucht vor sich und seinen Zeitgenossen, weil er sich und die Zeitgenossen erkannt hat. In ihm hat Raimund seine eigene gespaltene Persönlichkeit bis ins psychologische Detail getroffen. Sein Widerstand gegen die Welt ist ebenso berechtigt wie überzeichnet. Als Kunstfigur kann er Dinge aussprechen, die die Erkenntnisse der Psychoanalyse vorwegnehmen. Er versucht, sich selbst aus der Welt zu schaffen, indem er symbolisch sein Spiegelbild zerschlägt. Aber ein Spiegel ist nicht nur Symbol, die Glassplitter des wirklich zerschlagenen Spiegels schneiden ins Fleisch, und Blut strömt aus Rappelkopfs zerschnittener Hand. Der Realismus dieser Verzweiflungstat erhöht ihre Phantastik; Wahnwelt und Wirklichkeit stoßen zusammen, und es setzt buchstäblich Scherben. Aber statt sich von der Welt tatsächlich zu befreien, trägt Rappelkopf nur eine Schramme an der Hand davon: Diese Parodie einer pathetischen Geste ist die Quintessenz von Raimunds tragischer Komik.
Rappelkopf, der mit aller Welt zerfallene Menschenfeind, setzt die Reihe jener Gestalten und Gestaltungen fort, die von Menander über Shakespeare, Molière und Goldoni schließlich zu Schiller und Raimund führen. Das Problem des sich – ob nun zu Recht oder Unrecht – von seiner Umwelt verfolgt Fühlenden, die Problematik der aus der Gemeinschaft ausbrechenden Asozialen, die oft erlebte Überdankbarkeit jener, denen Wohltat zuteil geworden, ihrem Wohltäter gegenüber, rief in allen Zeitaltern und Regionen nach dichterischer Gestaltung. Der griechische Dichter Menander schuf im vierten vorchristlichen Jahrhundert seine Komödie „Syskolos“, was Menschenfeind heißt. Shakespeare schrieb seinen von grandioser Dämonie durchpulsten „Timon von Athen“ (um 1600), der – nachdem er sich von der Schändlichkeit seiner Freunde überzeugt hat – alle noch einmal zu einem fingierten Festmahl in sein Haus lädt, bei dem nur verdeckte Schüsseln, mit Wasser gefüllt, aufgetragen werden, die er, nachdem alles versammelt ist, seinen Gästen hohnvoll an den Kopf werfen läßt. Molière schuf seinen „Misanthrop“, in welchem er Alceste, den Titelhelden, der mit unabdingbaren idealen Forderungen durchs Leben geht und somit enttäuscht werden muß, sich von der Menschheit in die Einsamkeit zurückziehen läßt. So hat also das 16. und 17. Jahrhundert durch einen englischen und französischen Dichter seinen Menschenfeind der Bühne geschenkt. Nun kam im 18. Jahrhundert Goldoni, der von Voltaire den ehrenden Beinamen eines „italienischen Molière“ erhalten hatte, als Hofdichter nach Versailles und schrieb 1770 – als Dreiundsechzigjähriger – für die Hochzeitsfeierlichkeiten von Marie Antoinette mit Ludwig XVI. seinen „Bourru bienfaisant“, was man etwa mit „wohltätigem Murrkopf“ übersetzen könnte. Goldoni äußert sich in einem Gespräch mit Jean Jacques Rousseau über dieses, sein erstes in französischer Sprache verfaßtes Werk: „Ich hatte das Glück gehabt, in der Natur einen Charakter zu entdecken, der für die Bühne neu war. Einen Charakter, dem man auf Schritt und Tritt begegnet und der noch der Aufmerksamkeit der alten und neuen Dichter entgangen ist. Die Wohltätigkeit ist eine Tugend der Seele, der Jähzorn ein Fehler des Temperaments. Beides vereint sich in einer Person. Nach diesen Grundsätzen habe ich meinen Plan entworfen, und mein „Murrkopf“ – er wurde in späteren Übersetzungen wie Raimunds Hauptgestalt einfach „Rappelkopf“ genannt – wird erträglich, weil er ein Mann von Empfindung ist …“ (Gustav Pichler)
Astragalus: Rudolf Jusits, Rappelkopf: Wolfgang Hübsch, Sophie: Vera Borek, Malchen: Alexandra Braun, Silberkern: Alfred Rupprecht, August Dorn: Günter Franzmeier, Lischen: Franziska Sztavjanik, Habakuk: Toni Böhm, Sebastian: Alfred Rupprecht, Sabine: Inge Altenburger, Küchengehilfin: Katharina Manker, Glühwurm: Alfred Rupprecht, Marthe: Inge Altenburger, Salchen: Katharina Manker, Victorinens Geist: Katharina Manker, Wallburgas Geist: Inge Altenburger, Emerentias Geist: Gabriela Bruckner
Sammlungsgeschichte
Sammlung Volkstheater
Art der Aufnahme
Theatermitschnitte
Technische Anmerkungen
Videodigitalisierung an der Österreichischen Mediathek