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[https://emmywerner.at/volkstheater/daten/eingang/index.html] Penthesilea ist wohl die exzessivste, die extremste Frauengestalt der Theaterliteratur. Die kriegerische Amazonenkönigin, den Männern in keiner Beziehung unterlegen, zerbricht am Konflikt zwischen dem Gesetz ihres Frauenstaats, das auch ihr inneres Gesetz ist, und ihrer leidenschaftlichen Liebe zum Feind Achill. Ein wildes, grausames Bild der Geschlechter-beziehungen als Kampf um Sieg und Beherrschung und eine zarte, traurige Liebesgeschichte, erzählt in Kleists unvergleichlicher Sprache.
Die Geschichte der Amazonenkönigin Penthesilea und ihr Kampf gegen den Griechenhelden Achill ist in mehreren antiken Texten überliefert, doch so wie Kleist sie beschreibt nicht. Die Leidenschaft, die zwei ebenbürtige, autonome, und doch jeweils den Regeln und Gesetzen ihrer unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und Geschlechterrollen verpflichtete, verhaftete Menschen füreinander empfinden, ist Kleists ganz eigene Versuchsanordnung. Die Vorstellung von der selbständigen, kriegerischen Frau, die Männer für ihre Zwecke benutzt, wie sonst nur Männer Frauen benutzen, hat von der Antike bis zu den Zeitgenossen des Dichters und lange darüber hinaus Schauder, Schrecken oder Befremden ausgelöst. Heute ist sie uns näher, die Versuchsanordnung begreiflicher. Doch die emotionalen Abgründe, in die der Konflikt zwischen Liebe und Selbstbestimmung die Titelheldin stürzt, und die fast undenkbare Tat, zu der er sie treibt, ihre Entmenschlichung, lösen immer noch Schauder, Schrecken und Befremden aus. „Penthesilea“ bleibt eine Herausforderung.
„Soviel ich weiß, gibt es in der Natur / Kraft bloß und ihren Widerstand, nichts Drittes“. Dieses logische Axiom äußert Odysseus ziemlich zu Beginn des Stücks. Wenn die Amazonen sich in die Schlacht zwischen Griechen und Trojanern auf keiner bzw. allen beiden Seite einmischen, hebeln sie die Griechenlogik, die Kriegslogik, die Männerlogik aus und erzeugen Fassungslosigkeit, Schock. Doch dieser Schock ist nur ein Vorspiel. Kleist zeigt uns eine Welt, die aus Sicht der Griechen aus den Fugen geraten ist, bevor er uns mit Gefühlen konfrontiert, die die Welt aus Sicht der Amazonen aus den Fugen geraten lassen, die auch ihre Kriegslogik aushebeln, die alle Grenzen sprengen, zuletzt sogar die des Humanen. Staunen und Fassungslosigkeit herrschen bei Griechen und Amazonen, als Penthesilea und Achill sich aus Leidenschaft füreinander über alle Gesetze hinwegsetzen, alle Spiel- und Kampfregeln brechen. Die „unbegreifliche“ Penthesilea und der „unbegreifliche“ Achill – wie „zwei Donnerkeile“ „begegnen beide sich“, wie „zwei Sterne“ „schmettern“ sie aufeinander ein. Die Beobachter greifen zum Bild einer kosmischen Katastrophe, um die Begegnung der beiden Liebenden zu beschreiben. Ist diese katastrophale Leidenschaft, wie manche Interpreten meinen, ein Sinnenrausch, eine sexuelle Zwangsvorstellung, in der Liebe und Tod, Erfüllung und Vernichtung unauflöslich miteinander verbunden sind? Penthesileas Verwechslung von Küssen und Bissen scheint darauf hinzudeuten. Doch die einzige nicht-kriegerische Begegnung Penthesileas und Achills ist eine voller Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Neugier auf das Gegenüber. Erst als der Krieg die Liebenden wieder einholt, erweist sie sich als ortlos und also nicht lebbar. „Nach Phtia, Kön’gin.“ fordert Achill, „O! – Nach Themiscyra! O! Freund“ Nach Themiscyra, sag ich dir.“ entgegnet Penthesilea. Der Grieche kann sich eine mehr als flüchtige Liebesbeziehung nur mit der Ehefrau vorstellen, die ihm in seine Heimat folgt, doch eine Amazone kann nicht ‚folgsam’ leben. Sie kann sich Erfüllung nur mit einem Mann vorstellen, den sie als Gefangenen in ihre Heimat führt. Nur dem besiegten Mann kann sie trauen.
In Kleists Trauerspiel leben Frauen und Männer in zwei Welten, die nichts verbindet, als Kampf und Krieg. Und eine dritte gibt es nicht. Odysseus’ logisches Axiom gilt letztlich auch für die Geschlechterbeziehungen: Kraft und Widerstand, „nichts Drittes“. Man könnte „Penthesilea“ als Warnung vor und Absage an den Geschlechterkampf lesen, vorausgesetzt es gäbe einen dritten Ort, eine gemeinsame Welt.
Andrea Eckert (Penthesilea), Andreas Patton (Achill), Vera Borek (Oberpriesterin), Gabriela Bruckner (Amazone), Janina Burgmer (Mädchen), Julia Cencig (Prothoe), Thomas Evertz (Diomedes), Rainer Frieb (Odysseus), Katharina Hohenberger (Arsinoe), Ines Kratzmüller (Mädchen), Jaschka Lämmert (Erstes Mädchen), Vivien Löschner (Meroe), Raimund Merker (Hauptmann), Erika Mottl (Oberste), Alfred Rupprecht (Oberst), Piroska Szekely (Asteria), Stefan Wilde (Grieche)
Sammlungsgeschichte
Sammlung Volkstheater
Art der Aufnahme
Theatermitschnitte
Technische Anmerkungen
Videodigitalisierung an der Österreichischen Mediathek