Mitwirkende:
Stuhlpfarrer, Gregor [Gestaltung]
, Euba, Matthias [Sprecher/in]
Datum:
2020.11.12 [Sendedatum]
2020 [Jahr des Copyright]
Schlagworte:
Gesellschaft
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Dokumentation
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Gesundheitswesen und medizinische Versorgung
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TV-Mitschnitt
Typ:
video
Inhalt:
[Senderinformation] Dr. Friedrich Ritter gehört zu einer aussterbenden Spezies. Er ist Landarzt in Gasen in der Steiermark. Tag und Nacht erreichbar, auch am Wochenende. Er impft die Kleinen in der Schule, versorgt Verunglückte, kommt zu Sterbenden auf abgelegene Höfe. In einigen Jahren geht er in Pension.
Nachfolge wird nur schwer zu finden sein
Viele Jungärzte wollen sich diese „Dauerverfügbarkeit“ am Land nicht mehr antun. Hier sollen Primärversorgungszentren mit mehreren Fachärzten und medizinischen Personal wie etwa Physiotherapeuten Abhilfe schaffen. Diese Zentren, derer es noch viel zu wenige gibt, sollen auch die Spitäler entlasten. Warum das jedoch noch nicht so funktioniert wie gedacht, berichtet der ärztliche Leiter des Primärversorgungszentrum Weiz Dr. Herbert Ederer.
Konkurrenz zwischen niedergelassenem Bereich und Spitälern
Während der niedergelassene Bereich von der Krankenkasse über die Beiträge finanziert wird, kommt das Geld für die Krankenhäuser vielerorts von Ländern und Bund, ist also steuerfinanziert. „Solange es diese Zweigleisigkeit gibt, wo es die Krankenkasse lieber hat, dass die Patienten ins Spital gehen, und das Land es lieber hat, dass die Patienten ins Primärversorgungszentrum gehen, solange wird sich an der Konkurrenz zwischen niedergelassenem Bereich und Spitälern nichts ändern“ sagt der betroffene Primärversorgungszentrums-Leiter Herbert Ederer.
„Ihr seid zu teuer, es muss weniger werden“
Die Kosten des Gesundheitssystems werden oft kritisiert. „Wir geben in Österreich mit 10,3% vom BIP für Gesundheit weniger aus als Deutschland oder die Schweiz und haben ein durchaus vergleichbares Gesundheitssystem,“ verteidigt sich Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres. Neben der segmentierten Finanzierung wurden vom Rechnungshof vor allem die Kosten des Gesundheitssystems immer wieder kritisiert, speziell im Spitalsbereich. Doch in Zeiten der Pandemie hat sich unsere vergleichsweise gute medizinische Infrastruktur, das Hausärztenetz, die Spitäler, die hohe Intensivbetten-Quote mitsamt niedriger Covid-19-Mortalität, gut bewährt. „Ich erlebe es seit gut 30 Jahren, dass jemand kommt und sagt: „Ihr seid zu teuer, es muss weniger werden“ sagt Dr. Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung am Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien
Das Gespräch mit dem Patienten wird finanziell am Geringsten abgegolten
Viele Patienten – das kennt auch Frau Dr. Daniela Kasparek, eine der letzten Kinderärztinnen mit Krankenkassenvertrag in Wien-Ottakring, einem Bezirk mit über 100.000 Einwohnern. An Spitzentagen werden bis zu 300 Kinder behandelt. Das setzt eine perfekte Organisation voraus. „Meine Aufgabe besteht hautsächlich in medizinischer Beratung. Aber das Wichtigste, eben die Zeit für das Gespräch mit dem Patienten, wird finanziell von der Krankenkasse am Geringsten abgegolten.“ meint sie im Interview mit Doku-Gestalter Gregor Stuhlpfarrer.
Viele Jungärzte gehen nach ihrer Ausbildung ins Ausland
Einer der das getan hat ist der Wiener Theodor Fischlein, mittlerweile Leiter der Herzchirurgie in Nürnberg und einer der besten Herzspezialisten Deutschlands. Seine Gründe erläutert er in der Doku. Auf der anderen Seite wandern Ärzte aus dem Ausland zu, auch Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Das jedoch behebt den bevorstehenden Ärztemangel auf Grund künftig hoher Pensionierungsraten nicht.
Wer in Österreich ärztliche Leistungen braucht bekommt sie auch
Ist nur die Frage wie lange Frau oder Mann auf einen Termin warten müssen. Die Wartezeiten werden länger, eine Patientin berichtet, dass sie zwei Monate auf die erste Schmerztherapie auf Krankenkasse warten musste. Wochen- oder monatelange Wartezeiten treiben immer mehr Patienten in die Spitalsambulanzen. Auch Versorgungslücken nehmen zu, vor allem im Facharztbereich. Daher flüchten Jene, die es sich leisten können, in Privatordinationen. Wer mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit und geringere Wartezeiten will, wer dafür auch bereit ist mehr zu zahlen, wechselt zum Wahlarzt. Das bringt Vorteile für Arzt und Patienten. „Wir haben in Österreich rund 3 Millionen Menschen mit einer Kranken-Zusatzversicherung. Das führt zwingend zu Ungerechtigkeiten, zum Beispiel im Spital mit der „Sonderklasse“, sagt Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer.
Unser Gesundheitssystem garantiert Beschäftigung für Hunderttausende Menschen
Es ist mehr als nur ein Kostenfaktor, mehr als nur ein Parameter für Wirtschaftlichkeit. Es ist ein zentrales Element für soziale Stabilität und Solidarität im Land. Gleichzeitig auch eine Wachstumsbranche, denn die Zahl der chronisch Kranken nimmt zu und damit die Aufwendungen für Rehabilitation, Kuren und andere Behandlungskosten. Investieren wir zu wenig Geld in die Prävention, in die Vorbeugung, die letztlich billiger kommt als langwierige Behandlungen? Die „Krankenversorgung in rot-weiß-rot“ kann sich im europäischen wie internationalen Vergleich zwar sehen lassen, trotzdem wird sie zunehmend zur Baustelle.
Verschärft durch Corona droht ein finanzieller Kollaps
Die kontinuierlich steigenden Zahlen der Zusatzversicherten lassen vermuten, dass das Vertrauen in das staatliche Gesundheitswesen eingeschränkt ist. Die Finanzierung ist von der Wirtschaftsleistung des Landes und der Zahl seiner Beschäftigten abhängig. Doch die steigenden Arbeitslosenzahlen reduzieren die Krankenkassenbeiträge und Partikularinteressen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene fördern nicht selten Ineffizienz und den Mangel an Steuerungsentscheidungen für die Zukunft.
Gesundheit geht uns alle an
Was alles aus der Sicht von Patientinnen und Patienten von Ärzten und Ärztinnen von Krankenkassen und Gesundheitsökonomie geschehen könnte, um die Systemzufriedenheit zu steigern, thematisiert Gregor Stuhlpfarrer in seiner spannenden „Menschen & Mächte“ Doku. Gesundheit geht uns alle an. Und gesund wollen wir ja alle lange bleiben. Gerade auch in Zeiten von Covid 19 hat das auch mit Eigenverantwortung zu tun.