Paco de Lucia - Die sechs Saiten meines Lebens
Mitwirkende:
Huemer, Michael [Moderation]
, Lucia, Paco de [Gefeierte Person]
Datum:
2014.06.15 [Sendedatum]
Schlagworte:
Musik ; U-Musik
;
Unterhaltung
;
Instrumente - Gitarre
;
Portrait
;
Radiosendung-Mitschnitt
Typ:
audio
Inhalt:
Ende der Blasmusiksendung. Lust auf´S Leben (21-22 Uhr): Thema: Der Gitarrenvirtuose Paco de Lucia
,
Radiopreis für Hommage an Paco de Lucia. Zum 17. Mal wurde Donnerstagabend der „Radiopreis der Erwachsenenbildung“ im Wiener Radiokulturhaus vergeben. In der Sparte Kultur hat Michael Huemer vom ORF OÖ mit seiner Hommage an Paco de Lucia gewonnen.
,
Die Sendung „Paco de Lucia - Die sechs Saiten meines Lebens“ über den einzigartigen Gitarrenvirtuosen war in der Reihe „Lust aufs Leben - Kultur aus allen Richtungen“ zu hören. Eingereicht für den Radiopreis wurden 89 Produktionen, 41 vom ORF und 48 von acht freien und privaten Radiosendern.
,
Paco de Lucia in „Lust aufs Leben“
Eine Hommage an den Gitarrenvirtuosen Paco de Lucia konnten Sie im Juni in der Sendung „Lust aufs Leben“ hören. Der Gestalter der Sendung, Michael Huemer, wurde dafür mit dem Radiopreis für Erwachsenenbildung ausgezeichnet. Aus diesem Anlass wird die Sendung am 25. Jänner nochmals wiederholt.
(Text der Radiosendung)
Am 21. Dezember 1947 wurde um 10.00 Uhr in der San Francisco-Straße Nr. 8 in dem südspanischen Hafenstädtchen Algeciras ein männlicher Nachkomme geboren. Luzía Gomes Goncalves und Antonio Sánchez Pecino nannten ihren Sohn Francisco. Dieser Francisco Sánchez Gómez entschied sich später, den Namen seiner portugiesischen Mutter – de Lucía – berühmt zu machen und um die Welt zu tragen. Die Familie, Paco hatte eine Schwester und drei Brüder, lebte in bescheidenen Verhältnissen. In den harten Jahren nach Ende des spanischen Bürgerkrieges verdiente der Vater das Brot für seine Familie als Kurzwarenhändler und Stoffverkäufer. Es reichte nicht aus und daher spielte er nach der täglichen Arbeit unter dem Namen Antonio de Algeciras auf privaten und öffentlichen Feiern und Fiestas Gitarre.
Flamenco wird eifersüchtig gehütet
Als Paco de Lucía fünf Jahre alt war, zog die Familie in die Barcelonastraße in das Stadtviertel La Bajadilla, in dem viele Gitanos, andalusische Zigeuner wohnten. Die bescheidenen sozialen Verhältnisse und das Aufwachsen in diesem Milieu, einem Viertel, wo Payos, wie die Gitanos die Spanier nennen, und Zigeuner ihr Schicksal teilen, haben die Entwicklung von Paco de Lucía entscheidend geprägt. Gerade beim Flamenco sind die Gitanos besonders heikel und empfindlich, denn er ist Teil ihrer Identität. Viele von ihnen sind heute noch der Diskriminierung ausgesetzt. Auch das ist ein Grund, dass sie ihren Flamenco eifersüchtig hüten.
Gesang von Schwester, Musik vom Bruder gelernt
Pacos älterer Bruder Ramón, später lange Jahrzehnte sein Duopartner mit dem Künstlernamen Ramón de Algeciras, teilte sich die Lehrertätigkeit mit dem Vater, Bruder Pepe wollte lieber singen und der drittälteste lieber tanzen. So lernte Paco autodidaktisch vom Gesang seiner Schwester und von der Musik seiner Brüder. Er übte rund um die Uhr, vor allem ab dem Tag an, als der Vater den Neunjährigen aus Geldnot aus der Schule nahm. Das Instrument wurde für ihn zur Hoffnung, zur Perspektive.
„Los Chiquitos de Algeciras“
Der Freund der Familie, Reyes Benítez, hat mit einem Magnetofonband der Firma Grundig Pepe und Paco zuhause aufgenommen. Es dürfte sich wahrscheinlich um das erste Tondokument des Gitarristen handeln. Reyes Benítez hat Paco de Lucía die erste Gitarre geschenkt. Später gehen die beiden Knaben unter dem Namen „Los Chiquitos de Algeciras“ in die Flamencogeschichte ein. Die „Kleinen von Algeciras“ treten in kurzen Hosen bei einem Wettbewerb in Jerez de la Frontera 1962 auf und rufen einmütige Begeisterung im Publikum und bei der Jury hervor. Obwohl zu jung erhält Paco vom Gemeinderat den Sonderpreis für die beste Begleitung. 35.000 Peseten erhielt Pepe, 10.000 Peseten gehen an Paco, alles geht weiter an Bruder Ramón und ermöglicht der Familie den Umzug nach Madrid.
Man kann durchaus vom Beginn der Profikarriere von Paco de Lucía sprechen, als er mehrere Jahre lang in der Compañía José Greco Europa, Afrika, Australien und vor allem die Vereinigten Staaten bereisen. Es war eine Gruppe von ungefähr 15 Flamencomusikern, vorwiegend Tänzer und Tänzerinnen.
Begegnung mit Gitarristen Sabicas
In New York macht Paco de Lucía die persönlich entscheidendste und musikalisch wichtigste Begegnung seiner Jugendjahre. Er trifft auf den Gitarristen Sabicas, der in der Gitarristik des Flamenco unumstritten als die Nummer 1 galt vergleichbar dem zur selben Generation gehörenden Andrés Segovia in der klassischen Musik. Paco muß sich von Sabicas sagen lassen, daß die wirkliche Berufung eines Flamencogitarristen im Komponieren eigener Stücke liege. Diese Aussage wie auch die anderer Meistergitarristen wie Niño Ricardo und Mario Escudero bestimmen sein musikalisches Wirken in der Folgezeit.
Das Tor für eine eigenständige Entwicklung war geöffnet, Paco nutzte die eigenen Erkenntnisse und die Erfahrungen seiner Meister, den Flamenco grundlegend zu verändern. Und es begann optisch: de Lucía war der erste Flamencogitarrist, der die Gitarre nicht mehr auf den linken Oberschenkel stützte, sondern das rechte Bein über das linke schlug. Die Haltung hatte vor allem spieltechnische Gründe, da sie eine wesentlich sicherere Arbeit der linken Hand erlaubte. Sie bestach dennoch auch durch ihre Ungezwungenheit, einen Gestus der Lässigkeit, anders als die bisher verkrampft anmutende klassische Haltung der Gitarristen.
Erstmals 1971 in Linz aufgetreten
Der persönliche Durchbruch gelang Paco mit der Entwicklung eines eigenen Stils auf seinen ersten drei Soloplatten in den Jahren 1967, 69 und 72. Es bleiben noch genügend Freiräume, die doppelte Menge an Duoplatten mit seinem Bruder Ramón de Algeciras aufzunehmen. Angemessene Würdigung erfuhr sein Programm 1968 beim Concurso Nacional de Arte Flamenco in Córdoba mit dem 1. Platz. 1972 gewinnt er die höchste Auszeichnung für Gitarristen, den Nationalpreis für Flamencogitarre, 1974 kurioserweise „das goldene Griffbrett“ beim Internationalen Musikfest von San Remo in Italien. Paco de Lucía trat 1971 im Kaufmännischen Vereinshaus erstmalig in Linz als Solist auf, das zweite Mal ein Jahr später im Duo mit seinem Bruder Ramón de Algeciras im Kongreßsaal der Linzer Arbeiterkammer.
„Zwischen zwei Wassern“
Dann kommt „Entre dos aguas“. Paco de Lucía beschreibt den Titel, eine Rumba, als eine Verlegenheitslösung. „Entre dos aguas“ heißt auf Deutsch „Zwischen zwei Wassern“. Was er mit dem Titel gemeint haben könnte, ist genauso offen wie vieldeutig. Und was haben meine Freunde und ich nicht darüber gerätselt und gefachsimpelt, als diese LP 1973 auf dem Schallplattenmarkt erschienen war. Die Lage Andalusiens zwischen dem Atlantik und dem Mittelmeer als geographische Erklärung, eine musikalische Standortbestimmung des Flamenco zwischen Tradition und Fortschritt waren einige der Begründungen. Ein Sevillaner erklärte mir, daß es sich einfach um die Flüsse Guadalquivir und Guadalfeo handelte.
Zwanzig Wochen lang konnte sich der Titel in der spanischen Hitparade halten. Jetzt war Pacos Musik aus der andalusischen Abgeschiedenheit herausgetreten, hatte unter der breiten Masse Akzeptanz erreicht. Zwei schlichte Stilmittel reichten: konstanter Rhythmus durch lateinamerikanische Bongos und Congas, reiche Melodieführung durch die Gitarre, die mit – und dies ist eine Innovation – einer elektrischen Bassgitarre verknüpft werden, ein Hauch von Lateinamerika und eine Prise Pop.
Kein „richtiger“ Flamencokünstler
1976 machte ich meine erste Reise nach Spanien, das war damals neun Monate nach dem Tod des Diktators General Francisco Franco. Es lag noch eine ziemlich bleierne Düsternis über dem Land und bei meiner Suche nach Flamencokonzerten bemerkte ich, dass der Name Paco de Lucía bei Kennern und Liebhabern nicht gut ankam. Er wurde von ihnen nicht als „richtiger“ Flamencokünstler angesehen, ganz nach dem Motto „Der Prophet im eigenen Land ist nichts wert“. Zurück nach Madrid: Paco de Lucía lernt beim Billardspielen den Flamencosänger El Camarón de la Isla, einem Gitano, aus San Fernando kennen. Die beiden jungen Burschen aus dem Südwesten Andalusiens hoffen im Madrider Exil auf den großen Durchbruch.
Aufgeschlossen für die musikalische Umgebung
Die Beiden erkannten schnell, daß sie mehr als das Sternbild Schütze gemeinsam hatten und begannen Ende der sechziger Jahre die wohl fruchtbarste und bahnbrechendste Zusammenarbeit, die es je zwischen einem Sänger, einem Cantaor und einem Gitarristen gegeben hat. Ihre erste gemeinsame Schallplatte spielten sie 1969 ein. Bis 1977, sollten elf weitere folgen. Sowohl de Lucía als auch de la Isla kamen grundsätzlich vom traditionellen Flamenco her. Aber sie waren keine Puristen, die ihren Stil in das Museum stellen wollten, sondern sie waren aufgeschlossen für ihre musikalische Umgebung und für aktuelle Tendenzen der kreativen Popularmusik in anderen Ländern.
„Umstürzler“ in der Welt der Flamencotraditionalisten
De la Isla ließ sich durch Mick Jagger und die Rolling Stones beeindrucken und trat in Konzerten von Weather Report auf. De Lucía verfolgte aufmerksam die neueren Entwicklungen des Jazz und der Latin Music. Beide waren zum Entsetzen der empfindlichen Flamencotraditionalisten Umstürzler in der Welt des Flamenco. Es ist ihr Verdienst, dass der Flamenco nicht mehr allein in den Tablaos, den kleinen Flamencolokalen von Sevilla und Cádiz, oder in den Höhlen von Granada zu hören ist, sondern auch auf den großen Bühnen.
Camarón de la Isla stirbt 1992 in Barcelona an Lungenkrebs. Sein Tod führte bei Paco de Lucia zu einer persönlichen Krise, der Gitarrist rührt ein Jahr lang seine Gitarre nicht mehr an, sagt sämtliche Konzerte ab und zieht sich völlig zurück.
Zahlreiche Tourneen in der ganzen Welt bringen Paco de Lucía mit vielen anderen Musikern zusammen. Auch zum Jazz hat er längst eine enge Bindung. Zusammen mit den Jazzgitarristen John McLaughlin und Larry Coryell, später dann Al Di Meola, brachen sie zu einer Konzerttournee auf, die künstlerisch wie kommerziell zu einem gewaltigen Erfolg wurde. Wie virtuos die drei Gitarristen spielten, welches Tempo sie anschlugen, war dann auf dem im Dezember 1980 live eingespielten Album „Friday night in San Francisco“ zu hören.
Atemberaubende Griffbrettartistik
So elektrisierend das Spiel der drei Musiker war, so elektrisierend waren auch die Jubelschreie der Zuhörer, die es nicht fassen konnten, wie ungeheuer schnell die Musiker spielten. Die atemberaubende Griffbrettartistik, das wirkte manchmal wie im Zirkus, wenn sich Jongleure variantenreich Bälle oder Keulen zuwerfen: der Amerikaner Di Meola unbekümmert und am meisten um Knalleffekte bemüht, der Engländer McLaughlin mit schockartig dazwischenfahrenden Schnellläufen und der Spanier de Lucía mit metallisch-hartem Stakkato und seiner Flamencomelancholie. Für mein Gefühl manchmal fast zu temporeich. So berauschend das Zusammenspiel der drei auch war, so rasch stieß es an seine Grenzen. Unter Zuschauern und Kritikern unbestritten war das federführende Gitarrenspiel des Spaniers Paco de Lucía, weil er als Flamencogitarrist einen klaren und rhythmisch exakten Hintergrund lieferte wie auch mit Solopassagen brillierte.
Vier Auftritte in Linz
In Linz traten die Superstars insgesamt viermal auf. 1979, 1980 und 1981 in der akustisch völlig unzulänglichen Linzer Sporthalle am Froschberg, 1996 zuletzt im Großen Saal des Linzer Brucknerhauses. Werner Urtlauf schrieb damals folgende Rezension: „Das superbe Gitarrentriumphirat gastierte vor rund 3.700 Besuchern in der Linzer Sporthalle. Dabei zeigte sich, daß Paco de Lucía nicht nur der Publikumsliebling, sondern auch der dominierende Mann in der Gruppe ist. Ohne Show, bescheiden und locker spielt er seine Parts. Ganz anders John McLaughlin mit Hang, sich zu produzieren. Seine technische Brillanz ist nicht abzustreiten, doch wirkt seine Musik zeitweise ein wenig künstlich und effekthaschend. Direkter und mitteilsamer, rhythmisch brisanter, aber doch auf gängelnde Tricks bedacht Al Di Meola.“
Hinzunahme neuer Instrumente
1981 verzichtet Paco de Lucía völlig auf den traditionellen Inhalt und die Form des Flamenco. Er läßt den Gesang und den Tanz weg und läutet mit der Hinzunahme neuer Instrumente eine völlig neue Ära des zeitgenössischen Flamencos ein. Mehr und mehr öffnet er den Flamenco für improvisierende und stilistisch verwandte Elemente aus dem brasilianischen, karibischen und nordafrikanischen Kulturraum. Er knüpft mit der Gründung des Paco de Lucía Sextetts die familiären Bande wieder neu.
Mitglieder sind die Brüder Ramón und Pepe, die er durch drei weitere Musiker ergänzt: durch den Flötisten und Saxophonisten Jorge Pardo, den katalanischen E-Bassisten Carles Benavent und den brasilianischen Perkussionisten Rubem Dantas. Vor allem das Cajón aus Peru ist völlig neu, eine kastenförmige Gefäßtrommel, mehr oder minder eine Kiste, auf der der Spieler sitzt und die schön schnarrenden und bullernden Klänge mit beiden Händen produziert.
Paco de Lucía ist ein Musiker und Gitarrist, der nur alle drei bis fünf Jahre ein neues Album herausbringt. Er benötigt immer eine bestimmte Zeit, um einen neuen Stil zu entwickeln. So entsteht eine Platte nach der anderen mit einem jeweils neuen de Lucía.
Flamenco mit Jazz und arabischer Musik
Längst hat sich Paco de Lucía mit seiner Musik, mit seinem Sextett, das er durch einen Tänzer erweitert, von dem befreit, was die Zuhörer in den klassischen Konzertsälen erwarten. Bei seinen Live-Auftritten werden keine Konzessionen mehr an die Hörgewohnheiten der Konsumenten gemacht, weder was Länge und Inhalt der Stücke angeht. Bekannte Stellen tauchen als Zitat in vollkommen anderen Zusammenhängen wieder auf, um sofort einer neuen Idee Platz zu machen. Der Flamenco wird von Elementen des Jazz, der lateinamerikanischen und der arabischen Musik durchdrungen und beginnt zu strömen wie ein Fluss. Sehr gut nachvollziehbar in dem Stück „Zyryab“, gleichzeitig Titel einer ganzen Schallplatte, die de Lucía dem feinsinnigen persischen Musiker Ziryab widmete. Dieser führte im 9. Jahrhundert in Andalusien die Kurzhalslaute, die Oud ein, die spätere Mutter der Gitarre.
So klingt zum Schluss der Sendung auch „El pañuelo“ wie der Tanz eines Pferdes, das wie der Sherry, die Corrida und der Flamenco untrennbar mit Andalusien verbunden ist. Paco de Lucía wurde am 1. März bei strömenden Regen im städtischen Friedhof von Algeciras beigesetzt. Die Fahnen der Stadt standen drei Tage auf Halbmast.