Dauerhafte Bewahrung durch Digitalisierung

Der Tonbandmitschnitt einer Lesung aus den 1970er Jahren, ein auf Kassette aufgenommener Radiobeitrag aus den 1980er Jahren oder die auf Video gebannte private Weihnachtsfeier aus den 1990er Jahren: Die Zugänglichkeit der Inhalte vieler dieser zeitgeschichtlich relevanten Aufnahmen ist auf Dauer gefährdet.

Audiovisuelle Medien verfügen in Archiven und Bibliotheken – selbst unter optimalen Lagerbedingungen – nur über eine begrenzte Haltbarkeit. Dazu kommt, dass nicht nur die Medien, sondern auch die Abspielgeräte einem technologischen Wandel unterworfen sind und viele dieser Geräte bereits jetzt nicht mehr im Handel erhältlich sind. Die einzige Chance zur dauerhaften Bewahrung der Inhalte analoger audiovisueller Datenträger besteht in der Digitalisierung des Materials.

Die Österreichische Mediathek verfügt seit dem Jahr 2000 in Zusammenarbeit mit führenden Firmen auf dem Gebiet der Audio- und Archivierungstechnik über ein erprobtes komplexes Digitalisierungssystem. Mit Beginn des Jahres 2011 wurde auch ein System für die professionelle Videodigitalisierung in Betrieb genommen.

So „original“ wie möglich

Ziel der Digitalisierung ist die Erstellung einer digitalen Kopie, die dem Original möglichst gleicht. Das bedeutet, dass möglichst nicht bzw. nur so wenig wie nötig in den Digitalisierungsprozess eingegriffen wird. Falls Verbesserungsmaßnahmen für bestimmte Aufnahmen notwendig sind, können diese problemlos im Nachhinein an der digitalen Kopie vorgenommen werden. Für das Ergebnis entscheidend ist jedoch die Erstellung einer qualitativ möglichst hochwertigen Vorlage, wobei „qualitativ“ hier originalgetreu meint.

Folgende Formate werden in der Österreichischen Mediathek digitalisiert:

     
Audio     •  Audiokassetten (mit und ohne Dolby-Rauschunterdrückung)  
      •  Tonbänder (Voll-, Halb- und Viertelspuraufnahmen mit Band-
        geschwindigkeiten von 4,75 bis 76cm/Sek.)
 
      •  Digital Audio Tapes (DAT)  
      •  Minidiscs (Short- und Longplay)  
      •  CDs  
      •  Schallplatten (33 1/3 und 45 U/Min.) und Schellacks (78 U/Min.)  
      •  Diktierkassetten  
     
Video            •  U-matic (Highband, Lowband, SP)  
      •  MII  
      •  Betacam, Betacam SP  
      •  Digtal Betacam  
      •  VHS, VHS-C  
      •  S-VHS, S-VHS-C  
      •  Video 8  
      •  Hi8  
      •  Betamax, Superbeta  
      •  DV, DVCAM  
      •  DVCPRO 25  
     

 

Ablauf der Digitalisierung

1. Katalog

Zu Beginn der Digitalisierung steht die Katalogisierung: Deskriptive Metadaten (Titel, Personen, Aufnahmedatum, Informationen zum Inhalt und dergleichen) werden in die Katalogdatenbank (DABIS / BIS-C 2000, modifiziert) eingegeben und jeder Archivalie wird eine eindeutige Signatur zugewiesen. Diese Signatur dient nicht nur zum Auffinden des physischen Trägers im Analogarchiv der Österreichischen Mediathek, sondern auch als Unique Identifier des Digitalisats auf dem digitalen Massenspeicher.

2. Reinigung bzw. Restaurierung der Träger

Ein zentrales Problem bei der Digitalisierung liegt in der Verschmutzung der Archivalien. Staub kann sich beispielsweise im Laufe eines Digitalisierungsvorganges auf dem Lesekopf absetzen und somit zu massiven Ausfällen führen. Um dies zu vermeiden, werden die Archivalien nach Möglichkeit vor dem Einspielen gereinigt.

Im Videobereich wurden Reinigungsgeräte vor allem für den professionellen Markt erzeugt und sind deshalb auch nur für bestimmte Formate verfügbar. In der Österreichischen Mediathek können wir folgende Formate mit Reinigungsgeräten abdecken: U-matic, Beta (Betamax, Betacam, Digitbeta), VHS und DV.

Im Audiobereich liegt der Schwerpunkt vor allem in der oft notwendigen Restaurierung des analogen Ausgangsmaterials: Gerissene Magnetbänder bei Audiokassetten müssen geklebt und in neue Kassettenhüllen eingebaut werden, eventuell vorhandene und sich lösende Klebestellen von Tonbändern müssen erneuert, fehlende Vorlaufbänder angefügt und – etwa bei Befall durch Rost am Bandträger (Bobby, Wickelkern) – das gesamte Magnetband auf einen neuen, sauberen Bandträger umgespult werden. Schimmelbefallene Magnetbänder werden durch spezielle Reinigungsverfahren von Sporen befreit und Tonbänder, die durch Hydrolyseprozesse verklebt und daher nicht abspielbar sind, vor dem Digitalisieren in Dörrgeräten 'gebacken' (tape baking), um sie wieder abspielbar zu machen.
Alle genannten Reinigungs-, Konservierungs- und Restaurierungstechniken führen nicht nur zu besseren Digitalisaten, sondern schonen auch die Abspielgeräte.

3. Metadaten zum Format des Ausgangsmaterials und zum Digitalisierungsprozess (Evaluierung)

Der analoge Träger wird zunächst genau beschrieben (Format, Hersteller, Spieldauer, Abspielgeschwindigkeit bei Magnettonbändern, Zustand des Ausgangsmaterials usw.) und die gesamte Signalkette im Digitalisierungsprozess erfasst: Abspielgerät, A/D-Wandler (Analog/Digital-Wandler), Einstellungen des A/D-Wandlers, Workstation, Software. Diese technischen Metadaten werden mit Hilfe der Digitalisierungssysteme für den Audio- und den Videobereich als XML abgespeichert. Sie werden wie das Digitalisat langzeitgesichert.

4. Digitalisierungvorgang

Video
Momentan stehen für die Digitalisierung von Videoformaten vier Stationen zur Verfügung, sodass bis zu vier Digitalisierungsprozesse parallel laufen können. Ist eine Aufnahme digitalisiert, wird sie mittels automatisierten Prozessen des Digitalisierungsworkflows ‚abgearbeitet‘, sodass letztendlich alle Informationen für die Qualitätskontrolle zur Verfügung stehen. Zu den automatisierten Prozessen zählen die Erstellung einer Ansichtskopie (MPEG-2) und von Vorschaubildern (pro Minute/pro Schnitt), die Schnitterkennung, die Erzeugung von Analysegraphen für die Qualitätskontrolle und die Errechnung von Prüfsummen (pro Minute).

Audio
Im Audiobereich stehen derzeit fünf Workstations zur Verfügung, wobei an jeder dieser Digitalisierungsstationen vier Prozesse parallel laufen können. Somit können an der Österreichischen Mediathek derzeit bis zu zwanzig Digitalisierungsprozesse im Audiobereich gleichzeitig durchgeführt werden. Dabei können alle gängigen Formate abgedeckt werden. Neben dem Digitalisierungsvorgang werden in automatisierten Prozessen eine Sichtungskopie erstellt (MP3), Prüfsummen errechnet (MD5) oder speziell zugewiesene Aufgaben wie z. B. Normalisierung oder Kanalmanipulation vorgenommen.

5. Qualitätskontrolle

Am Ende des Digitalisierungsprozesses steht die Qualitätskontrolle. Hierbei werden die Digitalisate anhand von Analysegraphen genau kontrolliert. Ziel ist es, eventuelle Probleme im Digitalisierungsprozess aufzudecken und zu vermeiden. Die Schwierigkeit bei der Qualitätskontrolle liegt darin, zu unterscheiden, welche Artefakte Teil des Inhalts sind und welche im Digitalisierungsprozess entstanden sein könnten. Hier geht es nicht darum, Fehler zu verbessern, die Teil des Inhalts sind, sondern allein um die Sicherstellung, dass das Digitalisat dem Original weitestgehend entspricht.

6. Langzeitsicherung (Digital Long-term Preservation)

Das gesamte digitalisierte Material wird schlussendlich auf einem Massenspeichersystem (RAID-System) langzeitgesichert. Die gespeicherten Daten werden außerdem gespiegelt (Sicherheitskopie) und regelmäßig migriert. Die analogen Träger werden selbstverständlich weiterhin in einem klimatisierten Archiv aufbewahrt, um gegebenenfalls auch in Zukunft auf die Originale zurückgreifen zu können.

7. Digitaler Archivmaster – Container und Codecs

Der „Archivmaster“ bezeichnet im Archivkontext das File, dessen dauerhafte Erhaltung im Rahmen einer digitalen Langzeitarchivierung sichergestellt werden soll. Dementsprechend kommt der Formatwahl für einen „Archivmaster“ besondere Bedeutung zu.

Audio

Für die digitale Langzeitarchivierung von Tonaufnahmen gibt es klar definierte Richtlinien: The Safeguarding of the Audio Heritage: Ethics, Principles and Preservation Strategy (IASA-TC 03). Diese wurden von der International Association of Sound and Audiovisual Archives (IASA) erarbeitet und stellen die Grundlage professioneller Archivierung von Tondokumenten dar. Entsprechend dieser Vorgaben werden die Tondigitalisate der Österreichischen Mediathek in folgender Form erstellt und bewahrt:

   
Archivmaster    Format: Broadcast Wave
     Auflösung: 96 kHz/24 Bit
Sichtungskopie    Format: MP3
     Bitrate: 128 kbit/s


Video

Im Unterschied zum Audiobereich gibt es für die digitale Langzeitarchivierung von Video keine Richtlinien. Nur wenige Formate (Codecs, Container) erfüllen die Anforderungen für eine digitale Langzeitsicherung. Unter den möglichen Optionen hat sich FFV1 als ideales Format zur Langzeitsicherung im Archiv herausgestellt (verlustfreie Kompression, Datenreduktion um Faktor 2–3, offenes Format (open source), weite Verbreitung und große Auswahl an Applikationen).

   
Archivmaster    Video Codec: FFV1
     Audio Codec: PCM, unkomprimiert
     Container: AVI
Sichtungskopie    Format: MPEG-2