Familien und Strafrechtsreform der 1970er Jahre
Veränderungen in Rechtsbereichen finden kontinuierlich immer wieder je nach erkanntem Regelungsbedarf statt. In der Familien- und Strafrechtsreform der 1970er Jahre fand eine Modernisierung von Bestimmungen statt, die zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert stammten. Gleichzeitig ist sie der Ausdruck von gesellschaftlichen Veränderungen während der und im Anschluss an die sogenannte 68er-Bewegung nicht nur in Österreich sondern auch in anderen (europäischen) Ländern. Die siebziger Jahre waren in Österreich die Zeit der Alleinregierung der SPÖ unter Bruno Kreisky.
Im Juli 1971 wurde die sogenannte "kleine Strafrechtsreform" im Nationalrat fast einstimmig beschlossen.
An Stelle des Vergeltungsprinzips wurde unter dem Stichwort "soziales Strafrecht" mehr Augenmerk auf die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft gelegt bei gleichzeitiger vermehrter Hilfe für Opfer von Verbrechen. Änderungen wurden dabei im Strafprozessrecht und Strafvollzugsrecht vorgenommen. Die Strafbarkeit von Ehestörung, Ehebruch und Homosexualität zwischen Erwachsenen wurde aufgehoben. Die Strafarten Arrest, Kerker und verschärfter Kerker wurden durch eine einheitliche Freiheitsstrafe ersetzt.
Die "große Strafrechtsreform" im November 1973 war wegen der darin enthaltenen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch weit heftiger umstritten und wurde allein mit den Stimmen der SPÖ beschlossen. Die sogenannte Fristenlösung stellte die Abtreibung innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate straffrei, wenn sie nach ärztlicher Beratung und von einem Arzt durchgeführt wird. Der Bundesrat beeinspruchte die Fristenlösung, die SPÖ fasste jedoch einen Beharrungsbeschluss im Jänner 1974 und das Gesetz trat mit 1. Jänner 1975 in Kraft.
Die "Aktion Leben" leitete ein Volksbegehren gegen die Fristenlösung ein, das 1975 fast 900.000 Unterschriften erhielt.
Weiters wurden im Strafrecht neue Delikte wie unterlassene Hilfeleistung, Verunreinigung von Gewässern und Luft, Geiselnahme und Luftpiraterie verankert.
Für geistig abnorme Rechtsbrecher wurde die Unterbringung in besonderen Anstalten vorgesehen. Anstelle von kurzen Freiheitsstrafen trat die Möglichkeit, auf ein Geldstrafensystem zurückzugreifen und für die Unterstützung der Resozialisierung wurde die Bewährungshilfe eingeführt. Neuregelungen wurden auch im Suchtgift- und Pornographiegesetz getroffen.
Auch im Familienrecht stammte eine Reihe von Regelungen aus dem 19. Jahrhundert. Zentraler Punkt war die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, das heißt an Stelle des antiquierten Bilds einer patriarchalisch organisierten Großfamilie sollte durch Streichung von Passagen wie der "Mann ist das Haupt der Familie" auch im gesetzten Recht das der partnerschaftlich organisierten Familie und des gegenseitigen Beistands und Unterhalts der Eheleute treten.
Die Rechtsstellung der Kinder wurde verbessert, uneheliche Kinder den ehelichen bei Ansprüchen auf Versorgung und Unterhalt gleichgestellt. Beide Elternteile wurden gleichermaßen gesetzliche Vertreter des Kindes – elterliche statt väterliche Rechte.
Durch Neuregelungen u. a. betreffend vermögensrechtliche und erbrechtliche Fragen in der Ehe wurde die verfassungsrechtliche Bestimmung der Gleichberechtigung von Mann und Frau – im Sinne einer gleichberechtigten und gleichverpflichteten Frau – auch im Familienrecht zu erreichen versucht.
Die Volljährigkeit wurde auf 19 Jahre herabgesetzt, im Namensrecht gab es bezüglich des gemeinsamen Familiennamens Änderungen, sodass auch der Name der Frau dafür gewählt werden konnte. 1974 wurde der Mutter-Kind-Pass und eine erhöhte Geburtenbeihilfe (bei Einhaltung der vorgesehenen Untersuchungen) eingeführt. Die Säuglingssterblichkeit wurde dadurch erheblich gesenkt. Im Steuerrecht wurde 1972 an Stelle der Haushaltsbesteuerung die Individualbesteuerung eingeführt, die die Versteuerung der einzelnen Einkommen der jeweiligen Familienmitglieder statt eines Haushaltseinkommens vorsah. Ab 1971 galt die Zeit des Karenzurlaubes als für die Pensionsversicherung anrechenbare Ersatzzeit.