Von der Moskauer Deklaration bis zur „Watchlist“

Nach außen hin stellte sich das offizielle Österreich lange als „erstes Opfer“ des Nationalsozialismus dar. Nach innen wurden die Verbrechen des Regimes weithin marginalisiert – auch, um potentielle Wählerinnen und Wähler nicht vor den Kopf zu stoßen. Im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs und der sogenannten Waldheim-Affäre 1986 setzte eine verstärkte Auseinandersetzung um die Mitverantwortung und die Gedenkkultur in Österreich ein.

In der knapp einseitigen, von den Außenministern Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion 1943 unterzeichneten Moskauer Deklaration wurde die Rolle und Verantwortung Österreichs während des Zweiten Weltkriegs festgeschrieben. Wörtlich heißt es darin, dass Österreich als das „erste freie Land (…) der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer“ gefallen sei. Diese Formulierung war ein wesentlicher Bezugspunkt für die (Außen-)Darstellung Österreichs bis weit in die Zweite Republik und bildete die Grundlage für die sogenannte Opfertheorie. Die Passage, die sich auf die Mitverantwortung Österreichs bezog, fand dahingegen kaum Eingang in die offizielle Erzählung. Sie wurde beispielsweise auf Betreiben des österreichischen Außenministers Leopold Figl aus der Präambel zum Staatsvertrag gestrichen. Das offizielle Gedenken konzentrierte sich insbesondere auf die Ehrung der gefallenen Soldaten. Zahlreiche Kriegerdenkmäler wurden errichtet oder Gefallenendenkmäler des Ersten Weltkrieg erweitert.

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Über die Moskauer Deklaration

Der Historiker Gerhard Jagschitz (2005)

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Aufarbeitung der Vergangenheit

Neujahrsrede von Karl Renner (1946)

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Leopold Figl zur Rolle Österreichs

Neujahrsansprache im Radio (1948)

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<p>Bekanntmachung der Moskauer Deklaration (1945)</p> ©

Bekanntmachung der Moskauer Deklaration (1945)

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Umgang mit Vergangenheit

Erika Weinzierl, Historikerin, Hubert Feichtlbauer, Publizist (1988)

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Straßenbefragung zum Konflikt Kreisky-Wiesenthal

Ö1-Sendung „Im Brennpunkt“ (1975)

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Über die Opferthese

Michael Graff (ÖVP) und Heinrich Keller (SPÖ) im Zuge der Waldheim-Debatte (1987)

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Einen Strich unter die Vergangenheit ziehen?

Theodor Körner (1951)

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Die Auseinandersetzung zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky – selbst ein Opfer des NS-Regimes – und Simon Wiesenthal, dem Leiter des Dokumentationszentrums, ist kennzeichnend für den Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit. Wiesenthal recherchierte, dass Friedrich Peter, der Bundesparteiobmann der FPÖ, einer für Massenmorde an der Zivilbevölkerung verantwortlichen Einheit des SS angehört hatte. Nach der Nationalratswahl 1975 machte er die Vorwürfe publik. Peter leugnete seine Beteiligung, Kreisky stellte sich hinter ihn und warf Wiesenthal Kollaboration mit dem NS-Regime vor, musste seine Anschuldigungen aber per Gerichtsentscheid zurückziehen.

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Pressekonferenz Simon Wiesenthals und Reaktionen Peters und Kreiskys

Ö1-Sendung „Im Brennpunkt“ (1975)

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Der öffentlich ausgetragene und Jahre dauernde Konflikt zwischen Kreisky und Wiesenthal machte auch die antisemitischen Ressentiments in weiten Teilen der Bevölkerung deutlich, die einen „Schlussstrich“ ziehen wollte – ein immer wieder verwendeter Begriff, wenn es um die Rolle Österreichs während des Nationalsozialismus ging.

Mitte der 1980er Jahre konfrontierte der Fall Reder die Österreicherinnen und Österreicher mit der nationalsozialistischen Geschichte des Landes. Walter Reder hatte als SS-Sturmbannführer im Oktober 1944 die Ermordung von bis zu 1.800 Menschen im italienischen Marzabotto verantwortet und war dafür 1951 zu lebenslanger Haft in Italien verurteilt worden. Hochrangige österreichische Politiker intervenierten für seine Begnadigung. 1984 bekundete Reder gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern des Ortes seine Reue, widerrief seine Aussage aber, als er nach seiner Freilassung wieder in Österreich eintraf. Am Flughafen Graz empfing ihn der österreichischen Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager (FPÖ) mit Handschlag. Im In- und Ausland führte der Fall zu einer Protestwelle und der erfolglosen Forderung nach dem Rücktritt des Verteidigungsministers.

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Alois Mock zum Fall Reder-Frischenschlager

ORF-Pressestunde (1985)

Gedenktafel in Marzabotto
Gedenktafel in Marzabotto
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Freilassung Walter Reders

Ö1-Mittagsjournal (1985)

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Politikerreaktionen und Pressestimmen

Ö1-Mittagsjournal (1985)

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<p>Kandidaten und Kandidatin Bundespräsidentenwahl 1986</p> ©

Kandidaten und Kandidatin Bundespräsidentenwahl 1986

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Bundeskanzler Fred Sinowatz zu Waldheims SA-Mitgliedschaft

Ö1-Mittagsjournal (1986)

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Kurt Waldheim nach der Angelobung

Pressekonferenz (1986)

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Als eine Konsequenz aus der Affäre setzte das US-amerikanische Justizministerium die Privatperson Kurt Waldheim auf die „Watchlist“ – eine Liste unerwünschter Personen –, was in Österreich als ein Affront wahrgenommen wurde.

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Kurt Waldheim auf „Watchlist“

Ö1-Abendjournal (1987)

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Nur wenige Monate nach dem Fall Reder wurde der Bundespräsidentschaftswahlkampf zu einer intensiven Debatte über die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs, über den Umgang mit dieser Vergangenheit und die Mitverantwortung des Landes, die so bisher nicht stattgefunden hatte. Sie entzündete sich am Kandidaten Kurt Waldheim, dem bedeutenden Politiker, hochrangigen Diplomaten und ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen. Er leugnete seine Mitgliedschaft beim NS-Studentenbund und bei der SA-Reiterstandarte und bestand darauf, als Nachrichtenoffizier der Wehrmacht vor Ort nichts von der Deportation der jüdischen Bevölkerung in Saloniki gewusst zu haben.

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Über Kurt Waldheim

Radio Austria International (1996)

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Bundespräsident Rudolf Kirchschläger zu Waldheim

Ö1-Mittagsjournal (1986)

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Reaktionen auf Kirchschlägers Rede

Ö1-Mittagsjournal (1986)

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Das Beharren Waldheims, nur seine Pflicht als Soldat erfüllt zu haben, entsprach dem Selbstbild vieler seiner Generation und war symptomatisch für die (kaum erfolgte) Beschäftigung des Landes mit seiner Vergangenheit. Im Zuge der Debatte wurden zudem – auch von Kurt Waldheim selbst – antisemitische Ressentiments bedient. Österreichische Juden und Jüdinnen waren vermehrt körperlichen Angriffen und Drohungen ausgesetzt.

Internationale Historikerkommission ©
Internationale Historikerkommission
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Gedenkjahr und Kommission

Ö1-Mittagsjournal (1987)

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1987 beauftragte die Bundesregierung eine internationale Historikerkommission: Eine Beteiligung oder Mittäterschaft des nunmehrigen Bundespräsidenten Kurt Waldheim wies diese zwar nicht nach, stellte aber fest, dass er entgegen seiner Aussagen von den Kriegsverbrechen am Balkan gewusst haben musste. Als Bundespräsident blieb er im Ausland isoliert und in Österreich umstritten. Die sogenannte Waldheim-Affäre markiert einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, da sie zu einer Abkehr von der Opferthese führte.

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Michael Graff (ÖVP) zur Historikerkommission

Ö1-Abendjournal (1987)

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00:04:35 audio
Rücktritt von Michael Graff

Ö1-Abendjournal (1987)

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Vorüberlegungen und Stimmen zum geplanten „Bedenkjahr 1988“

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Stellvertretend Buße tun

Diplomat Alfred Missong (September 1987)

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Hände weg vom Heldenplatz

Botschafter Ingo Mussi (September 1987)

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Lebenslüge?

Historiker Rudolf Ardelt (Jänner 1988)

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Wie soll man gedenken?

Michael Graff und Heinrich Keller (Juli 1987)

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Zu wenig Aufarbeitung

Kardinal König über kollektive Schuld (1987)

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Stimmungsbild und Schwierigkeiten

André Heller (Juli 1987)

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Analyse und nicht Schuldzuweisung

Politologe Anton Pelinka (1988)

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Weitere Überlegungen zum Gedenken

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Mitbedenken der Vorgeschichte: 1918 und die 1. Republik.
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Gemeinsames Aufarbeiten und Vorsicht mit der Sprache
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