Der große Umbruch
Zusammenbruch und Zerfall Österreich-Ungarns stellten für die Bevölkerung im Raum der jetzigen Republik Österreich einen außerordentlich tiefen Einschnitt dar. Die wirtschaftlichen Folgen waren tiefgreifend und zunächst vor allem die Versorgungslage – besonders in Wien – katastrophal. Die staatliche Umorganisation Mitteleuropas löste Migrationsströme aus und die Bevölkerung geriet in eine sehr lange währende Krise ihres politischen Selbstverständnisses: Aus den Bewohnern einer Großmacht waren solche eines verarmten Kleinstaates mit noch unsicheren Grenzen und ungewissen Zukunftschancen geworden.
Zur Zeit der Monarchie hatte sich ein großer Teil der Bevölkerung in nationaler Hinsicht als deutsch empfunden und von der Staatszugehörigkeit als Österreicher. Nun existierte das alte Österreich nicht mehr, sodass die Orientierung am Nationalgefühl in den Vordergrund trat. Daher die Versuche, statt eines neuen Staates lieber gleich den Anschluss an Deutschland zu erreichen, daher die später auf alliierten Druck wieder aufgegebene Staatsbezeichnung "Deutsch-Österreich" für die neue Republik.
Der neue Kleinstaat kam also unter wenig Erfolg versprechenden Aussichten auf die Welt, und entsprechend gering war die innere Bindung vieler Bewohner an den "Staat, den keiner wollte". Manche blickten auch in der Folge zurück in die Vergangenheit, viele weiterhin nach Deutschland. Die Entwicklung eines spezifisch österreichischen Nationalgefühls lag noch in weiter Ferne.
Andererseits ist unverkennbar, dass die allererste Zeit der Republik einen politisch-sozialen Entwicklungssprung mit sich brachte: Frauenwahlrecht, Achtstunden-Arbeitstag, Urlaubsanspruch, Arbeitslosenversicherung.