1933

In Deutschland ergreifen die Nationalsozialisten die Macht und in Österreich wird nach der „Selbstausschaltung des Parlaments“ der austrofaschistische Ständestaat errichtet. Unter dem christlichsozialen Kanzler Engelbert Dollfuß werden sukzessive die anderen Parteien aufgelöst und verboten.

Ende der parlamentarischen Demokratie

Das Jahr 1933 stellt für Österreich in der politisch und gesellschaftlich instabilen Lage der 1930er Jahre eine entscheidende Zäsur dar. Die Arbeitslosigkeit erreichte ihren Höchststand: rund 600.000 Arbeitslose, von denen nur rund 65 Prozent noch Arbeitslosenunterstützung erhielten; alle anderen waren "ausgesteuert", also ohne staatliche Unterstützung. Fast jeder zweite Industriearbeiter war ohne Beschäftigung. Dazu kommt, dass der Graben zwischen den zwei ideologischen Blöcken sich immer mehr vertiefte, wobei die Ereignisse eine eigene, nicht immer bewusst gesteuerte Dynamik entwickelten.

Im März 1933 traten im Zuge einer Abstimmung alle drei Präsidenten des Nationalrates zurück, um als Abgeordnete mitstimmen zu können. Dadurch konnte die Sitzung nicht ordnungsgemäß geschlossen werden, das Plenum war handlungsunfähig. Die Bundesregierung unter Engelbert Dollfuß nutzte die Situation, um auf Basis des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917 weiter zu regieren.

Diese neue "autoritäre Halbdiktatur" hob sofort demokratische Grundrechte wie Versammlungs- und Pressefreiheit auf; politisch führte sie einen Zweifrontenkrieg: einerseits gegen die Sozialdemokratie (Auflösung des Republikanischen Schutzbundes, der paramilitärischen Vereinigung der Sozialdemokraten), andererseits sah man sich nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland auch einem verstärkten politischen Druck von dieser Seite ausgesetzt: Es kam zu einer Welle nationalsozialistischer Terrorakte und Sprengstoffanschläge in Österreich; als Reaktion darauf wurde die NSDAP verboten. Die Versuche, dem Dollfuß-Regime eine Massenbasis zu geben, griffen nicht – die Ideologie des autoritären Ständestaates, von Dollfuß in seiner "Trabrennplatzrede" dargelegt, konnte nicht die Moblilisierung breiter Schichten erreichen wie wenig später der Nationalsozialismus.

Die politische Opposition, die Sozialdemokratie, schien nicht nur auf Grund der gegen sie gerichteten Repressionen gelähmt. In der Partei herrschte auch Uneinigkeit hinsichtlich der Haltung den neuen Machthabern gegenüber. Einig war man sich auf dem Parteitag im Oktober jedoch darin, die Forderung nach einem Anschluss an Deutschland angesichts der politischen Situation in Deutschland aus dem Parteiprogramm zu streichen.

Der traditionelle Maiaufmarsch wurde verboten. Das Bundesheer wird eingesetzt um das Verbot durchzusetzen. Abriegelung der Wiener Innenstadt, hier Karlsplatz / Kärntnerstraße. Trotzdem war man von Seiten der Sozialdemokraten erfinderisch und organisierte sogenannte "Spaziergänge" oder hängte rote Kleidungsstücke zum Trocknen auf die Wäscheleinen. Wien, 1. Mai 1933. Mitten auf der Straße sitzt ein Soldat mit Stahlhelm und mit einem Maschinengewehr. Straßenbahnen sind auch zu sehen. ©
1. Mai 1933 - Demonstrationsverbot

Heimwehr – katholische Kirche – Ständestaatsideologie

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Heimwehr

Kameradschaftsbegriff. Emil Fey

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Allgemeiner deutscher Katholikentag, September 1933. Das Kleine Volksblatt, 7. 9. 1933. Titelblatt der Zeitung mit gezeichneter Frauenfigur vor der Stadt Wien und Schriftzug "Willkommen in Wien" ©
Allgemeiner deutscher Katholikentag, September 1933

Ausschaltung des Parlaments

Einziehen der Fahne vor dem Parlament auf Weisung der Polizei. Wien, am 15. März 1933. Ein Polizist steht neben der eingeholten Flagge vor dem Parlament ©
Auflösung des Parlaments
Aufforderung an die Regierung, zurückzutreten. Plakat, teilweise überklebt. Wien, 1933. "Worauf warten wir noch?"..."Eine Million Exekutionen..." ©
Vergebliche Kritik

"Ständestaat"

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Trabrennplatzrede

Ideologie des autoritären Ständestaates. Engelbert Dollfuß

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Engelbert Dollfuß bei seiner programmatischen "Trabrennplatzrede" am 11. September 1933 in Wien. Dollfuß am mit Krukenkreuz geschmückten Rednerpult vor gefüllter Trabrennplatztribüne. ©
Trabrennplatzrede
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Österreichbewusstsein

als Programm. Engelbert Dollfuß

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Katholizismus

Kardinal Theodor Innitzer

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Nationalsozialistischer Druck aus Deutschland und von Innen

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Zunehmender Druck...

nationalsozialistische Propaganda

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Literatur

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Stefan Zweig

Hymnus an die Reise

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Die leichte Muse

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Nico Dostal

Ich bin verliebt...

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Chronologie der Ereignisse

1933

Jänner 1933

30.01.

Deutschlands Reichspräsident Paul von Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler.

Februar 1933

01.02.

Der deutsche Reichstag wird auf Wunsch Hitlers durch Hindenburg aufgelöst.

15.02.

Höchststand der Arbeitslosigkeit in Österreich mit rund 600.000 Arbeitslosen (rund 26 %) – davon erhalten nur rund 400.000 Arbeitslosenunterstützung. 

27.02.

Brand des deutschen Reichstages. Der holländische Kommunist Marinus van der Lubbe wird als Täter verhaftet, die Nationalsozialisten nutzen die Gelegenheit zu großangelegten Verhaftungswellen unter politischen Gegnern, vor allem unter den Kommunisten. Notverordnungen schränken Meinungs-, Presse-, und Versammlungsfreiheit weitgehend ein.

März 1933

04.03.

Im Zuge einer Abstimmung treten alle drei Präsidenten des Nationalrates zurück, dadurch kann die Sitzung nicht ordnungsgemäß geschlossen werden, das Plenum ist dadurch handlungsunfähig.

05.03.

Reichtagswahlen in Deutschland: Die NSDAP erringt 43,9 % der Stimmen.

07.03.

Die Bundesregierung beschließt auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917 auch ohne Parlament weiter zu regieren, Versammlungs- und Pressefreiheit werden aufgehoben.

20.03.

Errichtung der ersten Konzentrationslager in Dachau und Sachsenhausen zur Internierung politischer Gegner der Nationalsozialisten.

23.03.

Der deutsche Reichstag verabschiedet das Ermächtigungsgesetz und verzichtet damit auf seine Gesetzgebungskompetenz.

31.03.

Der Republikanische Schutzbund wird aufgelöst.

April 1933

01.04.

Beginn des Boykotts jüdischer Geschäfte in Deutschland.

Mai 1933

01.05.

Die Bundesregierung untersagt den Maiaufmarsch der Sozialdemokraten.

10.05.

Die Bundesregierung beschließt ein vorläufiges Verbot von Landtags- und Gemeinderatswahlen.

14.05.

Großaufmarsch der Wiener Heimwehr anlässlich der "Türkenbefreiungsfeier".

20.05.

Gründung der "Vaterländischen Front".

26.05.

Auflösung der Kommunistischen Partei Österreichs. 

27.05.

"Tausendmarksperre": Deutsche Staatsbürger müssen bei einer Einreise nach Österreich eine Gebühr von 1.000 Reichsmark zahlen. Diese Maßnahme Deutschlands schädigt gezielt den österreichischen Fremdenverkehr. Beginn nationalsozialistischer Terrorakte und Sprengstoffanschläge in Österreich.

28.05.

Der Großsender der RAVAG auf dem Bisamberg (Wien) wird in Betrieb genommen.

Juni 1933

11.06.

Die christlichsoziale Politikerin Hildegard Burjan (*30. Jänner 1883) stirbt in Wien.

19.06.

Verbot der NSDAP in Österreich.

Juli 1933

14.07.

Nach Verbot (SPD, KPD) und Selbstauflösung von Parteien ist die NSDAP in Deutschland die einzige Partei. Die Bildung von politischen Parteien wird untersagt. 

August 1933

23.08.

Der Architekt Adolf Loos (*10. Dezember 1870) stirbt in Kalksburg bei Wien. 

September 1933

08.09.–12.09.

Allgemeiner deutscher Katholikentag in Wien.

11.09.

Kundgebung der Vaterländischen Front auf dem Wiener Trabrennplatz. Die "Trabrennplatzrede" von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß legt die Grundzüge zur Errichtung eines autoritären Ständestaates dar. Das "Kruckenkreuz" wird zum Symbol der Vaterländischen Front.

21.09.

Zweite Regierung Engelbert Dollfuß. Regierung aus Christlichsozialen und Vertretern der Heimwehr.

27.09.

Rede von Bundeskanzler Dollfuß vor dem Völkerbund in Genf über Österreichs Kampf um die Unabhängigkeit.

Oktober 1933

03.10.

Attentat auf Bundeskanzler Dollfuß durch den Nationalsozialisten Rudolf Drtil. Dollfuß wird leicht verletzt.

14.10.–16.10.

Letzter Parteitag der sozialdemokratischen Partei in der 1. Republik. Der Anschlussartikel (= Forderung nach Anschluss an Deutschland) wird angesichts der politischen Situation in Deutschland aus dem Parteiprogramm gestrichen.

November 1933

10.11.

Wiedereinführung der Todesstrafe in Österreich angesichts des nationalsozialistischen Terrors.

Dezember 1933

10.12.

Der Physiker Erwin Schrödinger (1887–1961) erhält gemeinsam mit Paul Dirac den Nobelpreis für Physik für seine Forschungen auf dem Gebiet der Quantenmechanik.