Ortstafelkonflikt in Kärnten
Im Artikel 7 des Staatsvertrags von 1955 wird der slowenischen und der kroatischen Minderheit in Österreich eine Reihe von Rechten zugesichert, u. a. auch zweisprachige Ortstafeln:
Artikel 7, Absatz 3: "In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfasst."
Dieser Punkt wurde lange Zeit nicht verwirklicht – erst nach 56 Jahren, im Juli 2011, wurde eine konsensuale Lösung dieser umstrittenen Frage durch den Beschluss eines neuen Volksgruppengesetzes im Verfassungsrang erreicht.
Die audiovisuelle Darstellung auf diesen Seiten bietet punktuelle Einblicke in die Diskussion dieses Zeitraums, beginnend mit dem sogenannten Ortstafelsturm 1972 bis derzeit 1977. Die Entwicklung in den darauffolgenden Jahren bis zur Einigung und nunmehr geltenden Regelung werden in einer Erweiterung dieser virtuellen Ausstellung behandelt werden.
Slowenische Gruppen begannen ab 1968 durch Aufmalen slowenischer Ortsbezeichnungen auf Ortstafeln auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Die Gegenseite, der Kärntner Heimatdienst und der Kärntner Abwehrkämpferbund, vertraten die Ansicht, dass zweisprachige Ortstafeln eine aus Jugoslawien kommende "kommunistischen Bedrohung" wären. Ein sich verschärfender Konflikt zwischen diesen beiden Seiten begann sich zu entwickeln. Im April 1972 sandten der Rat der Kärntner Slowenen und der Zentralverband slowenischer Organisationen Vertreter zu Gesprächen mit Bundeskanzler Bruno Kreisky und in eine Kommission, die Fragen der Minderheitenrechte in Kärnten erörterte.
Das Ortstafelgesetz vom Juli 1972 legte fest, dass zweisprachige Ortstafeln überall dort aufzustellen sind, wo die Volkszählung von 1971 einen slowenischsprachigen Bevölkerungsanteil von mindestens 20 Prozent aufweist. Im "Ortstafelsturm" Anfang Oktober 1972 wurden die Ende September jenen Jahres aufgestellten zweisprachigen Ortstafeln wieder demontiert. Auch die ab Mitte Oktober wieder platzierten Ortstafeln wurden bis Jahresende gewaltsam entfernt oder die slowenischen Aufschriften beschmiert. Die jugoslawische Regierung drückte Österreich gegenüber ihre Besorgnis aus und verlangte die Erfüllung des Artikels 7 des Staatsvertrags.
Im November 1976 wurde eine "Volkszählung besonderer Art", eine "geheime Sprachenerhebung" in ganz Österreich durchgeführt. Die Kärntner Slowenen lehnten dies mit dem Argument ab, dass laut Staatsvertrag jeder Minderheit erwähnte Rechte zustehen, unbeschadet ihrer Größe.
Das Volksgruppengesetz von 1976 legte quasi als Durchführungsbestimmung des Artikels 7 des Staatsvertrages von 1955 fest, dass in allen Gemeinden mit mindestens 25 Prozent slowenischem Bevölkerungsanteil zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind. Das ergab 91 Ortschaften. Im Jahr 1972 wurde dies noch für 205 Orte bestimmt. Der im Volksgruppengesetz festgeschriebene Volksgruppenbeirat, der der Bundesregierung zur Beratung in Volksgruppenangelegenheiten dienen soll, wurde bis 1989 von den beiden Kärntner Slowenenverbänden (Rat und Zentralverband) boykottiert.
Im Dezember 2001 hob der Verfassungsgerichtshof die sogenannte 25-Prozent-Klausel auf. Eine neue Grenze von mindestens 10 Prozent Bevölkerungsanteil der Minderheiten wurde vom Verfassungsgerichtshof festgesetzt. Diese Entscheidung wurde nicht umgesetzt.
Eine vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel 2002 eingesetzte "Konsenskonferenz" scheiterte 2005 schlussendlich, nachdem im Mai 2005 einige zweisprachige Ortstafeln aufgestellt wurden. Das höchstgerichtliche Erkenntnis wurde von dem auf die Bundesverfassung angelobten damaligen Landeshauptmann Jörg Haider nicht anerkannt, der durch Maßnahmen, wie das Versetzen von Ortstafeln und das Anbringen kleiner Zusatztafeln zu einsprachigen Ortstafeln im Jahre 2006 eine Umsetzung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses weiter verhinderte.
Im April 2011 verkündeten Vertreter der Bundesregierung und des Landes Kärnten eine Einigung, dass in Orten mit mindestens 17,5 Prozent slowenischsprachiger Bevölkerung, beruhend auf dem Ergebnis der Volkszählung von 2001, die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln erfolge, die zunächst von Vertretern der Slowenenverbände beeinsprucht wurde. Ende April stimmten alle Beteiligten einem Memorandum zu, in dem festgehalten wurde, dass in 164 Ortschaften Kärntens zweisprachige Ortstafeln stehen sollen – mit Verzicht auf eine Minderheitenfeststellung, Zulassung von Slowenisch als zweite Amtssprache und taxativer Aufzählung, somit gesetzlicher Verankerung der Ortschaften im Gesetz.
Am 16. August 2011 feierten in Klagenfurt Vertreter der österreichischen und slowenischen Bundesregierung, des Landes Kärnten und der Slowenenverbände das Inkrafttreten des die Ortstafelfrage in Kärnten regelnden Verfassungsgesetzes.
Am selben Tag wurde in Bad Eisenkappel/Zelezna Kapla und Sittersdorf/Zitara mit der Aufstellung dieser Ortstafeln der bis Ende September 2011 anberaumte Vollzug des Gesetzes begonnen.