Augenzeugen des Untergangs

Das Jahr 1918 hat bei den damals Lebenden einen tiefgehenden, ja oft traumatischen Eindruck hinterlassen: der Zerfall aller gewohnten politischen und gesellschaftlichen Normen, ein Massenelend in nie gekanntem Ausmaß und eine Zukunft voll banger Fragezeichen. Dies spiegelt sich in den Interviews mit Augenzeugen und -zeuginnen ebenso wider wie in Tagebuchaufzeichnungen und Memoiren – ein widerspruchsreiches Mosaik individueller Erlebnisse und kollektiven Schicksals.

Ein subjektiver Zugang: Erinnerungsliteratur

Augenzeugen ... (1)

Das atmosphärische Bild, das die hier versammelten Originaltöne und Zitate aus Erinnerungswerken vermitteln, ist in vieler Hinsicht unvollständig und verzerrt. Neben der Subjektivität der Auswahl durch die Ausstellung selbst ist die Zufälligkeit der Überlieferung zu bedenken: All die Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, die nicht gemacht worden sind! Die nie geschriebenen Memoiren!

Menschenmenge vor dem Niederösterreichischem-Landhaus in der Wiener Herrengasse ©
Demonstration vor dem Landhaus in der Wiener Herrengasse

Augenzeugen … (2)

Originaltöne aus der Zeit 1914–18 sind für Österreich sehr dünn gesät. Hinzu kommt, dass erstaunlich wenig Zeit­zeugeninterviews zum Ersten Weltkrieg und zum Ende Österreich-Ungarns zur Verfügung stehen – ganz im Gegensatz zur rechtzeitigen systematischen Herstellung von „Oral-History-Interviews“ vor allem in angelsächsischen Ländern. Ein leider uneinbringliches Defizit ...

Jännerstreik 1918

Jännerstreik 1918 aus Sicht eines Polizeioffiziers

Franz Brandl

„...im Jänner 1918 zogen an die 300.000 Arbeiter unter kriegsfeindlichen Rufen, sofortigen allgemeinen Frieden fordernd, aus den Fabriken über die Ringstraße. Die sozialdemokratische Führung bemühte sich mit Erfolg, die Kundgebung innerhalb der Grenzen des bloßen Protestes zu halten; aber im Zuge marschierten schon einige tausend mit, die die Ausrufung der Sowjetrepublik Oesterreich verlangten...“

Franz Brandl

Franz Brandl

Kürzung der Kopfquote für Mehl

Josef Redlich

„Donnerstag, 17. Jänner
Die Kürzung der Kopfquote von Mehl bringt langsam aber sicher die soziale Bewegung und die Bewegung für den Frieden ins Rollen. Seit zwei Tagen stehen 200.000 Arbeiter im ganzen Wiener Becken, Floridsdorf, Arsenal im Ausstand: die Stimmung der Bevölkerung wird drohend. ...
Freitag, 18. Jänner
Der Streik der Arbeiterschaft dehnt sich in Wien aus, aber man merkt in den inneren Bezoreken nichts davon. Die Arbeiter stellen direkt die Forderung nach Frieden.
Samstag, 19. Jänner
Seit gestern abend erscheinen keine Zeitungen mehr in Wien ... die Tram verkehrt, die Gaswerke und das Elektrizitätswerk arbeiten.“

00:29:32 (00:07:59 bis 00:09:26) audio
Gewerkschaftskontakte mit dem Kriegsministerium Anfang 1918

Erinnerungen des sozialdemokratischen Politikers Julius Deutsch

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Otto Bauer über die Streiks

Julius Braunthal

„Mit Streiks allein kann man eine imperialistische Regierung nicht zwingen, revolutionäre Friedensvorschläge zu unterzeichnen; man muß sie stürzen.“

Augenzeugen … (3)

Es sind vor allem die Angehörigen höherer sozialer Schichten und die Gebildeteren, die hier das Wort ergreifen, bei den Kriegsteilnehmern z.B. fast nur Offiziere. Was hätten wohl die Mannschaften zu sagen gehabt? Aus einer Reihe von Gründen kommen außerdem vor allem deutschsprachige Zeitzeugen zum Zuge. Die Beschränkung auf die männliche Form – „Zeitzeugen“ – ist hier insofern zutreffend, als sehr viel weniger Zeugnisse von Frauen vorliegen, was das Bild weiter verzerrt.

Heimkehrende aus der russischen Gefangenschaft ©
Heimkehrende aus der russischen Gefangenschaft
Heimkehrer aus der russischen Gefangenschaft ©
Ein wortlos gebliebener Augenzeuge ...

Augenzeugen … (4)

Einige Augenzeugen erscheinen mit mehreren Aussagen, weil ihre Erinnerungen besonders interessant oder charakteristisch erscheinen. Dies gilt zum Beispiel vom homo politicus und Rechtsgelehrten Joseph Redlich, vom Polizeioffizier Franz Brandl und vom Tagebuch des Arbeiterdichters Alfons Petzold. Dass die politische Orientierung der Augenzeugen sehr unterschiedlich ist, geht meist aus den Äußerungen selbst hervor. Es ist zur Einschätzung mancher Aussagen dabei nicht unwichtig, darauf zu verweisen, dass eine Reihe der zu Wort Kommenden später Nationalsozialisten geworden sind, so Franz Brandl, Edmund Glaise-Horstenau, General Bardolff und der Schriftsteller Bruno Brehm.

Meuterei in der Kriegsflotte

Augenzeugen … (5)

Es liegen deutlich mehr Aussagen über Kriegsereignisse vor als über den Alltag, dessen rasch zunehmende Bedrängnis allerdings in vielen Äußerungen durchscheint. So ist es also eine sehr subjektive und punktuelle Sicht, die hier übermittelt wird, Erinnerungssplitter, die selbst eingeordnet und bewertet werden müssen.

"... Matrosen der Flotte hätten gemeutert ..."

Julius Braunthal

"Nicht allein die Matrosen des "Monarch" hatten gemeutert, sondern die ganze Flotte. ... Sie hatten den Admiral und die Offiziere der Kriegsschiffe entwaffnet und gefangengesetzt, Matrosenräte gewählt und die rote Fahne der Revolte gehißt."
 

Die k. u. k. Flotte in Cattaro vor Anker
Cattaro
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00:02:48 video

Der k. u. k. Kriegshafen Cattaro im Jahre 1915

"Sie kapitulierten kampflos"

Julius Braunthal

"... am dritten Tag der Meuterei liefen starke Seestreitkräfte von Pola ein. Die Matrosen ... sahen sich einer überwältigenden Übermacht gegenüber. Sie kapitulierten kampflos."
 

Friedensschlüsse, Friedensfühler

Friede mit Russland - Zitat von Alfons Petzold

Alfons Petzold

Alfons Petzold ©
Alfons Petzold
Das Erinnerungswerk von Alfons Petzold ©
Das Erinnerungswerk von Alfons Petzold
Josef Redlich ©
Josef Redlich

Dumpfe Unzufriedenheit

Josef Redlich

“... in Wien [herrscht] dumpfe Unzufriedenheit und das Volk, das jetzt mehr denn je hungert, erwartet sich nichts Gutes mehr von dem Blutvergießen und glaubt nicht mehr an einen Frieden, der aus Siegen Deutschlands erwächst.”

Die Tagebücher von Josef Redlich ©
Die Tagebücher von Josef Redlich

Skandal: Clemenceau veröffentlicht den kaiserlichen Brief

Franz Brandl

“Ein Jahr später [d. h. April 1918] kommt es zu dem großen Skandal: Clemenceau, gereizt von Czernin, veröffentlicht den kaiserlichen Brief, Karl erklärt ihn für eine Fälschung, Clemenceau nennt den Kaiser einen Lügner, Czernin verlangt des Kaisers Rücktritt von den Regierungsgeschäften, und da der Kaiser sich weigert, demissioniert er.”

Aufplatzen der "Sixtus-Affäre" vor dem Hintergrund "akutester Hungersnot"

Josef Redlich

"Freitag, 12. April
Gestern kam die offizielle Mitteilung von den Briefen des Kaisers heraus, von einem Telegramm begleitet, das Kaiser Karl an Kaiser Wilhelm richtete ...
Inzwischen mehren sich die Zeichen der akutesten Hungersnot und Fritz telephonierte mir gestern, daß er in der nächsten Woche kein Mehl mehr für die Stadt Göding hat!"

Brief von Kaiser Karl an Sixtus ©
Brief Kaiser Karls an Prinz Sixtus
00:00:20 audio
Kaiserin Zita zum Bekanntwerden der "Sixtus-Affäre"
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Kaiserin Zita
Kaiserin Zita

Hungerkrise

Bittere Satire auf die Versorgungskrise

Josef Redlich

“Ich glaube an den Herrn Ernährungsminister, an die seligmachende Mairübe, die Ernährerein der rayonierten Volksmassen. Ich glaube an die stammverwandte Runkel- und Steckrübe ...”

"Kinder aufs Land!"

Alice Herdan-Zuckmayer

"... die Reise [ging] ... in die französische Schweiz. Es war eine "Reise ins Paradies", denn der Hunger war für die meisten von uns eine tägliche Qual geworden."

Ein berühmter Gelehrter hungert

Josef Redlich

"Carl Menger schreibt mir, ob ich ihm Mehl verschaffen könnte! Das hat mich tief ergriffen: so sieht es mit unseren alten Lehrern aus!"

Heimkehr in eine verarmte Stadt

Frank Varny

“Der Platz vor dem Nordbahnhof bot ein anderes Bild als bei meiner Abfahrt. Keine begeisterte Menge ... nur ein paar armselige Frauen standen da, die ihre Heimkehrer erwarteten. ... Vor dem Ausgang stand ein einziger Einspänner.”

Sommer 1918

Willy Elmayer-Vestenbrugg ©
Willy Elmayer-Vestenbrugg

"Piave überschreiten"

Willy Elmayer-Vestenbrugg

“Anfangs lief alles planmäßig. ... Wir wurden schließlich zurückgenommen; die letzte große Offensive der k. u. k. österreichisch-ungarischen Armee war zusammengebrochen.”

01:43:58 (01:22:30 bis 01:25:34) audio
Falsche Gerüchte über die Piaveschlacht und Kaiserin Zita

Der Historiker Heinrich Benedikt erzählt aus seinem Leben

Details
Heinrich Benedikt ©
Heinrich Benedikt

Sommer und Herbst 1918

Ernst Krenek ©
Ernst Krenek

D´Annunzio über Wien

Ernst Krenek

“Plötzlich erregte eine kleine Gruppe von Flugzeugen in großer Höhe meine Aufmerksamkeit. ... Damals wußte ich noch nicht, daß ich den berühmten, von Gabriele D´Annunzio angeführten Luftangriff gesehen hatte, den einzigen, dem Wien während des ersten Krieges ausgesetzt war.”

Zertrümmerung der mazedonischen Front

Josef Redlich

"Samstag, 28. September
Gestern kam die Nachricht von der Zertrümmerung der mazedonischen Front, von dem Abfall der Bulgaren, von ihrem Anerbieten des Friedens! In Wien wahre Panik ..."

US-Karikatur über österreichisch-ungarische Friedensbemühungen ©
US-Karikatur über österreichisch-ungarische Friedensbemühungen

Alfons Petzold

7. Oktober. Die Weltgeschichte rollt jetzt mit kinematographischer Geschwindigkeit ab. Vorgestern Einsetzung einer demokratischen friedensfreundlichen Regierung in Deutschland, gestern Angebot von Friedensverhandlungen der Mittelmächte an die Entente auf Grundlage der 14 Punkte des Wilsonschen Friedensprogrammes. 
Ob sich die Franzosen damit zufrieden geben werden?"

Hoffen auf Wilsons "14 Punkte"

Josef Redlich

"..."man" hofft oben, daß, wenn wir und Deutschland feierlich die 14 Punkte Wilsons annehmen und den Ostfrieden aufgeben, wir von der Entente den Frieden bekommen ..."

Warten auf die Antwort Washingstons

Josef Redlich

"Sonntag, 6. Oktober
Seitdem gestern die Veröffentlichung der Friedensanerbietung der Zentralmächte auf Grund der Annahme der 14 Punkte Wilsons erfolgt ist, wartet alles auf die Antwort Washingtons. ... völlige Kopflosigkeit und Panik in Berlin."

Der Vielvölkerstaat zerfällt

Loyalitätskonflikte im Haushalt

Alice Herdan-Zuckmayer

"   Unser Stubenmädchen Bozena kniete auf dem steinernen Küchenboden, schrie und weinte ... "Zwai Brider tot, baide gegen Russen gefallen!" Zu meinem Entsetzen hörte ich Luise Bozena anschreien: "Wär dir lieber gewesen, wenn sie in russischer Armee fallen hätten können ... Bist du Verräterin, hast du Unsern Kaiser nicht gern, hat man böse Feindin im Haus, bist du Verräterin, du!" Luise verließ wütend die Küche.
   Ich hob Bozena auf, aber sie wich zurück und sprach mit völlig veränderter Stimme ... "werd ich rausgeschmissen. Macht nix. Geh ich zurück in Heimat meiniges, wo ich gehör hin, und werd ich dort warten, wann kommen die Russen und werden befreien unser schönes Land von gehaßte Österreichische."
   ... Ich lief ins Wohnzimmer, dort stand Luise noch immer. Ich trat auf sie zu und sagte: "Luise, das war nicht gut von Ihnen, Sie sind doch Böhmin, und so bös zu einer Slawin!"
   Sie antwortete: "Bin ich kaisertreu, hab ich gern unsern Kaiser ... bin ich gern bei euch""

"Die Polen ..., die Tschechen ..."

Josef Redlich

“Die Polen haben heute in der Delegation erklärt, daß sie sich als Bürger des freien Polen betrachten ... Die Tschechen verlangen, als selbständige Nation angesehen zu werden ...”

Ungarn geht

Alfons Petzold

Eine Föderation statt eines Reiches?

Josef Redlich

"Mittwoch, 16. Oktober
... Die Morgenzeitungen bringen die Rede des vom Kaiser wiederberufenen Wekerle, welches die Proklamierung des völlig unabhängigen Ungarn, bloß durch Personal-Union ... gebunden, vornimmt."

 

Keine nationalen Gegensätze in der Armee? Sicht eines Offiziers

03:11:25 (00:23:28 bis 00:25:07) audio
Keine nationalen Spaltungen in der Armeeeinheit

Curt Schuschnigg im Gespräch mit Gerhard Jagschitz

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Thomas G. Masaryk ruft den tschechoslowakischen Staat aus. 18. 10. 1918, Philadelphia, USA ©
Thomas G. Masaryk ruft den tschechoslowakischen Staat aus.
18. 10. 1918, Philadelphia, USA

Gespenst der "Spanischen Grippe"

Alfons Petzold

"11. Oktober. Hier ist eine arge Grippeepidemie ausgebrochen. Hedwig und Christl machen mir Sorgen, da beide stark husten.
14. Oktober. Christl an Masern erkrankt. Hedwig stark verkühlt. Wir sehen das Gespenst der “spanischen Grippe” vor und auftauchen."
 

Wilson lehnt ab

Josef Redlich
"Wilson lehnt es ab, auf der Basis der 14 Punkte mit uns zu verhandeln, weil sich inzwischen Veränderungen zugetragen haben, die berücksichtigt werden müssen, insbesondere die Anerkennung der tschechisch-slowakischen und jugoslawischen Nationalregierungen!"

Franz Brandl

"18. Oktober.
In den Straßen ist es unruhig. Gruppen bilden sich, die das Fortdauern des Scxhießens an der Front bekritteln. “Aufhören! Es hat doch keinen Sinn mehr!” In den Wirtshäusern dasselbe Murren. Generalstreikgerüchte."
 

Geburt des neuen Österreich

Menschenmenge vor dem Niederösterreichischem-Landhaus in der Wiener Herrengasse ©
Menschenmenge vor dem Landhaus

Alfons Petzold

“21. Oktober. Konstituierung der deutsch-österreichischen Nationalversammlung

00:01:05 audio
21. Oktober: Provisorische Nationalversammlung beginnt ihre Arbeit

Staatskanzler Renner

Details

"Schluß machen!"

Franz Brandl

“Bei Gräf&Stift sind achthundert Arbeiter in den Ausstand getreten, weil zwei Vertrauensmänner einrückend femacht werden sollen. Auch aus anderen Fabriken kommen Nachrichten, daß es unter den Arbeitern gärt. ”Schluß machen!"

Provisorische Nationalversammlung im Landhaus ©
Provisorische Nationalversammlung

Die Nationalversammlung tagt

Franz Brandl

"Die Nationalversammlung im Gebäude des niederösterreichischen Landhauses in der Herrengasse. ... Die Herrengasse und die umliegenden Gassen sind von Tausenden erfüllt; der Parteirichtung nach sind es zumeist Sozialdemokraten und Deutschnationale, die Christlich-
sozialen blieben zu Hause. ...
Es ist ein stetes Gehen und Kommen. Tausende ziehen ab, andere Tausende kommen. Offiziere werden angehalten und veranlaßt, die kaiserliche Kokarde von der Mütze zu nehmen. ...
In den Straßen klirren einige Fensterscheiben. Die Polizei geht an die Arbeit, reitet Attacken und verhaftet. Bald ist wieder Ruhe."

Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes in Österreich

Franz Brandl

“Im niederösterreichischen Landtag nahmen die Christlichsozialen Stellung zum Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes in Österreich, natürlich positiv. Allein die Begeisterung war nicht groß.”

Republik oder Festhalten am monarchischen Prinzip?

Franz Brandl

“In der konstituierenden Nationalversammlung ... erklärte Dr. Viktor Adler, daß die Sozialdemokraten bereit seien, an der Bildung eines neuen Staatswesens mitzuwirken, natürlich nur auf breitester demokratischer Grundlage und in der Form einer Republik. ... Die Christlichsozialen betonten ihr Festhalten am monarchischen Prinzip, überließen aber alles der Konstituante.”

Regierungskrise in Ungarn

Katharina Károlyi

"... [Michael Károlyi] sollte  ... Politiker des  linken Flügels vorschlagen, mit denen der König Kontakt aufnehmen sollte. Sooft Michael einen Namen nannte, fragte König Karl: "Ist er Jude?"
Und nach zwei oder drei Tagen sagte der König ... er werde Michael zum Ministerpräsidenten ernennen ...
Onkel Duci (Außenminister Graf Andrassy] habe gereizt geantwortet: "Wenn Euer Majestät Károlyi ernennen, können Sie mich gleich ins Irrenhaus schicken.""

Die drei Präsidenten der provisorischen Nationalversammlung ©
Die drei Präsidenten der provisorischen Nationalversammlung

Die kaiserliche Regierung aktionsunfähig, die Situation chaotisch

Josef Redlich

"Die Regierung fühlt ihre vollkommene Aktionsunfähigkeit. ... 
An der Piave ist ein Durchbruch erfolgt, Kroatien hat sich feierlich vom Haus Habsburg gelöst. ... 
Triest wird evakuiert, ...
Nachmittag wird die neue deutschösterreichische Regierung gebildet, ... 
Der Kaiser hat die Flotte dem neuen jugoslawischen Staat geschenkt."

Chaotische politische Lage

Franz Brandl

"Andrassy trat angesichts der nach ihm rufenden Menge auf den Balkon und sagte: " Meine Herren! ... Das Land und der Friedenskaiser ..." Da kam es zu stürmischen Unterbrechungen: "Pfui Andrassy! Anschluß an Deutschland! Oesterreich ist eine Republik!" ...
Die Slowenen, Kroaten und bosnischen Serben haben sich von der Monarchie losgesagt und vereinigen sich mit Serbien zu einem Reich. ...
In Schönbrunn "regiert" aber noch der Kaiser, und es tagt noch ein Parlament. Massen ziehen über die Ringstraße mit dem Schrei: "Wir wollen die Republik! Nieder mit Habsburg!""

Feldmarschalleutnant Carl von Bardolff ©

Feldmarschall-Leutnant Carl v. Bardolff

Eine Demütigung

Carl v. Bardolff

"... ein Haufen von etwa 300-400 Menschen kreiste ihn [den Wagen] ein. ... In wenigen Augenblicken waren alle Glasscheiben mit Stöcken unter tosendem Gebrüll zertrümmert und die Kappen uns vom Kopf gerissen. Ohne die Kokarden mit dem kaiserlichen Namenszug flogen sie wieder in den Wagen, und die Horde schrie dem Fahrer zu: "So, jetzt kannst wieder weiterfahren, du blöder Kerl. Heil die Republik!""

"Finis Austriae!"

Edmund Glaise-Horstenau

"Soviel ich mich erinnere, bedeuteten die [Reden] der Deutschnationalen und der Sozialisten schon eine recht merkbare Absage an das alte Reich, indes die Christlichsozialen ausdrücklich die Hoffnung hervorhoben, daß die alte Völkerfamilie entsprechend erneuert beisammenbleibe. ...
Finis Austriae!"

Eine neue Regierung

00:29:32 (00:09:28 bis 00:10:06) audio
Umsturz alles Bestehenden

Erinnerungen des späteren sozialdemokratischen Politikers Julius Deutsch

Details
Staatskanzler Renner ©
Staatskanzler Renner

Armee an der Südwestfront in voller Auflösung

Josef Redlich

"Die Offiziere werden zum Teil von Straßenjungen gezwungen, an die Stelle der Rosette die nationale Kokarde zu setzen. Der Portier beim Militärkommando verkauft die Rosetten! Durch den Beschluß des gemeinsanen Ministerrates ist das legalisiert. Jeder Soldat kann zu dem Heere der Nation sich melden, zu der er gehört.
... Die ganze Armee an der Südwestfront ist in fluchtartigem Rückzug und voller Auflösung begriffen: infolge der kaiserlichen Armee-Erlässe besteht keine österreichisch-ungarische Armee mehr."

Alfons Petzold

“2. November. Hier ist eine schreckliche Panikstimmung, die wildesten Gerüchte schwirren herum und selbst dem nervenstärksten Menschen ist es schwer, ruhig zu bleiben."

Die Krise aus Polizeisicht

Franz Brandl

"... reißen Offizieren die Sterne von der Montur ...
Der Vorstand des Gremiums der Hoteliers, hat die Hotelbesitzer angewiesen, ihre Aufschriften, soweit sie die Worte "Habsburg", "Oesterreich", "Kaiser", "König" enthalten, zu überkleben.
Die nicht deutschösterreichischen Soldaten ziehen in ihre Heimat ab. ...
Abends: Große Soldatenversammlung beim Lembacher auf der Landstraße ... Die Leute bemühen sich, zu einer Führung und Organisation und damit selbst zu Ruhe und Ordnung zu kommen. Die Worte klingen natürlich sehr radikal. ...
Zweitausend Soldaten, geführt von Offizieren, ziehen mit roten Fahnen vor das Kriegsministerium.
Aus Budapest kommt die Nachricht, daß Tisza in seiner Wohnung von Soldaten ermordet wurde."

Bolschewismus?

Edmund Glaise-Horstenau

"Auf der Treppe begegnete ich Dr. Renner, seit dem Vortage Staatskanzler des neuen Österreich. Ich fragte ihn, ob wir den Bolschewismus zu fürchten hätten. Er meinte: "Bolschewismus wäre wenigstens organisierte Anarchie, wenn wir nur keine unorganisierte bekommen!"
Aufregende Gerüchte kamen. In Budapest war Tisza ermordet und ... Michael Károlyi zum allerdings noch königlichen Ministerpräsidenten ernannt worden."

00:42:59 (00:03:40 bis 00:05:02) audio
Kindheitserinnerungen des Thronfolgers an das Ende des Krieges

Interview mit Otto Habsburg-Lothringen

Details

Ungarn

Trennung Ungarns von Österreich

Arthur Koestler

"Es ist Graf Mihály Károlyi, der eben die Trennung Ungarns von Österreich und seine Wiedergeburt als eine unabhängige, freie, demokratische Republik proklamiert hat ...
Mein Vater und ich marschieren mit und kommen in Hochstimmung nach Hause; wir sind beide glühende ungarische Patrioten. Meine Mutter verhält sich mißbilligend; Sie ist Wienerin ..."

Eine Straßendemonstration folgt der anderen

Julius Hay

"In jenen Tagen folgte eine Straßendemonstration der anderen. Studenten, Arbeiter, Soldaten. ...
Es gab dann noch einen "Sturm auf die Burg"! Da wurden wir von einer Seite von bosnischen Soldaten in feldgrauem Fes empfangen, die kein Wort von den Parolen verstanden, die wir ihnen entgegenriefen. Trotzdem haben sie nicht geschossen. ... Zersprengt, blutig geschlagen und weggejagt wurden wir von den berittenen Polizisten, die mit der flachen Klinge auf uns losgingen. Sie waren Ungarn und haben unsere Worte verstanden; die Worte schon. Den Sinn nicht. Sie waren Polizisten."

Blutvergießen vermieden

Katharina Károlyi

"...das neue Kabinett Károlyi sei ernannt worden. Auf diese Weise sei Blutvergießen vermieden worden. Michael habe die Situation gerettet. ...
In der fieberhaften Situation blieb Tiszas Ermordung so gut wie unbeachtet."

Das Ende der gemeinsamen Armee

Soldaten auf der Heimreise. ©
Soldaten auf der Heimreise.

Verpfuschter Waffenstillstand

Edmund Glaise-Horstenau

""Stelle dir vor, ein furchtbares Mißverständnis! Wir haben bereits den Befehl zum Einstellen des Feuers an der ganzen Front gegeben und jetzt erklären die Italiener, daß der Waffenstillstand erst morgen um drei Uhr nachmittags in Kraft treten werde!"
Das  Mißverständnis entstand araus, daß wir in unserer Sehnsucht nach Waffenruhe irrtümlich annahmen, ein uns aus der Villa Giusti gesandter Entwurf... sei mit der Annahme durch uns bereits perfekt."

Vittorio Veneto

Willy Haas

“Ich habe sogar die siegreiche Endschlacht Italiens bei Vittorio Veneto als österreichischer Offizier mitgemacht, ... die aber nach meinem besten Wissen und Gewissen niemals stattgefunden hat, sondern die einfach darin bestand, daß italienische Feldartillerie in die abmarschierenden österreichischen Kolonnen hineinschoß, ohne besonderen Schaden zu stiften, und die Enden der Kolonnen zu Gefangenen zu machen ...”

01:10:44 (00:21:31 bis 00:24:26) audio
Rückzug in voller Ordnung

Erinnerungen eines Offiziers und Wertung des Historikers. Friedrich Engel-Janosi

 

Details
01:10:44 (00:26:11 bis 00:26:43) audio
Rückzug

Erinnerungen eines Offiziers und Wertung des Historikers. Friedrich Engel-Janosi

Details

Nachricht vom Waffenstillstand in Wien

Franz Brandl

"4. November
Die ersten Heimkehrer von der Front passieren Wien. In den Bahnhöfen an der Peripherie werden Kontrollstationen zur Entwaffung eingerichtet. ...
Abends erzählt man sich von der Katastrophe an der italienischen Front. Die Waffenstillstandsverhandlungen waren so geführt worden, daß die Oesterreicher die Waffen 24 Stunden früher niederlegten als die Italiener. Dadurch wurde den Italienern ein Vormarsch ermöglicht und hunderttausend Oesterreicher gerieten in Kriegsgefangenschaft, was Italien später den Sieg von "Vittorio Veneto" genannt hat. Die Erbitterung ist grenzenlos. Man vermutet böse Absicht, um leichter demobilisieren zu können."

Ankunft von Soldaten am Südbahnhof in Wien ©
Ankunft von Soldaten am Südbahnhof in Wien
01:10:44 (00:09:20 bis 00:11:13) audio
Nach der Piaveschlacht

Erinnerungen eines Offiziers und Wertung des Historikers. Friedrich Engel-Janosi

Details
Friedrich Engel-Janosi ©
Friedrich Engel-Janosi
01:43:58 (01:28:25 bis 01:31:30) audio
Über den Zusammenbruch und Nachruf auf die k.u.k. Armee

Der Historiker Heinrich Benedikt erzählt aus seinem Leben

Details
03:11:25 (00:26:36 bis 00:27:42) audio
Stimmung gegen die Offiziere nach dem Waffenstillstand

Curt Schuschnigg im Gespräch mit Gerhard Jagschitz

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Curt Schuschnigg ©
Curt Schuschnigg

Gefangennahme

Kurt Schuschnigg

“Wenige Tage später kam die Waffenstillstandsbotschaft. Sie ward mit innerer Erleichterung von allen aufgenommen. Dann folgte, uns allen unbegreiflicherweise, die Gefangennahme. Niemand von uns konnte sich diese Entwicklung der Dinge zusammenreimen, da alle an den Waffemstillstand glaubten.”

Soldaten! Die Waffen ruhen, der Frieden ist da Bekanntmachung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen. 1918 ©
Aufruf der neuen deutschösterreichischen Regierung
Heimgekehrte Soldaten verkaufen Stücke ihrer Montur ©
Heimgekehrte Soldaten verkaufen Stücke ihrer Montur

"Verfluchtes Gesindel, mit euch werde ich noch abrechnen"

Ernst Rüdiger Starhemberg

"Einige hatten rote Armbinden. Etwa 12 bis 15 hieben mit den Fäusten auf zwei junge Offiziere ein, rissen ihnen die Sterne (das Abzeichen des österreichischen Offiziersranges) herunter, rissen ihnen Kriegsauszeichnungen von der Brust und warfen sie in den Kot. Ein paar Zivilisten brüllten und Weiber kreischten dazu "schlagt sie tot, die Offiziersschweine! Nieder mit den kaiserlichen Hunden!" Ich ging rasch näher, um den angegriffenen Kameraden zu Hilfe zu kommen. ... schon spürte ich die ersten Faustschläge. Einer wollte mir das Offiziersporteppee vom Säbel reißen, dabei zog er diesen aus der Scheide. Indem sie einen Rinnstein zu Hilfe nahmen, zerbrachen die Kerle die Klinge ... Auch mir wurden die Sterne und Tapferkeitsmedaillen heruntergerissen, die "Große Silberne" mit dem Bild des Kaisers flog in den Straßengraben. ... Ich spuckte das Blut aus und hob die zerbrochenen Stücke meines Säbels und die Tapferkeitsmedaille auf. "Verfluchtes Gesindel", dachte ich, “mit euch werde ich noch abrechnen.”"

03:11:25 (00:25:00 bis 00:26:09) audio
Ressentiments nach der Gefangennahme Anfang November

Curt Schuschnigg im Gespräch mit Gerhard Jagschitz

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Offizierskragen ohne Distinktionen ("Sterne") ... ©
Offizierskragen ohne Distinktionen ("Sterne") ...
Ernst Rüdiger Starhemberg ©
Ernst Rüdiger Starhemberg
01:10:44 (00:24:27 bis 00:25:27) audio
"Wir haben unser Vaterland verloren!"

Erinnerungen eines Offiziers und Wertung des Historikers. Friedrich Engel-Janosi

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Kein Vaterland mehr

Kurt Schuschnigg

“So zogen wir zweitausend Offiziere in Reih und Glied am 4. November ... in tagelangen Märschen landeinwärts ... Alle leibliche Not wog gering gegen den unerhörten Druck, der seelisch auf dem Österreicher lasten mußte, ... daß er kein Vaterland mehr hatte.”

01:10:44 (00:25:28 bis 00:26:09) audio
Anschluß an Deutschland?

Erinnerungen eines Offiziers und Wertung des Historikers. Friedrich Engel-Janosi

Details
Bruno Brehm ©
Bruno Brehm
00:55:45 (00:28:34 bis 00:29:54) audio
Kriegsheimkehrer mit Hass auf demokratische "Redereien" und Soldatenräte

Interview mit dem Schriftsteller Bruno Brehm

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00:55:45 (00:27:24 bis 00:28:00) audio
In der Armee zuhause

Interview mit dem Schriftsteller Bruno Brehm

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Die Gefühlslage

Aufmarsch von Arbeiterräten vor dem Parlament ©
Aufmarsch von Arbeiterräten vor dem Parlament

Die neue Republik

Anwerbungen für die "Volkswehr"
Anwerbungen für die "Volkswehr"

Franz Brandl

"7. November.
Die deutsch-böhmischen Soldaten werden bei der Ankunft in Gmünd, das von den Tschechen bereits besetzt ist, kontrolliert und soferne sie sich nicht zum tschechoslowakischen Staat bekennen, interniert. Daher gehen in Hinkunft die Transporte über Tulln-St. Pölten-Passau nach Eger.

Franz Brandl

“In der Regierung führen die Sozialdemokraten das große Wort, aber auch sie haben die Volkswehr nicht in der Hand. Die ist stark kommunistisch durchsetzt und die ”Rote Garde" bemüht sich, sie ganz zu sich herüber zu reißen. Das Soldatenblatt des Unterstaatssekretärs Deutsch, “Der freie Soldat”, das radikal genug ist, wird an Schärfe überboten vom “Roten Soldat”. Es wird bereits ganz offen von einem bewaffneten Putsch der Volkswehr gesprochen. Aber die Arbeiterschaft ist gegen die Soldateska."

Warum das historische Österreich ersetzt werden mußte

Josef Redlich

"Die Gründung des deutsch-österreichischen Staates vom 21. Oktober war ... die unvermeidliche Antwort auf das Inslebentreten der beiden slawischen Staaten, die nach dem Manifeste offen als völkerrechtlich konstituierte Verbündete der Entente sich erklärten und dadurch den neuen deutsch-österreichischen Staat vollends nötigten, das Band, das ihn mit der Idee des historischen Österreich und des Kaisertums verband, glatt durchzuschneiden.
... Nachricht von der Abdankung Kaiser Wilhelms II. ..."

Volkswehr, KP, Räte

Franz Brandl

"3. November
Die Aufnahmen zur Volkswehr und zur polizeilichen Stadtschutzwache beginnen. Riesiger Zulauf. ...
In den Eichensälen hat sich die kommunistische Partei konstitiert. ....
"Arbeiter, Soldaten!", haranguiert ein Flugzettel, "eine neue Zeit bricht an. Die Revolution, die in Rußland begonnen, setzt sich jetzt bei uns fort. ... Arbeiter, wählt aus Eurer Mitte Arbeitskameraden, einen Arbeiterrat! Soldaten, erklärt, daß Ihr keine Offiziere mehr kennt! ... Tretet in die Rote Garde ein zum Schutz des Proletariats!""

Alfons Petzold

“9. November. In Bayern ist der König über Nacht abgesetzt und eine Volksregierung unter Kurt Eisner als Präsident eingesetzt."

Soldaten! Die Waffen ruhen, der Frieden ist da Bekanntmachung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen. 1918 ©
Soldaten! Die Waffen ruhen, der Frieden ist da

"Nun ist das alte schwarzgelbe Österreich für immer tot!"

Josef Redlich

"Als Banhans an Lammasch Worte des Abschieds richtete, begann er zu weinen und Lammasch antwortete schluchzend ... er habe die schwerste Aufgabe seines Lebens übernommen ... Die Ereignisse in der Welt seien so überstürzend und übermächtig gekommen, daß ein anderer Weg nicht möglich war. Wir alle hatten Tränen in den Augen ... Ich empfand die ganze Szene fast als eine physische Pein; als ich durch den Vorsaal ging, sagte ich zu zwei  Ministerkollegen: "Nun ist das alte schwarzgelbe Österreich für immer tot!""

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00:42:59 (00:05:18 bis 00:05:50) audio
Von Schönbrunn nach Eckartsau und in die Schweiz

Interview mit Otto Habsburg-Lothringen

Details

Alfons Petzold

“11. November. Der deutsche Kaiser ist mit seiner Familie nach Holland geflohen.”

Der Kaiser und seine Regierung gehen, Victor Adler stirbt

Franz Brandl

"11. November
Von einer Tätigkeit christlichsozialer oder deutschnationaler Parteiführer sieht und hört man nichts. Als ob sie der Erdboden verschluckt hätte! Rot ist Trumpf!
Der Kaiser hat auf die Ausübung der Regierungstätigkeit verzichtet. Er hat sich lange gewehrt. ...
Das letzte gesamt-österreichische Kabinett Lamasch [sic!] hat demissioniert.
Heute ist Viktor Adler einem Herzschlage erlegen."

Die letzte Sitzung des Reichsrates ©
Letzte Sitzung des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 12. 11. 1918.
Ausrufung der Republik - Menschenmenge vor dem Parlament ©
Ausrufung der Republik in Wien
Details
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Die falsche Fahne ...

Üble Vorbedeutung für einen neu gegründeten Staat

Richard A. Bermann (Arnold Höllriegel)

“Der Präsident der Nationalversammlung, Karl Seitz, trat sodann mit den anderen Mitgliedern des Präsidiums und der Regierung auf die Parlamentsrampe hinaus. Schon während der Proklamation der Verfassung  war es unten auf der Straße unruhig geworden; ... Dann kam der Augenblick, in dem die rotweißroten Fahnenen hochgezogen werden sollten. Es entstand ein kurzes Getümmel - und dann stieg an den beiden Flaggenmasten je eine zerrissene verstümmelte Fahne hoch. Irgendjemand hatte den weißen Streifen aus beiden Flaggen herausgeschnitten; ein unordentlicher roter Lappen stieg durch die Luft bis zur Spitze der hohen Stange, die noch mit dem Doppeladler der Habsburger gekrönt war. Wenn es je eine üble Vorbedeutung für einen neu gegründeten Staat gegeben hat, hier war sie.”

Tumultuarische Republiksausrufung

Franz Brandl

"12. November
... während der Ansprache des ersten Präsidenten sollte die neue Fahne Rot-weiß-rot an den beiden Masten in die Höhe gehen. Aber da gab es bei einem derselben einen Tumult. ... statt der rot-weiß-roten wird eine rote Fahne hinaufgekurbelt. Unter Aufregung geht die Feier zuende. ...
Da wird von der Straße gegen das Gebäude geschossen ... Und plötzlich steht die Rote Garde, vierhundert Mann, auf der Rampe, und es hebt ein allgemeines Streiten an ... 
"Aus dem Parlament ist zuerst auf uns geschossen worden ... sogar mit einem Maschinengewehr." 
"Aber das war doch ein Rollbalken, der herabgelassen wurde, der hat einen solchren Lärm gemacht."
"Es waren Schüsse."
"Nein, ein Rollbalken.""

"Die Menge stob schreiend auseinander"

Frank Varny

“... ein paar Mitglieder des Volkswehrbataillons 41 ... schnitten aus der linken Fahne den weißen Mittelstreifen heraus, so daß eine rote Fahne, allerdings in Fetzen, hochging. Der rechte Mast zeigte die rot-weiß-rote Fahne. Der Menge bemächtigte sich eine ungeheure Erregung, Pfiffe, Pfuirufe, aber auch Hochrufe ertönten, alles drängte sich gegen die Mitte; Frauen begannen zu kreischen. Das Tor des Parlamentsgebäudes wurde eiligst geschlossen. Da ertönten plötzlich Schüsse, die Menge stob schreiend auseinander und in wenigen Minuten war der Platz leer, nur ein paar Verwundete lagen blutend auf dem Pflaster.”

Ausrufung der Republik in Graz ©
Ausrufung der Republik in Graz

Chronik

Das Jahr 1918

6. Jänner

Tschechische Parlamentarier und Landtagsabgeordnete der Böhmischen Krone verlangen ein Recht auf nationale Selbstbestimmung.

8. Jänner

US-Präsident Woodrow Wilson proklamiert ein 14-Punkte-Programm, das einem künftigen Friedensschluss zugrunde liegen soll. Darunter befindet sich bezüglich Österreich-Ungarn folgender Punkt: "Den Völkern von Österreich-Ungarn, deren Platz wir unter den anderen Nationen sichergestellt zu sehen wünschen, soll die erste Gelegenheit zu einer autonomen Entwicklung gegeben werden".

14. bis 20. Jänner

"Jännerstreik" der Arbeiterschaft gegen die herrschende Lebensmittelknappheit und für eine Beendigung des Krieges.

1. Februar

Im Hafen Cattaro in Süddalmatien meutern Matrosen der k. u. k. Kriegsmarine.

6. Februar

In Wien stirbt der Maler Gustav Klimt (geb. 14. Juli 1862).

9. Februar

Die Mittelmächte schließen mit der Ukraine, die sich von der Sowjetunion getrennt hat, den Sonderfrieden von Brest-Litowsk. Ostgalizien wird ein eigenes Kronland der Monarchie. Die vereinbarten Getreidelieferungen der Ukraine an die Mittelmächte ("Brotfrieden") kommen in dieser Form nicht zu Stande.

11. Februar

Die tschechischen Parteien fordern in Prag die Gründung einer tschechischen Republik unter Einschluss der deutschsprachigen Gebiete.

3. März

Unterzeichnung des Friedensvertrags von Brest-Litowsk zwischen den Mittelmächten und der "Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken". 

18. März

Die wöchentliche Fettquote wird in Wien auf 40g reduziert.

21. März

Beginn der großen deutschen Frühjahrsoffensive. Das deutsche Heer unternimmt eigentlich eine ganze Reihe von Offensiven, die allesamt, trotz großer anfänglicher Erfolge, den erhofften Sieg nicht bringen.

2. April

Der Minister des Äußeren Ottokar Graf Czernin erklärt im Wiener Gemeinderat, dass mit Frankreich Friedensverhandlungen geführt wurden, diese jedoch an der Forderung Frankreichs nach Elsaß-Lothringen gescheitert sind.

11. April

Der Architekt Otto Wagner (geb. 1841) stirbt in Wien.

12. April

Der französische Ministerpräsident Georges Clémenceau veröffentlicht als Antwort auf die Rede des Ministers des Äußeren Ottokar Graf Czernin den Inhalt des Sixtus-Briefes (siehe März 1917). Dadurch sinkt auch das Vertrauen der Verbündeten in Kaiser Karl. Der Minister des Äußeren Ottokar Graf Czernin tritt zurück, sein Nachfolger wird Stephan Graf Burián von Rajecz.

13. April

Deutsche und finnische Truppen besetzten Helsinki, die bolschewistischen Roten Garden werden zurückgedrängt. Der finnische Bürgerkrieg endet, durch deutsche Truppenhilfe, für die bürgerlichen finnischen Kräfte am 5. Mai 1918 siegreich.

20. April

Der Schauspieler Alexander Girardi (geb. 1850) stirbt in Wien.

30. April

General Ottokar Landwehr, der Chef des Ernährungsausschusses, beschlagnahmt auf der Donau deutsche Getreideschlepper, um die Versorgung Wiens aufrechterhalten zu können.

4. Mai

Feldmarschall Hermann Albin Josef Baron Kövess von Kövessháza wird von Kaiser Karl I. zum „letzten“ Oberkommandierenden der k. u. k. Armee ernannt.

7. Mai

Der Friede von Bukarest zwischen Rumänien und den Mittelmächten wird unterzeichnet.

30. Mai

Deutsche Truppen bilden einen Brückenkopf an der Marne. Viele Einwohner von Paris verlassen die Stadt.

31. Mai

In den USA schließen tschechische und slowakische Exilgruppen das Pittsburgher Abkommen, nach dem der gemeinsame neue Staat aus den alten Böhmischen Ländern und der Slowakei bestehen sollte. Die Slowakei soll eine autonome Verwaltung, einen eigenen Landtag und einen eigenständigen Justizapparat haben.

6. Juni

Der deutsche Angriff an der Aisne, die Operation "Blücher-Yorck" endet. Die deutschen Angriffspitzen sind bis auf 92 Kilometer an Paris herangerückt, dann läuft sich der Angriff fest.

15. bis 23. Juni

Die zweite Schlacht am Piave vom 15. bis zum 22. Juni 1918 war der letzte Großangriff der k. u. k. Armee und zugleich der letzte Versuch der Donaumonarchie, den Krieg gegen Italien siegreich zu beenden. Die großangelegte Offensive, die anfangs offiziell Junischlacht in Venetien benannt werden sollte, wurde jedoch ein völliger Fehlschlag. Nach der Schlacht befanden sich die italienischen ebenso wie die österreichisch-ungarischen Truppen wieder in ihren Ausgangsstellungen.

28. Juni

In den USA veröffnet Präsident Woodrow Wilson die Erklärung zur "Befreiung der slawischen Völker" von der Herrschaft Österreichs und des Deutschen Reiches.

Am gleichen Tag beginnen die Kämpfe der Roten Armee mit amerikanischen und britischen Truppen nahe Murmansk.

29. Juni

Edvard Beneš, der Generalsekretär des tschechoslowakischen Nationalrates  in Paris, wird von der französischen Regierung als der Vertreter der tschechoslowakischen Nation anerkannt.

4. Juli

Mehmed VI. wird der letzte Sultan des Osmanischen Reiches.

15. Juli

Die zweite Schlacht an der Marne, gleichzeitig die letzte deutsche Offensive an der Westfront, beginnt. Nach drei Tagen härtester Kämpfe wird die Offensive abgewiesen und die Entente-Truppen beginnen mit Gegenangriffen.

17. Juli

In Jekaterinburg wird die gesamte Zarenfamilie von den Bolschewiki ermordet.

5. August

Die Vereinigten Staaten brechen die diplomatischen Beziehungen zu Russland unter Lenin ab.

8. August

Der "Schwarze Tag des deutschen Heeres" – der Beginn der Schlacht von Amiens. Die große Offensive der Entente-Truppen, die Hunderttageoffensive, erzielte an ihrem ersten Tag einen für die deutsche Oberste Heeresleitung beunruhigenden Erfolg. Erstmals im Verlauf des Krieges ergaben sich die deutschen Verteidiger in größere Zahl als es dem Geländegewinn durch die Angreifer entsprach.

9. August

Die britische Regierung erkennt den tschechischen Nationalrat in Paris als "verbündete Regierung" an. Der Fortbestand der Doppelmonarchie nach der Niederlage wird immer unwahrscheinlicher.

14. August

Die deutsche Oberste Heeresleitung, Generalfeldmarschall Hindenburg und Generalquartiermeister Ludendorff, bezeichnet in einer Besprechung mit Wilhelm II. und Karl I. die Fortführung des Krieges als "aussichtslos".

27. August

In einem Zusatzabkommen zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk verzichtet Russland unter Lenin auf die Staatshoheit über Estland, Georgien, Livland und Kurland.

30. August

Lenin wird bei einem Attentat durch die Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan schwer verwundet. Die Bolschewiki verschärfen den "Roten Terror". Bis heute sind Zweifel an der tatsächlichen Täterschaft von Fanny Kaplan, die nach einem Schnellverfahren am 3. September 1918 erschossen wurde, nicht vollkommen ausgeräumt.

September/Oktober

Die Rumänische Nationalpartei und die Slowenische Volkspartei fordern Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen.

3. September

Die USA anerkennen den tschechischen Nationalrat in Paris als de-facto-Regierung.

14. September

"An Alle" – Wirkungsloser Friedensappell Kaiser Karls, der ohne Absprache mit dem Deutschen Reich erfolgt war.

26. September

Der tschechoslowakische Nationalrat in Paris proklamiert einen selbständigen tschechoslowakischen Staat mit Tomáš G. Masaryk als Staatspräsident und Edvard Beneš als Außenminister.

29. September

Der tschechische Nationalausschuss in Prag fordert einen selbständigen Staat.

29. September

Ausscheiden des Mittelmächte-Partners Bulgarien aus dem Krieg.

Oktober

Die Sozialdemokratische Partei und die Christlichsoziale Partei erklären, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen anzuerkennen.

4. Oktober

Friedensnote Österreich-Ungarns, (bzw. der Mittelmächte), die die "14 Punkte" von US-Präsident Wilson anerkennt.

6. Oktober

Der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben in Agram (Zagreb) konstituiert sich; die rumänische Nationalversammlung in Jassy fordert die Vereinigung mit dem Staat Rumänien.

7. Oktober

In Warschau Forderung, alle polnischen Gebiete an einen selbstständigen polnischen Staat anzugliedern.

16. Oktober

Das "Völkermanifest" Kaiser Karls, bzw. der Regierung Hussarek stellt eine Umwandlung des österreichischen Teils der Monarchie in einen Bund autonomer Völker in Aussicht, ohne bei den Nationalitäten oder bei den Alliierten auf Resonanz zu stoßen.

18. Oktober

US-Präsident Wilson lehnt die österreichisch-ungarische Friedensnote vom 4. Oktober ab – bloße Autonomie der Nationen keine Friedensgrundlage.

18./19. Oktober

Ukrainischer Nationalrat in Lemberg konstituiert; in Ungarn Kurs auf Selbstbestimmung der Rumänen Siebenbürgens und der Slowaken.

21. Oktober

"Provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs": die deutschsprachigen Abgeordneten des Reichsrates proklamieren die Bildung eines Staates, der alle deutschsprachigen Gebiete des alten Staates umfassen soll; Franz Dinghofer (Deutschnationaler) 1. Präsident, Jodok Fink (Christlichsozialer; bald abgelöst von Prälat Johann N. Hauser) 2. Präsident, Karl Seitz (Sozialdemokrat) 3. Präsident.

24. Oktober

Beginn einer großen italienischen Offensive; Julius Graf Andrássy der Jüngere wird letzter k. u. k. Außenminister.

26. Oktober

Lösung des Bündnisses Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Reich durch ein Telegramm Kaiser Karls.

27. Oktober

Sonderfriedensangebot Österreich-Ungarns an die Alliierten Mächte; Berufung der letzten kaiserlichen Regierung unter Professor Heinrich Lammasch.

28. Oktober

Ausrufung des tschechoslowakischen Staates in Prag.

29. Oktober

Abberufung der ungarischen Soldaten; Beginn der Auflösung der k. u. k. Armee.

29. Oktober

Der kroatische Landtag (Sabor) in Agram (Zagreb) erklärt die Vereinigung mit dem Staat der Slowenen, Kroaten und Serben und die Lösungen aller Bindungen an Ungarn und Österreich.

30. Oktober

Errichtung des Staates "Deutschösterreich" durch die provisorische Nationalversammlung, die bis zu Neuwahlen die oberste Gewalt ausübt (Vollzugsgewalt durch den "Staatsrat", einen Ausschuss aus den drei Präsidenten und weiteren Abgeordneten), sich eine provisorische Verfassung gibt und in der Nacht von 30. zum 31. Oktober eine erste Regierung unter Staatskanzler Karl Renner einsetzt.

31. Oktober

Der kaiserliche Ministerpräsident Lammasch übergibt die Regierungsgewalt an die Regierung Renner; Übergabe der k.u.k. Flotte an den südslawischen Nationalrat.

In Ungarn wird Graf Michael Karolyi Ministerpräsident; Bindung an die Dynastie der Habsburger und an Österreich gelöst; (Ausrufung der Republik: 16. November).

Machtübernahme in Krakau und Lemberg durch polnische bzw. ukrainische nationale Exponenten.

Bildung eines rumänischen Nationalrates, der folgenden Tags die Vereinigung mit Rumänien beschließt.

2./3. November

Serbische Truppen in Laibach und der Südsteiermark, slowenische Truppen in Südkärnten, italienische in Triest und Trient; Rücktritt von k.  u.k. Außenminister Andrássy.

1. November

Staatsrat Deutschösterreichs beschließt Gründung einer "Volkswehr", Werbungen ab dem 3. November;
Gründung der radikalen "Roten Garde" in Wien

3. November

Besiegelung der Niederlage – Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und den Alliierten (in der Villa Giusti bei Padua); durch Missinterpretation der Bedingungen ordnet das k. u. k. AOK (Armeeoberkommando) die Einstellung der Feindseligkeiten 24 Stunden zu früh an; dadurch geraten rund 360 000 österreichisch-ungarische Soldaten in alliierte Kriegsgefangenschaft.

3. November

Gründung der Kommunistischen Partei Österreichs.

9. November

Abdankung Wilhelms II. als Kaiser; Ausrufung der Republik in Berlin.

11. November

Kaiser Karl verzichtet auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften – de-facto-Abdankung; Rücktritt der Regierung Lammasch.

12. November

Ausrufung der Republik – die provisorische Nationalversammlung beschließt, dass Deutschösterreich eine demokratische Republik ist; dies wird von der Parlamentsrampe in Wien durch Präsident Dinghofer öffentlich bekanntgegeben (bei Fahnenhissung Herausreissen des weißen Streifens durch Rotgardisten; Tumult und Schießerei).

23. November

Italienische Truppen in Innsbruck (auf Basis der Waffenstillstandsbedingungen vom 3. November).

27. November

Frauenwahlrecht: Die provisorische Nationalversammlung beschließt eine neue Wahlordnung.

1. Dezember

Die südslawischen Gebiete schließen sich mit Serbien und Montenegro zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zusammen.

Anfang Dezember

Unruhe und Auseinandersetzungen in den Randgebieten der neuen Republik, besonders in südslawisch besetzten Teilen Südkärntens und der Südsteiermark (Beginn des bewaffneten Widerstands) sowie in Deutschwestungarn (dem späteren Burgenland).

Ende Dezember

Katastrophale Versorgungslage besonders für Lebensmittel und Brennstoffe, besonders in den Großstädten und vor allem Wien; Rückkehr der Frontsoldaten; hohe Arbeitslosigkeit.